Interview mit Thodoros Iliopoulos
Das folgende Interview wurde von Ntina Daskalopoulou geführt und heute morgen (15. August) in einer Athener Tageszeitung veröffentlicht. Es wurde übersetzt und gepostet hier ohne Kommentaren und Erklärungen – nicht davon ist notwendig. Nach 37 Tagen im Hungerstreik sind Thodoros’ Worte kristallklar. In ihm hat der Staat einem Gegner gefunden, um seine ganze revanchistische Rache loszulassen, Rache in Wirklichkeit gegen eine immer anwachsende Bewegung des Ungehorsams, Widerstands und Solidarität. So lange, wie Menschen wie Thodoros aufstehen gegen den Zorn des Staates, wird der nächste Dezember sehr nahe sein. Im Kampf gegen ihre Ordnung, Thodoros ist nicht alleine.
mit den staatlichen Vergeltungsmassnahmen“
– Thodoros Iliopoulos
Acht Monate in Untersuchungshaft für die Ereignisse vom Dezember, der letzte auch noch im Hungerstreik. Die vorausgesagte Entlassung im Juli kam nicht, das Theater der Absurdität setzt sich fort mit den Anklagen und Thodoris bleibt eingekerkert. Aber ein Kämpfer. Dieses Mal, seine „Waffe“ ist sein Körper. Er sprach mit uns per Telefon aus dem Korydallos Gefängnis. Vor dort aus sieht er das revanchistische Gesicht des Staates, das Griechenland der Gewalt und der Repression, aber auch ein anderes Griechenland der ruhelosen Jugend, des Glaubens an Ideale. Beharrlich auf seine Unschuld und seine eigener Glaube. Teuer bezahlend für beides.
Ich höre seine Stimme mit Unterbrechungen von den Lautsprechern, Anweisungen an die Gefangenen von Korydallos gebend. Er ist extrem freundlich, tief, stark trotz seiner Schwäche. Jetzt zerbrechlich, aber entschlossen, Mitte August, der Monat ohne Nachrichten, er kämpft den Kampf für seine Freiheit mit der einzigsten Waffe, die er noch hat: sein eigener Körper.
– Der Staat klagt dich an wegen juristischen Delikten, Verbrechen und Vergehen, und erachtet dich als so gefährlich, dass du nicht entlassen wirst unter Auflagen. Wie fühlst du dich damit?
Ab dem 18. Dezember fand ich mich wieder als Protagonist in diesem Theater der Absurdität. Sie nahmen mich fest, zusammen mit massenhaft anderen, als ich mit ein paar FreundInnen die Akadimias Strasse entlang lief. Fünf Einheiten der Riotbullen umstellten uns zehn. Ich begann zu rennen und zwei von ihnen holten mich ein, sie warfen mich auf den Strassenbelag und begannen gegen meinen Kopf zu treten, dabei „jetzt wirst du sehen, was mit dir geschieht“ rufend. Ich hatte keine Idee davon, was mit mir passieren würde. Was schlussendlich passierte war, das ich mich wiederfand angeklagt mit drei Verbrechen. Laut der Untersuchungsbeamtin, war ich in dem Moment meiner Festnahme vor der juristischen Fakultät beim Werfen von Molotowcocktails. Die einzige zeugenschaftliche Darstellung davon gibt es von den beiden Riotbullen, die mich festgenommen haben. Als die Untersuchungsbeamtin sie fragte, ob sie mich wiedererkennen würden auf der Strasse und sie positiv antwortete, hob sie ihren Finger, zeigte auf mich und sagte: „ist es er?“ Sie exponierte mich selbst! Selbstverständlich, die Riotbullen…erkannten mich wieder. Vom diesem Punkt an, würden sich mich nicht mehr entlassen, weil sie mich eigentlich als Geisel brauchen. Von den Festgenommen haben nur wenige Stellung bezogen zum Dezember. Ich sage nicht, dass sie dazu verpflichtet sind, ich habe Stellung bezogen und bin konfrontiert mit den staatlichen Vergeltungsmassnahmen.
– Wie hast du die Ereignisse im Dezember erlebt?
Mein Vater befindet sich in seinen letzten Tagen und er leidet an Alzheimer und meine Mutter ist 83 Jahre alt und sich nicht um ihn kümmern. Aus diesem Grund war ich nur zweimal auf der Strasse, bedauerlicherweise. Es war eine sehr gute Gelegenheit, um zu diskutieren und zu denken, um Lösungen anzubieten, um Ideen auszutauschen. Einige, mit zweifelhaften Interessen, deuten die Ereignisse mit Krokodilstränen, sie weinen über das Desaster und die Zerstörung. Und jetzt hat der Dezember eine andere Art von Denken geboren und viel wichtiger, es hat die Jugendlichen von den Playstations und Internetcafés weggebracht. Es wäre naive und unfair zu sagen, dass die Jugendlichen nur auf die Strasse gegangen sind, um ihre Wut abzulassen. Sie haben ihre Ideale und Träume eingefordert.
– Was war deine Haltung gegenüber dem Staat und was ist sie jetzt?
Wenn ich dies erzähle, werden sich mich fürs gesamte Lebens in den Knast werfen… Ich mache nur Spaß. Ich möchte mir kein Label zuschreiben, wie Anarchist oder Antiautoritärer. Ich bin ein Visionär der direkten Demokratie, von gemeinsamen Entscheiden und Handeln. Während meiner Jugendjahre war ich fasziniert von der Philosophie des Anarchismus von Zenon bis zu den Zyniker und bis zu Enrico Malatesta. Selbst heute bin ich noch fasziniert davon. Ich kämpfe für eine andere Welt. Nicht mit Molotowcocktails und Steinen, aber mit Ideen und Texten. Ich bin weder der Erste noch der Letzte, dem der Staat sein revanchistisches Gesicht zeigt. Was sieht beunruhigt, was sie unterdrücken wollen, ist nicht meine Aktion, sondern meine Haltung und meine Ideen. Sie klagen mich mit fabrizierten Vorwürfen an, sie ignorieren die Beweise, die ich für meine Unschuld vorgelegt habe. Der Punkt für den Staat ist, dass ich darauf behaare zu denken. Und ich denke anders. In diesem Sinne kannst du – oder jemand anderes – sich in meiner Position wiederfinden.
– Fürchtest du jetzt das Land, genannt Griechenland?
Nein. Es ist beängstigend die Akadimias Strasse herunter zu laufen und sich eingesperrt für Monate in einer Zelle wiederzufinden, aber ich habe ein so großes Begehren zu leben, das ich nicht verängstigt bin. Und außerdem, hinter dem Griechenland der Repression und Gewalt sehe ich ein anderes Griechenland, dies einer rastlosen Jugend, Solidarität, Glaube an Überzeugung.
– Warum hast du dich für den Hungerstreik entschieden?
Wenn jemand einen Hungerstreik beginnt, sollten normalerweise zuerst eine Untersuchungen durch einen Zahnarzt stattfinden – es sind die Zähne, die zuerst zerstört werden – und durch einen Psychiater, ob er/sie nicht selbstmordgefährdet ist. Auch wenn dies in meinem Fall nicht passiert ist, möchte ich dir zusichern, dass ich nicht selbstmordgefährdet bin, ich möchte überhaupt nicht sterben. Genauso wenig möchte ich leiden an irreversiblen Schäden, welche mich den Rest meinen Lebens beschädigt lassen. Freilich beginnen, wie mein Arzt erklärt hat, nach dem 30. Tag im Hungerstreik die sehr ernsten Probleme, wenn einige der lebenswichtigen Organe versagen. Aber wirklich, ich habe keine andere Option mehr. Mein Körper ist meine ultimative Waffe.
– Kommt der Hungerstreik dem Tod nahe?
Alles kommt den Tod nahe. Wenn du ein Migrant bist, kann ein Besuch auf dem Platz von Ayios Panteleimonas automatisch dein Tod bedeuten. Oder wenn du ein Arbeiter in einer Fabrik bist. Oder wenn du ein Radfahrer auf den Strassen von Athen bist. Ein Hungerstreik kann dich ein paar Schritte näher zum Tod bringen, aber näher zur Freiheit. Als ein Ausländer, der ich in der Welt der Bosse bin, als ein Arbeiter, als ein Radfahrer, habe ich nie den Tod gefürchtet. Als ein Hungerstreikender lebe ich mit der Hoffnung der Befreiung, nicht mit den Angst vor dem Tod.
– Du bist verliebt in jemanden, du warst dabei die Entlassung für Juli vorzubereiten und ein gemeinsames Haus mit deiner Liebsten. Was sagt ihr beide jetzt?
Wir nutzen endlose Stunden, um mit einander zu sprechen jeden Tag, sie schreibt mir und ich schreibe ihr, wir planen unser Leben. Wir sind sehr nah bei einander, wir begegnen dies als Team. Der Knast schränkt die Freiheit deines Körper ein, nicht deine Seele. Jeden Mal, wenn sie auflegt, sagt sie zu mir: „venceremos“. Wir sind jung, verliebt und haben so viele Schönes zum Leben zusammen. Und wir sollten gewinnen.
– Was für Träume siehst du?
Am Anfang hatte ich Albträume. Im Laufe des täglichen Kampfes habe ich nicht nur gelernt, alles was mich mich zerstören könnte von mir abzustoßen, sondern auch Träume voll vom Kraft und Spaß zu haben. Ich habe mich entschlossen dieses Kapitel meines Lebens kreativ zu leben.
– Was hast du gelernt im Knast?
Jeder Knast ist eine Miniatur der Gesellschaft. Du sieht Menschen, verurteilt für Finanzverbrechen, die selbst hier drinnen daran interessiert sind Geschäfte zu machen, alles bis hinzu Kinderschändern. Du siehst aber auch Unschuldige, Menschen, die kein Geld für einen guten Anwalt haben oder um die Kaution zu bezahlen. Bevor ich hierher kam, war ich dogmatisch, ich dachte, dass…es sind die Bösen, die im Knast sitzen. Doch hier drinnen wirst du gezwungen zu verstehen, das was böse ist subjektiv ist, anzuerkennen, dass unter den gegebenen Umständen jeder ein potenzieller Mörder ist.
Alles ist in uns. Im Knast lernst du neue Kodexe und, am wichtigsten, niemanden zu trauen. Und im speziellen hilft das deinem Leben. Hier lebst du mit dem absoluten Minimum. Was wir draußen als Abfall bezeichnen, ist hier nützlich. Wer würde jemals wissen, dass du anstelle von Kleber verbrannte Ohrenstöpsel benutzen kannst, um mit einem Vorhang dein Bücherregal zu verdecken.
– Wie behandeln dich deine Mitgefangen?
Politische Gefangene werden immer mit Respekt geachtet von den Strafgefangenen, wenn gleich ich diese Unterscheidung nicht machen möchte. Wir sind alle inhaftiert und stehen den gleichen Problemen gegenüber. Auch wir, wenn wir politische Gefangene sind, stehen dem Strafgesetzbuch gegenüber. Meine Mitgefangen unterstützen mich: Nikos Tsouvalakis ging in den Hungerstreik an selben Tag wie ich, in Solidarität mit mir. Andere enthalten sich ihren Mahlzeiten. Viele von ihnen unterstützen mich mir einfachen, täglichen Aktionen: sie besuchen mich in meiner Zelle, borgen mir Bücher, geben mir ihren Platz in der Warteschlange am Telefon.
– Wie sieht deine Zelle aus?
Du bist eingesperrt für 18 von 24 Stunden in einen Raum von maximal 8qm, zusammen mit drei anderen Gefangenen. Die Heizung ist ungenügend. Kakerlaken und Ratten zeigen oft ihre Anwesenheit. Die Toiletten sind im Keller mit zerbrochenen Fenstern und kaltem Wasser.
– Die Gefangenen sagen, dass die Zeit der größte Feind ist. Wie verbringst du deine Tage?
Es gibt die Theorie im Knast, um so mehr du schläft, um so früher kommst du wieder raus. Ich denke, je weniger du schläft, umso weniger lebst du. Jetzt wo ich nicht mehr lange laufen kann, lese ich in der Zelle, schreibe, zeichne, höre Musik, bastele DIY-Konstruktionen mit billigen Materialien.
– Was inspiriert dich?
Die Korridore, die Gitter und der Stacheldraht. All dies bringt mich zu einem Prozess der Kreation einer anderen Realität, Wörter und Zeichnungen umfassend.
– Was würdest du dem Justizminister sagen, wenn du könntest?
Ich würde ihm ein Gedicht von Titos Patrikios vortragen:
I pluck the words one by one from my throat/
if they ooze blood/ wrap them in your handkerchief/
wrap them in cotton/
or then maybe grab them with a clip and say/
“he’s only saying these, to make an impression”/
Do what you want,/
but silence is not enough no more/
words are not enough no more/
I pluck the plain words, one by one/
and I send them to you.”
– Wie stellt du dir dein Leben nach dem Knast vor?
Einfach in den Bedingungen des Lebens, reich in den Bedingung der Gedanken – und außerdem möchte ich ein Kind haben, was mich nie verlassen wird.
– Wirst du wieder auf die Strasse gehen nach diesem ganzen grauenvollen Prozess?
Selbstverständlich. Mit dem einzigsten Unterschied, dass ich absolut vorbereitet sein werde, um jeglicher festgelegten Anklage gegenüber zu treten. Nach all dem, werde ich auf die Straße gehen mit meinem Gesicht als mein einzigster Kapuzenpullover.