Austausch zum Thema “Strafe” am 9. Januar in Berlin
Jeden zweiten Freitag im Monat gibt es in der tempest library in Berlin eine Diskussionsrunde, durch welche versucht wird anarchistische Debatten anzustoßen und zu verbreiten. Diesen Freitag geht es um Strafe. Übernommen von austausch.noblogs.org.
Diesen Monat laden wir zum Austausch über eine Textsammlung zum Thema “Strafe” ein. Was ist das Prinzip Strafe überhaupt, wie, von wem und wann wird sie angewendet? Wie sind Ideen, die das Knastsystem zerstören und der Strafe einen verantwortlichen Umgang miteinander entgegensetzt?
Als Diskussionsgrundlage dienen die drei Texte “Strafen und bestraft werden” (ab Seite 4), “Strafe – Recht auf Gewalt?” (ab Seite 14) und “Wieso sind wir gegen Knäste, gegen alle Knäste?” (ab Seite 37)
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…Was jedoch treibt uns dazu unsere persönlichen Konflikte an fremde Personen, an Institutionen wie Gerichte auszulagern, damit diese sie lösen? Wozu brauchen wir Strafen? Um begangene Taten zu rächen? Zur „Wiedergutmachung“ des angerichteten Schadens? Oder bestrafen wir Menschen gar aus „gutem Willen“, damit die Person sich „bessert“? In diesem Fall bringt Bestrafen von als falsch angesehenen Verhalten nämlich sicher nichts. Selbst die Herrschenden geben zu, dass jemanden zu bestrafen diese Person sicherlich nicht davon abhält, das selbe noch einmal zu tun.
Falls wir wirklich an der Lösung eines Problems interessiert wären und nicht nur daran es zu unterdrücken und hinter Gefängnismauern zu verstecken, würden wir nicht bei jedem Konflikt nach einer Autorität (Eltern, Lehrer, Chefs, Vorgesetzte, Richter, Bullen,…) rufen, die diesen Konflikt für uns lösen, sondern viel eher versuchen, zusammen mit unserem persönlichem Umfeld den Streit zu klären. Das würde natürlich heißen, dass wir mehr Verantwortung für die Dinge übernehmen müssen, die um uns herum passieren und beispielsweise nicht einfach wegschauen, wenn wir beobachten dass jemand sexuell belästigt oder von Bullen kontrolliert wird…
ZITATE UND LINKS ZUM THEMA
Man sperrt mich ein, um mich auf ein Leben in Freiheit vorzubereiten.
Man nimmt mir alles, um mich zu lehren, mit Dingen verantwortungsvoll umzugehen.
Man reglementiert mich permanent, um mir zur Selbstständigkeit zu verhelfen.
Man entfremdet mich den Menschen, um mich ihnen näher zu bringen.
Man bricht mir das Rückgrat, um mir den Rücken zu stärken.
Man programmiert mich auf Anpassung, damit ich lerne, kritisch zu leben.
Man bringt mir Misstrauen entgegen, damit ich lerne, zu vertrauen.
Man bricht vor meinen Augen die Gesetze, damit ich lerne, diese zu achten.
Man sagt “zeige Deine Gefühle”, damit man mit ihnen spielen kann.
Man sagt “Du bist resozialisiert”, wenn ich zu allem nur noch nicke!
Überwachen und Strafen (Focault)
…Indem es sie solchermaßen homogenisiert und von Willkür bzw. Gewalt befreit, indem es die Gefahr der Revolte vermindert und Erbittung und Maßlosigkeit überflüssig macht, indem es überall dieselben kalkulierten, mechanisierten und diskreten Methoden ins Spiel bringt, läßt das Kerkersystem jene große „Ökonomie“ der Macht wirklich werden, deren Formel das 18. Jahrhundert gesucht hatte, als das Problem der Akkumulierung und der nutzbringenden Handhabung der Menschen auftrat…
Für eine Welt ohne Richter und Gesetze… (SJZ verhindern)
…Wenn wir bereit sind die Freiheit der uns beherrschenden Instanzen bzw. unsere Sklaverei zu akzeptieren, werden uns im Gegenzug für die Erfüllung dieser Berufung und Pflichten ein Haufen Rechte und der Schutz des Staates als Belohnung zu gestanden. Wenn dem nicht so ist und wir die unantastbare Heiligkeit der über uns stehenden Gesetze und Funktionsregeln nicht einfach so hinnehmen können und wollen – wir sie also bewusst oder unbewusst praktisch in Frage stellen – ist der Staatsmacht nahezu jedes Mittel der Bestrafung recht…
Strafen und bestraft werden (SJZ verhindern)
…Wie also können wir die Justiz angreifen? Jedes Denkmuster nach welchem wir andere be- und verurteilen, jede Autorität, von den Lehrern, zu den Sozialarbeitern zu den Bossen bis zu den Richtern ist ein Mosaiksteinchen des Justizapparats als Ganzem. Aber die Justiz besteht nicht nur aus Denkmustern oder verschiedenen Einzelpersonen, sie manifestiert sich auch, ganz offensichtlich für jede und jeden, in Dingen und an verschiedenen Orten, z.B. als Gebäude…
Strafe – Recht auf Gewalt ?! (Projektwerkstatt)
…Man müsste beginnen, zwischen Verantwortung und Schuld zu unterscheiden. Verantwortlich für sein Handeln, oder wie Funke es ausdrückt, für seine Einsätze im Roulett, ist jeder Mensch zweifellos. Er muss die Konsequenzen seines Verhaltens tragen – in jedem Fall. Schuld hat aber eine moralische Komponente. Schuld rechtfertigt nicht nur die Konsequenzen einer Tat (ich lüge dich an – die Konsequenz: du wirst mir in Zukunft nicht mehr so schnell vertrauen) sondern sie rechtfertigt auch, mir für mein Verhalten im Namen eines „höheren Interessens“ Schmerzen zuzufügen – sie rechtfertigt Strafe. Schuld führt zu einem endgültigen Urteil – einem Verurteilen. Schuld verlangt eine Wahrheit. Sie verlangt eine objektive Wahrnehmung der Situation. Aber sind wir dazu fähig? Ist der Mensch fähig, eine Wahrheit zu erkennen, die über seine individuelle Wahrnehmung hinausgeht?…
…Strafe verliert durch sein im Voraus festgesetztes Schema die Möglichkeit, aus einem Gewaltkreislauf auszubrechen. Das Prinzip der Strafe entpuppt sich hier erstens als reine Symptombekämpfung und zweitens als stures Handlungsschema, welches eine individuelle KonfliktLÖSUNG geradezu verhindert…
Gerd Albartus ist tot. (RZ)
…Nein: Die Bereitschaft zur Ermordung eines Genossen läßt sich nicht mit der Härte der Bedingungen entschuldigen, sie ist Ausdruck einer politischen Programmatik, deren einziger Gehalt die Erringung der Macht und deren Sprache die der künfitgen Despoten ist. Die Geschichte ist voll von Beispielen revolutionärer Organisationen oder Bewegungen, die unter vergleichbar brutalen Bedingungen kämpfen mußten, ohne daß sie sich – unter Berufung auf die Niedertracht des Gegners – dessen Methoden zu eigen gemacht haben. Daß dies der geringere Teil ist, daß die Mehrzahl der bolschewistischen Parteien und nationalen Befreiungsorganisationen nach der Devise verfahren ist, daß der Zweck die Mittel heilige und gegen den Feind alles erlaubt sei, wenn es nur der Sache dient, ist kein Gegenargument. Es ist dies eine politische Auseinandersetzung, die ihre historischen Bezugspunkte in der Pariser Kommune ebenso wie in der Oktoberrevolution oder im Spanischen Bürgerkrieg hat. Wo der Sieg zum Maßstab aller Dinge wird, werden nicht nur die besten, sondern auch die schlimmsten Kräfte frei…
Knast (Projektwerkstatt)
Nazis und der “Todesstrafe für Sexualverbrecher” (Autonomes Knastprojekt)
…Denn es gehört auch zu den bitteren Wahrheiten, dass aus geschlagenen Kindern später häufig prügelnde Eltern werden. Viele Sexualtäter sind selbst als Kinder missbraucht worden. Das entschuldigt jetzt nicht den einzelnen Täter, aber es sollte für uns Anlass sein zu überlegen, wie dieser Teufelskreis zu durchbrechen sei. Von den Konservativen und den Nazis können wir solch grundsätzliche Überlegungen nicht erwarten. Das müssen wir schon selber tun…
Abschaffung von Knästen? (Thomas Meyer-Falk)
…Im Verlaufe der Aufklärung wurden Körper- und Todesstrafen zunehmend durch das Einsperren der Delinquenten ersetzt. Dies galt als die humanere Umgehensweise mit Menschen die gesellschaftliche Normen übertraten. Auch heute gilt das „Wegschließen“ als im Grunde irgendwie akzeptabel, zumal jederman (dank BILD) weiß, in den Knästen geht es zu wie in Hotels. Dass gerade lange Haft eine subtile Form der Todesstrafe darstellt, dies will vielen nicht einleuchten. Der Mensch hinter Mauern stirbt einen langsamen seelischen und oft auch körperlichen Tod. Die radikale Todesstrafe durch Fallbeil oder Strick wurde (weitestgehend) ersetzt durch das „Einfrieren“ des/der Verurteilten hinter Gittern und Stacheldraht…
Against Prisons (Catherine Baker)
…Prison punishment is necessary for order and order is necessary for society. We could never imagine a society without order, and order without prison punishment. We have all internalized this so well – reinforcing the bars and guillotines in our minds to the point of going mad with anguish because of it – that the State keeps us under its thumb quite „naturally,“ because we are, in reality, „irresponsible“. But the State is only a machine serving something more terrifying than itself: behind the State there is a will, a human will. Man is there with his laws. Down with Man…
Aufruf „Mit der Knastgesellschaft brechen“
…Die einen sollen verdrängt oder abgeschoben, die anderen für immer weggesperrt werden. Alle anderen sind angehalten sich unter ständiger Kontrolle ihres Verhaltens auf Video oder ihrer Kommunikation über Telefon und Internet nichts zu Schulde kommen zu lassen. Die/der gläserne Bürger_in wird nicht nur zur staatlichen Idee des funktionierenden Untertans, oft genug wird auch das Selbstbild einiger „Ich habe ja nichts zu verbergen“ zur Gefahr für die, die das ganz anders sehen. Wer sich nicht anpasst fällt in ein Raster was von ablehnend, kritischer Beobachtung seiner Mitmenschen bis hin zu staatlicher Überwachung und Verfolgung führen kann…
warum knastkritik? (knäste zu baulücken)
…Schuld sind die sich falsch Verhaltenden, die Frage nach den ihrem Verhalten zugrunde liegenden Strukturen bleibt aus. Somit wird nicht nur der Blick auf die „Anderen“ gelenkt, sondern gleichzeitig die Diskussion um Macht- und Gewaltverhältnisse bewusst vermieden. Auch wir denken, dass handelnde Subjekte für ihr Verhalten verantwortlich sind (ansonsten betrachteten wir ja beispielsweise auch Nazis einfach als „Opfer der Verhältnisse“). Das Ausblenden des Verhaltens der restlichen Menschen, die an gesellschaftlichen Prozessen teil haben und diese mit gestalten jedoch ist fatal…
Wieso sind wir gegen Knäste, gegen alle Knäste? (ABC-Berlin)
…Wir sind gegen den Knast, weil die Welt, durch das Loch eines Türschlosses gesehen, wie von verdächtigen oder hinterhältigen Menschen bevölkert wirkt.
Wir sind gegen den Knast, weil mensch den Sinn der Gerechtigkeit niemals innerhalb irgendwelcher Gesetzbücher finden wird.
Wir sind gegen den Knast, weil eine Gesellschaft die es braucht, Menschen einzusperren und zu entmündigen, selbst ein Knast ist…
„Prisoner’s Talkin’ Blues“ (Os Cangaceiros)
…Jeder moderne Staat muss notwendigerweise diese armen Wilden zivilisieren, einschließlich jener, die von der Gesellschaft in den Gefängnissen isoliert wurden. An dieser Front tobt also die Schlacht der Ideen. Die Staatspartisanen wissen, dass sie die Revolte der Häftlinge nicht mit roher Gewalt – welcher sie sich zu Beginn allerdings mit den entsprechenden Risiken bedienen müssen – niederschlagen werden, sondern mit dem Pseudo-Dialog, mit der Lüge. Wir hingegen müssen die angeblichen Rechtsfragen in soziale Fragen verwandeln, und die Operation, welche die modernsten Staatspartisanen im Moment durchzuführen versuchen, vereiteln…
Geschichte der Knastarchitektur
…Ohne Frage gehen dieser gesellschaftlichen Präsenz von Bestrafung in jedem Aspekt des Lebens die klare Ausformulierung von Gesetzen und Unregelmäßigkeiten voraus. Diese zielen auf die Sanktionierung, die Dressur und schließlich die Wiedereingliederung in die disziplinierte Routine (Stundenpläne, regelmäßige Tätigkeiten, Arbeit, Schweigen, Aufmerksamkeit, Respekt, Gewohnheiten etc.) in den jeweiligen Strukturen der Disziplin (Schule, Fabrik, Kaserne etc.). Die Strafe ist nunmehr kein brandmarkender zeremonieller Terrorakt gegenüber einem besiegten Feind des sich rächenden Souveräns, sondern eine vom Gesellschaftskörpers und Verwaltungsapparat ausgeübte Züchtigung eines kriminellen Rechtssubjet, das unterworfen und manipuliert wird, damit es in Zukunft solche kriminalisierten Tätigkeiten vermeidet…