Einige Gedanken über die Antiknast-Tage in Kiel, Ende September 2008
Die Antiknast-Tage sind nun seit über einem Monat vorbei und wir sind alle mit guten Gefühlen nach Hause zurückgekehrt. Weil wir in unterschiedlichen Städten wohnen, hat es etwas länger gedauert bevor wir es geschafft haben uns als „Orga-Crew” zu treffen, um einen Austausch und eine Diskussion über unsere Eindrücke während dieser Tage haben zu können. Wie bei jeder Sache, welche wir als Anarchist_innen organisieren, sind wir der Meinung, das es keine einfache „Schwarz-Weiß” Analyse oder Auswertung gegen kann: wenn wir kritisch gegenüber von anderen organisierte Initiativen sind, dann sind wir dies sogar noch mehr, wenn es um unsere geht, damit wir von unseren Grenzen lernen und sie beim nächsten Mal auch besser überqueren können. Dennoch sind wir nicht diejenigen, die es mögen sich auf den Lorbeeren auszuruhen. Aber lasst uns der Reihe nach vorgehen.
Wie schon gesagt wurde, diese Tage wurden von einer sehr kleinen Gruppe an Personen organisiert. Die Idee gab es schon vor einigen Monaten, damals war das Wochenende für Mai 2008 geplant, allerdings nahm alles eine andere Richtung und die Idee blieb, ohne aber ein konkretes Datum. Letztendlich nach dem Hungerstreik in deutschen Gefängnissen im August saßen wir wieder zusammen und fühlten die Notwenigkeit diese Idee neu vorzuschlagen aufgrund verschiedenster Gründe. Zum einen, um einen Moment zu haben an dem sich verschiedene in Deutschland lebende Gruppen sowie Individuen, welche aktiv gegen Knäste (und ihre Gesellschaft) arbeiten, sich treffen, miteinander diskutieren, Erfahrungen austauschen, Affinitäten aufbauen, weitere Momente des Kampfes planen, kurz gesagt sich vernetzen können: dies war wahrscheinlich einer der größten Gründe. Außerdem sollten auch „Nichtexpert_innen” innerhalb von diesen drei Tagen die Möglichkeiten angeboten werden an Diskussionen, formelle sowie informelle, teilhaben zu können und sie hoffentlich auch in den Kampf einzubinden oder mindestens sie mit einigen weiteren kritischen Gedanken im Kopf nach Hause gehen zu lassen. Dazu gab es die Idee einige auswärtige Genoss_innen zu Gast zu haben, um eine Darstellung über die Situation in ihren Ländern anzubieten, welche Kämpfe gerade stattfinden, wie die Menschen darauf reagieren, wie wir von einander etwas lernen und uns gegenseitig unterstützen können, welche unsere gemeinsamen Perspektiven sind, wenn es denn solche gibt.
Wie gesagt, wir sind an einige Grenzen gestoßen als wir diese Tagen organisierten. Erstens, waren wir eine kleine Gruppe von Personen, welche an der Organisierung beteiligt war. Zweitens, die Meisten von uns waren bis dato noch nicht an der Organisierung eines solchen Treffens beteiligt: eigentlich war dies das erste Mal, dass mensch es versucht hat ein solches Event in Deutschland zu veranstalten. Wir wurden von unseren ursprünglichen Plänen überwältigt: kurz gesagt viel zu vieles auf einmal. Wir haben die Unmöglichkeit erkannt, in Anbetracht der aktuellen Lage der Antiknast-/anarchistischen Bewegung in Deutschland, ein Treffen zu organisieren bei welchem all die drei besagten Ziele, welche wir hatten, irgendwelche positiven Ergebnisse produzieren hätten können unter der Beachtung von allen dreien im gleichen Maas.
Sicherlich war eines der positivsten Ergebnisse die Möglichkeit für viele Menschen, welche zu diesen Themen arbeiten und Affinität miteinander fühlen, sich zum erste Mal physisch treffen zu können. Dies bedeutet, die Möglichkeit zu haben, über den gegenwärtigen Stand kritisch diskutieren zu können, Wege zu finden, um mit anderen in Verbindung zu treten und die Frage zu stellen, wie es möglich ist den Kampf auszuweiten. In der Betrachtung dieses letzten Punktes, sind wir definit mit einem guten Gefühl für die Zukunft nach Hause zurückgekommen: unterschiedliche Individuen und Gruppen aus Deutschland und Österreich haben eine gemeinsame, fruchtbare Diskussion begonnen, welche mit hoher Wahrscheinlichkeit sehr interessante Momente des Kampfes produzieren wird. Dazu wurden einige Termine gefunden, an denen mensch zusammenarbeiten wird, um solche Affinitäten zu verstärken, wo wir gleichzeitig auch neue entlang unseres Weges entdecken können (um einige Momenten zu benennen: das Antirepressions-Wochenende in Wien im November, der Hungerstreik der italienischen Lebenslänglichen im kommenden Dezember, die Silvester-Demo zum Knast in Berlin…).
Das Ganze, in Anbetracht der aktuellen Lage im deutschsprachigen Raum, lässt sich als ein wichtiger Schritt feststellen: wir mussten fast vom Punkt Null anfangen, weil Antiknastthemen seit längerer Zeit nicht wirklich populär in der „Szene” sind, wenn wir den Vergleich mit Ländern wie Spanien, Italien oder Griechenland anstellen. Es ist extrem schwierig ein solches Ziel erreichen zu wollen, wenn wir gleichzeitig neue Mittäter_innen entlang unseres Weges involvieren möchten. Sicherlich ist es anregend aber gleichzeitig kompliziert, gemeinsame Diskussionen zwischen Menschen, welche unterschiedliche Erfahrungen, Erwartungen und Wünsche besitzen, zu haben. Dort wo die Trennung zwischen „Expert_innen” und „Nichtexpert_innen”, Personen, die sich auf „verschiedenen Niveaus” befinden, am stärksten auftritt ist der Punkt, wenn mensch ein Thema wie Knast aufgreift. Dieses ist für viele hier unbekannt und auch seltsam, nicht ohne einmal die Tatsache zu benennen, das dies genau oftmals das schwierigste innerhalb des individuellen Weges jeder/s einzelnen von uns ist, genau genommen im Bezug auf die Frage „Was, wenn kein Knast?”
Wir meinen hier nicht, das wir froh darüber sind dem „spezialisierten” Zirkel anzugehören. Was wir meinen ist, dass wir von der Disparität der Erwartungen und vielleicht auch von der Naivität unserer fehlenden Auseinandersetzung damit überwältigt worden sind. Als Beispiel die Eröffnungsdiskussion, der generelle Austausch über die Gründe, wieso wir dieses Wochenende auf die Beine gestellt haben, wieso gegen Knästen, war sehr chaotisch, da die von uns, welche geredet haben, den Fehler begangen haben nicht genügend Achtung den Tatsachen zu schenken, dass vielen der Involvierten Knast und ähnliche Themen eher neu sind und dementsprechend wir nicht eine Diskussion auf einem bestimmten, hohen und komplizierten Niveau veranstalten können, auch wenn solche Themen für uns zum täglichen Brot gehören. Eines der Ergebnis davon war, dass einige am Tag danach nicht erschienen sind, weil sie genau von solch einem Niveau überwältigt wurden, wie wir danach von anderen Personen erfahren haben.
Durch die Verteilung einer Broschüre an alle, in welcher einige Texte zur Einführung zu „Antiknast” (zwei von Gefangenen) zu finden waren und einiger weiterer, welche im Vorfeld auf unserer Website zu finden waren, haben wir versucht etwas Bewusstsein im Vorfeld zu schaffen, damit das Kommen nicht ohne Vorbereitung geschieht. Sicherlich war das nur ein kleiner Tropfen. Wir sind immer noch unsicher, wie wir es ermöglichen können verschiedene Niveaus miteinander zu kombinieren. Vielleicht durch eine verstärkte Verteilung von Texten im Vorfeld oder aber durch das Anstoßen einer solchen Diskussion am Ende des Wochenende, wo es die Möglichkeit gab über dies zu sprechen. Wahrscheinlich ist dies auch möglich durch eine Diskussion über konkrete Initiativen und Momente des Kampfes als die Zeit mit Darstellungen oder theoretischen Debatten zu verschenken.
Eine auf dem Abschlussplenum geäußerte gute Kritik kritisierten die Abwesenheit – außer während der informellen Unterhaltungen – der Diskussion über praktische Solidarität, was wir damit meinen, wie wir uns diese vorstellen, wie wir Erfahrungen aus verschiedenen Ländern, welche unter anderen Bedingungen gemacht werden, austauschen können, wie wir effektiv das Knastsystem angreifen können und wo es solche Beispiele in der Vergangenheit sowie in der Gegenwart gibt …
Als wir dieses Treffen organisiert haben dachten wir, dass sich nicht viele Menschen, welche nicht mit der „Szene” verbunden sind, beteiligen würden, aufgrund der Art und Weise wie es organisiert wurde. Demzufolge waren wir nicht von einer solchen fehlenden Beteiligung überrascht, genauso wenig wie von der Abwesenheit anderer Kollektive, die zu Antirepression und politischen Gefangenen arbeiten, aber keine anarchistischen Zusammenhänge sind: wahrscheinlich war für viele von ihnen der Ton des Treffen zu informell und anarchistisch (eine Sache worüber wir selbstverständlich froh sind!). Sicherlich war dies trotzdem eine verpasste Chance um vielleicht eine heiße, aber auch interessante und wertvolle Debatte zu haben.
Noch ein Punkt zur Selbstkritik zu dem internationalen Charakter, welchen wir dem Wochenende geben wollten. Einige Genoss_innen aus verschiedenen Ländern sind gekommen und haben Darstellungen zu unterschiedlichen Themen gegeben (wir möchten uns hier nochmal bei denjenigen entschuldigen, für welche wir keinen Platz mehr im Zeitrahmen gefunden haben, obwohl es geplant war…), wir können aber weder von einer großen Beteiligung aus anderen Ländern reden, noch von sogenannten „konkreten” Ergebnissen. Im Bezug zu letzteren müssen wir sagen, dass auch wenn es an dem Wochenende einen Mangel an Debatten über konkrete Momente und Wege des zukünftigen Kampfes gab (außer die aktive Vernetzung zwischen schon aktiven Gruppen und Individuen aus Deutschland und Österreich) und dementsprechend nichts „konkretes” verblieben ist, es auch wichtig ist die positiven Inputs zu benennen.
Diese wurden durch die Darstellungen der Beteiligten gegeben (wir könnten hier z.B. die Knastgesellschaft in England benennen, die Aufmerksamkeit über ein mögliches, furchtbares Szenario in Bezug auf eine mögliche Entwicklungen der soziale Kontrolle, erzeugt hat), sowie der Tatsache, dass es eine weitere Chance war sich persönlich außerhalb von unmenschlichen Internetkommunikationswegen zu treffen. Für den ersten Punkt sehen die kurze Vorbereitungszeit und folgende verspätete Einladung als den entscheidenden Grund dafür an. Wir können nicht wollen, dass Leute, selbst wenn sie interessiert sind, sich kurzfristig dazu entscheiden müssen in Norddeutschland aufzuschlagen in dem Fall, dass sie von einem solchen Treffen erst wenige Wochen zuvor erfahren (der Aufruf wurde Mitte August veröffentlicht). Wir sind uns dessen bewusst, dass viel mehr Menschen bei dem Wochenende anwesend sein wollen/können, wenn sie rechtzeitig davon erfahren hätten.
Und wenn wir schon dabei sind über auswärtige Beteiligung zu sprechen, wir haben gesehen wie wir persönlich von den Übersetzungen überwältigt worden sind: beim nächsten Mal müssen wir besser daran arbeiten, selbst wenn wir dazu sagen müssen, dass deutsch eine der schwierigsten europäischen Sprachen zur Übersetzung ist, wenn dies simultan gemacht werden muss.
Dazu haben noch einige andere Elemente gegen uns gespielt, wie z.B. dass Kiel nicht eine der am besten zu erreichende Städte ist, weil sie weit im Norden liegt und dass in der Nähe am Samstag eine Antifademonstration stattfand, zu welche viele hinfuhren…
Wir wollten es kurz halten und können nun wirklich nicht sagen, dass wir es geschafft haben! Wir besitzen keine Antworten und sind uns bewusst, dass die Probleme, welche an dem Wochenende aufgetaucht sind, keine unbekannten für vielen sind, die diesen Text lesen. Wir werfen ein paar Fragen auf, aber die Antworten können sich nur aus einer gemeinsamen Debatte heraus entwickeln. Das ist der Grund wieso wir hoffen, dass einige Reaktionen von Personen, die beim Wochenende mit dabei waren, genauso wie von denjenigen, die einfach diesen Text lesen oder beim Organisieren ähnlicher Treffen mitgewirkt haben, kommen werden, damit wir beim nächsten Mal die Gestaltung solcher Tage verbessern können. Das nächste Mal wird von euren Kritiken inspiriert sein.
Wie schon zuvor erwähnt, es gab einige gute Sachen, welche bei uns positive Gefühle hinterlassen haben, vor allem deshalb, weil wir das Gefühl haben gerade in dem Prozess zu sein, etwas aufzubauen, mit verschiedenen Menschen, welche diese Knastgesellschaft hassen und gegen sie kämpfen wollen, lokal genauso wie international. Trotz seiner Grenzen war dieses Wochenende eine gute Erfahrung, besonders um lernen zu können, wie wir es beim nächsten Mal besser machen können. Wenn wir so etwas sagen, dann meinen wir, dass wir ziemlich entschlossen sind, ein zweites Treffen dieser Art im nächsten Jahr zu organisieren, wieder in Deutschland. Sobald alles etwas konkreter wird, werden wir euch Bescheid geben, dieses Mal etwas frühzeitiger. Ganz sicher werden wir aber nicht in Lage sein euch Sonne und Strand zu garantieren.
Bis dahin, wir hoffen eure Wege irgendwo innerhalb des nächsten Jahres zu kreuzen, während wir gegen diese Knastgesellschaft und den Kapitalismus kämpfen, für die totale Befreiung.
ABC Berlin und ABC Orkan