Thomas Meyer-Falk: Karlsruhe und die Sicherungsverwahrung
Wie schon vor wenigen Wochen berichtet hat das Bundesverfassungsgericht eine umfangreiche mündliche Verhandlung zum Themenkomplex „Sicherungsverwahrung“ angesetzt. Diese Anhörung fand nun am 08. Februar 2011 statt.
Worum ging es?
Geklagt haben vier in Sicherungsverwahrung befindliche Gefangene. Entweder sitzen sie in nachträglich angeordneter SV, oder aber es handelt sich um „Altfälle“, d.h. ihr Urteil stammt aus der Zeit vor 1998, als eigentlich die erste Unterbringung in der SV auf 10 Jahre begrenzt war. Jedoch verlängerte die damalige Kohl-Regierung die Maximaldauer auf „Lebenslang“.
Beides, die nachträglich verhängte SV, wie auch die rückwirkend verlängerte SV wurden mehrfach vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für unvereinbar mit den Menschenrechten der Betroffenen erklärt.
Da jedoch vor deutschen Gerichten Uneinigkeit darüber besteht, wie mit diesen Urteilen des EGMR aus Straßburg umzugehen ist, gelangten mehrere Fälle vor das Bundesverfassungsgericht.
Mündliche Verhandlung vom 08.02.2011
Zum Auftakt der Verhandlung begrüßte der Gerichtspräsident Andreas Voßkulhe prinzipiell die Regelungen zur Sicherungsverwahrung als „notwendige“ Ergänzung „des liberalen deutschen Strafrechts“ und rügte zugleich ausdrücklich die Richterinnen und Richter des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Diese, so Voßkulhe, hätten offenbar die Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit „nur am Rande in den Blick genommen“.
In der mehrstündigen Sitzung kamen Vollzugspraktiker, wie auch Rechtswissenschaftler und Regierungsvertreter zu Wort. Während die Verteidiger der Beschwerdeführer sich nachdrücklich für eine Freilassung ihrer Mandanten einsetzten, plädierten die Vertreter der Bundesregierung dafür, „nachweislich höchst gefährliche Täter“ weiterhin in Gewahrsam zu halten.
Seitens des Gerichts wurde in Richtung der Bundesländer kritisch angemerkt, dass man dort offenbar die Hinweise des Gerichts aus einem Urteil von 2004 auf Verbesserung der Haftbedingungen der Sicherungsverwahrten nicht sehr ernst genommen habe.
Ausblick
Die mit der Materie vertrauten Journalisten von Süddeutscher Zeitung, die tageszeitung und Neues Deutschland berichteten am 09.02.2011 einhellig, dass ein Konflikt zwischen dem BVerfG und dem Straßburger EGMR zu erwarten sei. Von einer umgehenden Entlassung der Beschwerdeführer sei ihrer Ansicht nach nicht auszugehen, denn die Richter hätten deutlich gemacht, dass in Deutschland die Menschenrechtskonvention in der Hierarchie der Normen unterhalb des Grundgesetzes angesiedelt sei. Mit einem Urteil des Verfassungsgerichts wird in einigen Monaten gerechnet.
Bewertung
Zur Zeit beeilen sich die Landesjustizministerien, die Haftbedingungen der Sicherungsverwahrten zu verbessern; so sollen die Zellen statt 8,5 qm künftig mindestens 15 qm groß sein. Der niedersächsische Justizminister Busemann forderte gar, dass den Verwahrten „das Gefühl gegeben werden soll, nicht mehr eingesperrt“ zu sein. Für Betroffene oder überhaupt für Gefangene nur schwer erträglicher Unsinn, der hier verbreitet wird. Sollte dann das BVerfG tatsächlich eine Freilassung der verwahrten Kläger und anderer Parallelfälle verweigern, hätte dies auch Auswirkungen auf alle übrigen 80.000 Inhaftierten.
Ihnen würde deutlich gemacht, dass ihre Menschenrechte schlicht nichts wert sind; dass sie in einem Land leben, das ein Nazigesetz von 1933 (denn unter Adolf Hitler wurde die Sicherungsverwahrung eingeführt) hofiert und im Konfliktfalle Nazigesetze den Menschenrechten vorgehen.
Nun ist dies politisch gesehen nicht überraschend oder gar neu, jedoch würde erneut ein markantes Zeichen gesetzt seitens des Staates.
Thomas Meyer-Falk
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