Thomas Meyer-Falk: Was ist Zeit aus Gefangenensicht?
Wer im Gefängnis sitzt, bezahlt für etwas, das er/sie getan hat mit Lebenszeit, so genannter Strafhaft – oder für etwas, das er/sie tun könnte, so genannter Sicherungsverwahrung.
Vor Jahren bezeichnete ich beispielsweise eine Richterin am Landgericht Mannheim als „Bilderbuchexemplar einer faschistischen Justizschlampe“. Einmal beiseite gelassen, ob der inhaltliche Kern dieser Bezeichnung zutraf, einem Richterkollegen war dieser Satzteil immerhin wert, 7 Monate Freiheitsstrafe auszuwerfen (§ 185 StGB; d.h. Beleidigung. Strafrahmen: Von Geldstrafe bis zu 1 Jahr Freiheitsstrafe).
Am Ende summierten sich wegen verschiedenster Verurteilungen wegen des Vorwurfs der Beleidigung und Bedrohung, geäußert jeweils in Briefen, 5 Jahre 3 Monate und 3 Wochen. Knapp 2000 Tage oder etwas mehr als 46.000 Stunden Freiheitsentziehung.
Umgerechnet in die Arbeitszeit eines Arbeiters/einer Arbeiterin bei 42 h/Woche und 48 Arbeitswochen pro Jahr, entspräche dies immerhin 22 Jahren Arbeitsverhältnis – um einmal einen Eindruck für die Proportionen zu erhalten. Denn in unserer kapitalistischen Gesellschaft ist Arbeitszeit ein Äquivalent für das, was wir uns nach Zahlung von Gehalt, bzw. Lohn am Markt kaufen können.
Aber was bedeutet dies konkret für Gefangene? Wer in einer Haftanstalt zu leben gezwungen ist, bekommt nur noch sehr gefilterte Eindrücke vom Leben vor den Mauern mit. Hier „drinnen“ läuft das Leben langsamer; ein geflügeltes Wort lautet „Knast konserviert“.
Wie ein träger, monotoner Fluss fließt sie dahin, die Lebenszeit. Erst durch In-Bezugsetzung zu anderen Ereignissen bekommt man ein Gefühl für die Monate, Jahre, Jahrzehnte. Am deutlichsten wird mir selbst die verstrichene Zeit, wenn FreundInnen/GenossInnen berichten, wie ihre Kinder geboren werden, zu sprechen beginnen, laufen lernen, eingeschult werden, auf eine weiterführende Schule wechseln.
Jedoch ansonsten? Was vor 5 Jahren passierte, ist für einen Gefangenen oftmals so, als wäre es gestern gewesen.
Zeit hat hier eine andere Qualität; wer kann „draußen“ schon sagen, was er/sie in zum Beispiel zwei Jahren am 02. Mai 2011 tun wird?
Gefangene können dies! Der 02. Mai 2011 ist ein Montag, es wird um 6.15 Uhr die Zelle geöffnet werden, um 6.40 Uhr gehen wir zur Arbeit. Um 11.45 Uhr wird es ein Mittagessen mit Reis geben, denn jeden Montag gibt es Reis zu Mittag. Und am nächsten Tag, ein Dienstag, wird es für jeden 1 Liter Milch geben, wie jeden Dienstag.
Von exakt 17.00 Uhr bis um 19.00 Uhr werden wir in einer Sportgruppe sein und um 19.20 Uhr in die Zellen für die Nacht eingeschlossen werden.
Zerteilt wird der Mahlstrom der Zeit durch die zwei Besuche pro Monat, sowie die zwei Einkaufstermine, zu welchen wir bestellte Nahrungs-/Körperpflegemittel (vgl. indymedia.org) erhalten.
Brave BürgerInnen werden nun rufen: „Das ist Eure gerechte Strafe!“
Muss Strafe wirklich sein? Hilft sie irgendwem; außer dass sie einen Gefängnis-Industriellen-Komplex ernährt?!
Thomas Meyer-Falk
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