Knäste: auf einmal sind sie da. In Zeitungen, Nachrichtensendungen und Newsfeeds. Die Revolten von Gefangenen in Italien und Frankreich, sowie das Engagement von Gefangenen und ihren Unterstützer*innen in Deutschland, sorgen dafür, dass öffentlich über den Umgang mit Corona in Knästen gesprochen wird. Wie in so vielen anderen Bereichen auch, zeigt sich im Ausnahmezustand deutlich, was schon unter normalen Umständen nicht funktioniert. Die Gesundheitsversorgung in Knästen ist auch ohne Corona-Virus katastrophal. Knäste machen Menschen krank und zerstören Leben, Familien und Gemeinschaften. Es ist längst Zeit, dass wir uns Gedanken darum machen, wie Alternativen zu diesem System aussehen können. Währenddessen, dürfen wir diejenigen nicht aus dem Blick verlieren, die jetzt gerade unter ihm leiden.
Wir haben uns mit Jutta Krebs, der Frau des Gefangenen Andreas Krebs, getroffen. Der folgende Text erzählt von ihrer Situation.
Andreas Krebs ist momentan im Knast in Neapel, Italien inhaftiert. Vorher war er bereits 16 Jahre in Deutschland im Knast. Er ist ein rebellischer Gefangener, baute hinter Gittern die Gefangenengewerkschaft (GG/BO) mit auf, führte diverse Hungerstreiks gegen die miesen Bedingungen im Knast und beteiligte sich an einem Solidaritätshungerstreik für Gefangene in Griechenland.
Nach seiner Entlassung 2014 entschieden er und seine jetzige Frau Jutta sich dazu nach Süditalien auszuwandern. Ende Dezember 2016 kam es zu einer Auseinandersetzung mit seinem damaligen Arbeitgeber. Dieser ging auf Andreas los und würgte ihn. Andreas stach in Notwehr mit einem Taschenmesser zu. Das Opfer starb leider unter ungeklärten Umständen drei Tage später im Krankenhaus.
Weil sie nach dessen Tod in Italien immer wieder bedroht und attackiert wurden, sahen sich Jutta und Andreas gezwungen zu fliehen und gingen zurück nach Deutschland. Dort wurde Andreas aufgrund eines europäischen Haftbefehls mit Hilfe der Antiterroreinheit der deutschen Polizei im Juli 2017 festgenommen. Ab diesem Zeitpunkt beginnt eine Odysee durch die Knäste Volkstädt, Burg und Berlin Moabit. Von Moabit aus wurde er im Mai 2018 an Italien ausgeliefert. Zurück in Italien startete noch im Mai der Prozess gegen Andreas im Secondigliano, einem Hochsicherheitsgefängnis in Neapel. Am 1. April 2019 endete das Verfahren in erster Instanz mit einem Urteil wegen vorsätzlichem Mord von 24 Jahren Haft, obwohl Beweise belegen, dass Andreas in Notwehr gehandelt hat.
In den sechs Jahren, die Jutta und Andreas sich kennen, hat sie ihn so gut es geht begleitet und unterstützt. Durch ihren engen Kontakt zu ihm und zu anderen Gefangenen, hat sie viele Einblicke in den Alltag und die Gesundheitsversorgung im Knast bekommen. Mit vielen Problemen, die immer wieder von (Ex-)Gefangenen und ihren Unterstützer*innen angesprochen werden, musste sie sich direkt auseinandersetzten:
Sie berichtet uns, wie die Behandlung von Gefangenen erschwert wird, weil die zuständigen Anstaltsärzt*innen alle paar Monate wechseln und mit der Krankheitsgeschichte ihrer Patient*innen kaum vertraut sind. Zu Fachärzt*innen und umfangreichen Untersuchungen gibt es keinen oder nur einen sehr erschwerten Zugang. Gefangene erhalten, wenn sie es geschafft haben sich eine Untersuchung in einem (Haft-)Krankenhaus zu erkämpfen, nach ihrem Aufenthalt dort keine Informationen zu den gestellten Diagnosen.
Jutta erzählt, wie die Meinungen von externen Ärzt*innen, die die Gefangenen vor ihrer Inhaftierung behandelt haben und mit ihrer Krankheitsgeschichte vertraut sind, keine Beachtung finden und wie die Weiterführung ihrer Behandlungen verunmöglicht wird. Sie weiß, dass eine “Behandlung” durch die Anstaltsärzt*innen viel zu oft bedeutet, dass Symptome mit starken Schmerzmitteln unterdrückt werden. Vor allem, wenn Patient*innen keine sichtbaren Wunden haben. Gefangene, deren Leiden nicht von außen sichtbar sind, werden schnell als Simulant*innen abgestempelt. Untersuchungen und Behandlungen werden ihnen verwehrt.
Bei Andreas wurden selbst deutlich sichtbare Wunden nicht behandelt. Diese wurden ihm bei der Festnahme von den Beamt*innen eines Sondereinsatzkommandos (SEK) zugefügt. Nach seiner Aufnahme in der JVA war es nicht das medizinische Personal, dass sich um ihn kümmerte, sondern andere Gefangene. Auch von ihnen und ihrem solidarischen Umgang miteinander, weiß Jutta zu berichten. In Italien waren es Mitgefangene von Andreas, die mit Protesten solange Druck auf die Knastleitung ausübten, bis Andreas behandelt wurde. Er selbst rettete einem Mitgefangenen durch Wiederbelebungsmaßnahmen das Leben, als diesem keiner der anwesenden Wärter zur Hilfe kam.
In Andreas Fall geht es nicht “nur” um übliche Krankheiten. Er ist schon lange schwerkrank und wird trotz Krebsdiagnose seit mehreren Jahren nicht behandelt. Andreas hat einen Nierenkrebs, der mitlerweile im Körper gestreut hat. Diese Erkrankung hängt eventuell mit der zunächst exessiven Vergabe und anschließenden aprubten Absetzung des Medikaments Subutex in einem bayrischen Knast zusammen. Subutex ist ein opidiates Schmerzmittel, dass gegen starke Schmerzen und zur Unterdrückung von Entzugserscheinungen eingesetzt wird. Ob durch die Medikamentierung im Knast verursacht oder nicht, die Krankheit, unter der Andreas schon seit Jahren leidet, konnte nur aufgrund der katastrophalen medizinischen Bedingungen im Knast in so kurzer Zeit so schlimm werden. Selbst wenn er jetzt angemessen behandelt würde, ist unklar, ob der Krebs noch in den Griff zu kriegen wäre. Vermutlich wird Andreas bald sterben.
Ärztlich attestiert bekommen hat er das erst vor kurzem. Abzusehen war schon lange, dass eine anhaltende Inhaftierung dazu führen würde, dass Andreas in absehbarer Zeit an seinen Erkrankungen sterben wird. Diese Perspektive, das ständige Leiden und die Unmöglichkeit etwas dagegen zu unternehmen, haben sich schwer auf Andreas Psyche ausgewirkt. Im letzten Winter versuchte er sein Leben selbst zu beenden. Auch für Jutta ist die Situation der letzten Jahre kaum aushaltbar. Wie viele Angehörige muss sie Kraft darauf verwenden regelmäßig Geld in den Knast zu schicken, Besuche und die damit verbundenen Anreisewege zu organisieren und Andreas auf vielfältige Weise bestmöglich zu unterstützen. Auch in ihrem Fall stehen Behörden dabei eher im Weg, als dass sie helfen. Die deutsche Botschaft in Italien hat auf hartnäckiges Nachfragen geantwortet, nichts für Andreas tun zu können. Für mehr als einen Besuch im Jahr, gäbe es keine Kapazität. Das Jobcenter reagiert auf Auslandsreisen, die Jutta unternommen hat um Andreas sehen zu können – zumindest alle paar Monate für wenige Stunden am Tag – mit Sanktionen, statt mit finanzieller Unterstützung. Dafür, dass es Jutta nicht gut geht und sie kaum arbeitsfähig ist, gibt es erst recht kein Verständnis. Selbst von anderen Angehörigen, wie Verwandten von Andreas, gibt es keine Hilfe. Das ist nicht ungewöhnlich. Oft erleben Gefangene auch im nahen Umfeld, wie Menschen sich von ihnen abwenden.
Aus der Ferne mitansehen zu müssen, wie ein geliebter Mensch in Gefangenschaft lebt ist schlimm. Nicht helfen, nicht nah sein, nicht trösten zu können. Zu oft auch, nicht da sein zu können wenn dieser Mensch stirbt, sich nicht verabschieden zu können.
Aus Perspektive des Rechtsstaates, sollen Gefangene daduch bestraft werden, dass ihnen im Knast ihre Freiheit entzogen wird. Dabei geht es um ihre Bewegungsfreiheit und die Möglichkeit, ihre Angehörigen und Freund*innen dann zu sehen, wann sie möchten. Die katastrophale Gesundheitsversorgung stellt eine zusätzliche Bestrafung dar. Sie beweist, dass Gefangene als Menschen zweiter Klasse gesehen und behandelt werden. Für viele Angehörige und Freund*innen bedeutet das, dass sie mitansehen müssen, wie eine geliebte Person fertig gemacht und schlecht versorgt wird. De-facto werden sie mitbestraft.
Wir können die Zustände in den Knästen und die Art wie Justiz und Strafvollzug mit Menschen umgehen nicht hinnehmen. Neben direkter Hilfe und Aktionen, wie dem Schreiben von Briefen an Gefangene, finanzieller Unterstützung, auch von ihren Angehörigen, dem Ermöglichen von Besuchen und vielem mehr, können wir durch Plakate, Demos und Veranstaltungen dafür sorgen, dass sie nicht vergessen werden. Wir können uns und andere informieren, Stigmata bekämpfen, uns zusammenschließen und Alternativen aufbauen, für eine Welt, die keine Knäste braucht.
Helft mit. Helft Jutta und Andreas. Kämpft mit für eine Gesellschaft, die keine Knäste braucht.
Andreas und Jutta könnt ihr direkt unterstützen!
Andreas freut sich über Post, vor allem, wenn ihr ihm was zu Lesen mit reinschickt. Seine Adresse ist:
Andreas Krebs
Sez. 1 Stz.1
Sez. Mediterraneo (CASA CIRCONDARIALE SECONDIGLIANO)
Via Roma Verso Scampia, 250,
Cap 80144 Napoli (NA),
Italien
Außerdem freuen die beiden sich über Spenden, um die Anwaltskosten, Lebenskosten im Knast usw. zu bezahlen. Das Konto ist:
Empfänger: Krebs
IBAN: DE 90 1005 0000 1067 1474 26
BIC: BELADE BEXXX
Verwendungszweck: Spende/ Andreas Krebs
Mehr Infos zu der Geschichte von Andreas und aktuelle Entwicklungen könnt ihr hier nachlesen:
https://andreaskrebs.blackblogs.org/