Thomas Meyer-Falk: Wahlrecht für Gefangene
Auch Gefangene dürfen in Deutschland wählen; ein Ausschluss vom aktiven Wahlrecht ist die absolute Ausnahme (von 1990 bis 2009 wurde gegen 77 Verurteilte als Nebenfolge ein solcher Ausschluss verhängt; vgl. Bundestags-Drucksache 16/12622 vom 08.04.2009). Was viele – auch Inhaftierte – nicht wissen, ein Ausschluss vom passiven Wahlrecht, also dem Recht, gewählt zu werden, findet sich im Alltag viel häufiger. Denn jede und jeder, die/der zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 1 Jahr wegen eines Verbrechens verurteilt wurde, verliert automatisch (§ 45 StGB) die Amtsfähigkeit und auch das Recht, gewählt zu werden für die Dauer von 5 Jahren, wobei die Zeit im Gefängnis nicht auf diese Frist angerechnet wird.
Einher mit dem Verlust der Wählbarkeit geht der Verlust des Rechts, Mitglied einer Partei zu sein (vgl. § 10 Abs. 1 Parteien-Gesetz).
Superwahljahr 2009
Im Superwahljahr 2009 stellt sich auch für Gefangene die Frage, ob sie sich an den Wahlen beteiligen. An dieser Stelle soll nicht die Sinnhaftigkeit von Wahlen an sich thematisiert werden, viel mehr beschränke ich mich auf die formalen Aspekte.
§ 8 BWO (Bundeswahlordnung) sieht vor, dass im Regelfall die Behörden in den Gefängnissen einen so genannten „beweglichen Wahlvorstand“ errichten, sprich es soll für einige Stunden ein Wahllokal eingerichtet werden, damit auch Gefangene ganz normal wählen können. In der Praxis jedoch, so das Ergebnis einer Umfrage eines Doktoranden aus Berlin bei allen Landeswahlleitern und Justizministerien, gibt es heute in keiner einzigen Anstalt mehr eine solche Einrichtung (früher, noch in den 90’ern gab es bspw. in der JVA in Hamburg einen solchen beweglichen Wahlvorstand).
Zwang zur Briefwahl
Somit müssen Inhaftierte den Weg der Briefwahl beschreiten. War es bislang z.B. in der JVA Bruchsal üblich, dass die Anstalt die Anträge auf Erteilung der Briefwahlunterlagen an die Stadt Bruchsal kostenlos weiterleitete, müssen seit 2009 Gefangene, die denn wählen möchten, dafür bezahlen, nämlich Briefmarke und Kuvert kaufen.
Ein Vorgehen, das nicht nur bei den Betroffenen, sondern auch in der Politik auf Protest trifft. So veröffentlichte Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke am 17.12.2009 eine Pressemitteilung und forderte – Zitat – „die Gefangenen bei der Ausübung ihres Wahlrechts zu unterstützen, anstatt sie zu behindern“. Und Bundestagsabgeordneter Wolfgang Bosbach (CDU) schrieb die Justizministerin von Nordrhein-Westfalen an, nach dem sich Gefangene der JVA Iserlohn bei ihm über eine ähnliche Praxis dort beschwert hatten.
Berücksichtigt man das geringe Einkommen der Gefangenen (monatlich sind zwischen 31 und vielleicht 80/90 Euro verfügbar) und die Tatsache, dass jeder Mensch in Freiheit seinen Antrag kostenlos bei der Stadt abgeben oder am Wahlsonntag in ein Wahllokal gehen kann, um kostenfrei zu wählen, stellt die Kostenpflicht für Gefangene eine unzulässige Beeinträchtigung des Wahlrechts dar. Es bleibt abzuwarten, ob sich auch die OSZE mit der Thematik beschäftigt, nach dem ihrer Unterorganisation ODIHR eine Beschwerde vorliegt und sie dieses Jahr auch Wahlbeobachter nach Deutschland entsandte.
Bei der Briefwahl kann sich zudem kein Gefangener sicher sein, dass die JVA nicht doch die Wahlbriefe zensiert (ein Problem, auf das die LINKE im Bundestag in einer Anfrage an die Bundesregierung hinwies; vgl. oben genannte Drucksache).
Wahleinspruch für alle
Jeder kann, sofern wahlberechtigt, Einspruch gegen die Gültigkeit der Bundestagswahl einlegen (Bundestag, Platz-der-Republik 1, 11011 Berlin). Die Frist hierzu endet am 26. November 2009, der Einspruch ist kostenfrei. Sollte der Einspruch vom Bundestag zurückgewiesen werden, wird es etwas aufwendiger, denn nun muss man sich 100 UnterstützerInnen suchen und kann Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegen.
Der Wahlprüfungsausschuss fordert in der Regel den Bundeswahlleiter zur Stellungnahme auf, die dann der Einspruchsführer zugeleitet erhält, um hierauf erwidern zu können. Selbst eine mündliche Anhörung in Berlin ist möglich.
Probleme bislang unbeachtet
Wie unterbelichtet das Thema „Wahlrecht der Gefangenen“ bislang war, dokumentiert der Umstand, dass erst jetzt eine Doktorarbeit zu diesem Feld in Arbeit ist (der Doktorand promoviert bei Professor Dr. Feest, Universität Bremen) und sich näher mit den Fragestellungen rund um inhaftierte Wählerinnen und Wähler auseinandergesetzt wird.
Kollateralschäden bei Einspruch
Mitunter fühlen sich manche Journalisten bemüßigt, aus einem sachlichen Anliegen ein Schmierenstück zu fabrizieren. So nahm Wieland Schmid von der Stuttgarter Zeitung einen Wahleinspruch gegen die Oberbürgermeister-Wahl in Bruchsal (Wahlgewinnerin war eine ehemalige LKA-Beamtin) zum Anlass, über den inhaftierten Einspruchsführer, dieser war ich, im Stil der Boulevardpresse zu berichten.
Ausblick
Vielleicht ermöglichen Einsprüche gegen die Bundestagswahl vom 27.09.2009 die Situation von Gefangenen in den Medien breiter zu positionieren und so aus dem Schattendasein etwas heraus zu lösen.
Thomas Meyer-Falk
c/o JVA – Z. 3113
Schönbornstr. 32
D-76646 Bruchsal
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