Brief von Christoforos Kortesis bezüglich der Einrichtung eines Solidaritätsfonds und finanzieller Unterstützung der politischen Gefangenen

Erstens möchte ich etwas fast selbstverständliches sagen, nämlich dass die Einrichtung eines Solidaritätsfonds für die finanzielle Unterstützung von Genoss_Innen, aber auch von anderen Menschen, die kämpfen und in einer eigentümlichen Art Geiseln des Staates sind, sehr wichtig ist. Vor allem ist sie wichtig, weil sie eine ganz bestimmte Notwendigkeit zu bedecken versucht, nämlich das alltägliche Überleben “hinter der Mauer” auf eine würdevolle Art. Parallel dazu, weil selbst die Einrichtung eines solchen Projektes deutlich macht, meiner Meinung nach, dass wir alle inhaftierten Genoss_Innen für Kämpfer_Innen halten, die sich wegen ihrer umstürzlerischen Aktivitäten und Meinungen in den Händen des Staates befinden. Außerdem halten wir sie für einen untrennbaren Teil der politischen Szene, zu der sie gehören und deswegen diese Szene die politische Initiative ergreift, um diese Menschen zu unterstützen, ohne es für eine Sache zwischen Freunden und Verwandten zu halten, sondern als Versuch die Begriffe von Kameradschaft und Solidarität in Praxis zu setzen. Ganz deutlich, ich beziehe mich hier auf keinen Fall, weder auf eine Art von moralischer Verpflichtung, noch auf eine emotionelle Erpressung, sondern auf ein Zeugnis von politischem Bewusstsein und Konsequenz.

In jetziger Zeit, wo der Angriff seitens der Macht auf die anarchistische Szene, aber auch auf jeden kämpferischen Teil der Gesellschaft – aus klaren Gründen – steigt, ist die Einrichtung eines Solidaritätsfonds noch ein Verteidigungs- sowie Gegenangriffsmittel. Sie stellt eine kollektive und selbstorganisierte Antwort auf die Isolierung und Vereinzelung dar, die der herrschende Diskurs auf allen Ebenen von unseren Leben reinzuhauen versucht.

Obwohl der Prozess nur mit der Einrichtung des Solifonds zu tun hat und (wie ich und die anderen inhaftierten Genoss_Innen uns informiert haben) keine Ausschließlichkeit für sich hält in Bezug auf die Form, in welcher die Solidarität ausgedrückt sein soll, hoffe ich dennoch, dass dieses Projekt zum Zusammenhalt der anarchistischen Szene beitragen werde, eine Szene die sichtbare Brüche in letzter Zeit zeigt.

Ich akzeptiere die Verschiedenheit der politischen Bezüge und Meinungen innerhalb der anarchistischen Szene. Trotzdem finde ich, dass alles, was uns vereinigt, mehr ist als das, was uns trennt. Hiermit halte ich die tiefe Problematik bezüglich einer ganzen Menge von Themen, die von Genoss_Innen manchmal ausgedrückt worden sind, sicher nicht für unwichtig.

Außerdem glaube ich und finde es absolut legitim, dass nicht jede Gruppe, jedes Kollektiv oder Person an diesem Prozess teilnehmen muss. Im Gegensatz dazu ist es möglich, andere parallele Projekte finanzieller Unterstützung zu schaffen, mit verschieden Herangehensweisen, welche sich aber miteinander koordinieren sollten, um das bestmögliche Resultat zu erreichen.

Meiner Meinung nach, wenn eine politische Szene mit subversiven und radikalen Voranstellungen unfähig ist, ihre inneren Probleme punktuell auf der Basis von Solidarität, Kooperation und Selbstorganisierung zu bearbeiten und wenn diese Szene nicht die Vielfalt der gewählten Kampfmitteln akzeptieren und sogar fördern kann, dann wie gedenkt sie sich überhaupt diese Werte nach draußen zu bringen?

Wegen meiner Teilnahme an solchen Projekten in der Vergangenheit kenne ich die Schwierigkeiten mit denen solche Versuche konfrontiert werden, vor allem die Frage der Dauer. Dennoch letztendlich genau darum geht es und genau dafür werde ich von Gefängnis aus mit all meinen Kräften kämpfen, so wie ich draußen, zwischen Genoss_Innen auch kämpfen würde.

An dieser Stelle möchte ich einen Vorschlag machen, den ich auch schon früher mit anderen GenossInnen – manchmal nicht ohne heftige Streits – diskutiert habe. Ich bin der Meinung, dass selbst die Tatsache solche Themen offen auf dem Tisch zu legen, etwas Positives ist. So glaube ich, dass es bei Soliaktivitäten (wie z.B. Konzerte oder Soliparties) – die auch irgendwann von den Solidaritätsfonds organisiert werden können – einen symbolischen Eintritt* von ca. 2-3 Euro geben kann. Ein Beitrag, der gleich mit 1-2 Bier ist. Ich schlage dies vor, weil jede solche Aktivität in einem klaren politischen Rahmen stattfindet. Das Ziel ist nämlich die finanzielle Unterstützung von kämpfenden Menschen. Darüber hinaus wirkt das Bewusstsein jeder Person, die daran teilnimmt, als wichtigster Bestandteil des Kampfs. Deshalb, wenn man solche Aktivitäten besucht nur um Spass zu haben, ohne die Gründe, wegen denen sie organisiert sind, wahrzunehmen, heißt es einfach Mangel an politischem Bewusstsein. Vielleicht sag ich dies alles ein bisschen grob, aber ich habe oft selbst gesehen welche Art von Mentalität an solchen Orten herrscht. Das, was ich dazu denke, sage ich schon seit Jahren und nicht nur jetzt, weil ich mich selbst in Haft befinde.

Was die finanzielle Unterstützung anderer, nicht-anarchistischer Gefangener betrifft, die eine würdevolle und kämpferische Haltung in Knast zeigen, finde ich das sie auch im Solidaritätsfond miteinbezogen werden sollten, falls er natürlich zuerst seine primäre Ziele erreicht.

In Zusammenhang damit und auch um gleichzeitig mit meinen Genoss_Innen draußen ein bisschen von Alltäglichkeit des Überlebens im Knast zu teilen, möchte ich erwähnen, dass ich mich seit 6 Monaten in der selben Zelle mit drei „Mitbewohnern“ befinde. Bis jetzt konfrontieren diese Menschen die schwierigen Umständen des Knastes mit Würde und verhalten sich ganz korrekt. Das Geld, das jeder von uns jede Woche bekommt, benutzen wir gemeinsam, um unsere gemeinsamen Bedürfnisse (wie Kleinigkeiten vom Knast-Laden, Telefonkarten, etc.) zu decken. Ich bin der Meinung, dass auch unter diesen Umständen, auch auf der „mikromolekulären“ Ebene des Mitbewohnens in einer Zelle, einige Werte lebendig gehalten werden können. Ich meine solche Werte wie Solidarität und die Verweigerung von Trennungen und von autoritären sozialen Beziehungen, die sich aufgrund des Besitzes von kleinstem sogar materiellen (und nicht nur) „Gut“, wie z.B. einer Telefonkarte (die sich aber unter bestimmten Bedingungen in ein Objekt großer Macht und natürlich auch riesigen Austauschswert verwandelt) produzieren. Bezüglich der Frage der Kämpfer aus der Revolutionären Organisation 17. November, die für ihre politischen Aktivitäten keine Reue gezeigt haben, ist es für mich selbstverständlich, das auch sie unterstützt werden sollen und deswegen beziehe ich mich hier nicht speziell darauf.

Da die Genoss_Innen in der Versammlung im Juli es für notwendig fanden, nämlich dass wir alle, die “hinter der Mauer” sind, unsere Meinung über dieses Projekt äußern sollen, möchte ich zum Schluss sagen, dass es auch eine Weise ist, die uns ermöglicht sich weiter an der Szene zu beteiligen. Damit können wir das Hindernis von unserer “Abwesenheit in Person” überwinden und noch ein Kommunikationsmittel schaffen, welches – hoffe ich – auf länger dauern wird.

Bis zur kompletten Zerstörung aller Knäste.

Vielen Dank und genossenschaftliche Grüsse an alle Genoss_Innen, die sich Mühe machen am Nötigen sparen, damit wir mit Würde in griechischen Kerkern überleben können.

Kampf mit allen Mitteln bis zum Sturz des Regimes

Kampf bis zum Ende für Freiheit, Revolution und Anarchie

Ewige Ehre für den anarchistischen Kämpfer Lambros Foundas

Christoforos Kortesis

24/09/2010

Haftanstalt Korinthos

* Anmerkung der Übersetzer_in: normalerweise ist der Eintritt zu solchen Soliaktivitäten freiwillig im Rahmen der Antihandels-Logik

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