Die kommende Empörung
gefunden auf linksunten.indymedia.org, das Original in französischer Sprache auf www.lereveil.ch
Die kommende Empörung
Seit einigen Monaten schon kann man in mehreren Ländern Europas das Erscheinen einer Bewegung beobachten, die „die Empörten“ oder „reale Demokratie“ genannt wird.
Hier wie dort löste sie mehrere konditionierte Reflexe aus, die allgemeinen Fallen und Felsen im Kontext „sozialer Bewegungen“: zuerst der Fetischismus der Praktiken (wie die Platzbesetzung, das Sit-In, das Happening oder die Latschdemo und nun der Marsch…) und die strikte Beschränkung der Bewegung auf seine Praktiken, danach der Demokratismus (der religiöse Respekt und das Privileg, das kollektiven, in Versammlungen getroffenen Entscheidungen, die „repräsentativ sind für die Bewegung“, eingeräumt wird), der „Bürgernihilismus“ (bornierter Respekt des Gesetzes, der Wahl, der vom Staat gegebenen „Rechte“ und von ihm verlangten Pflichten) und die dogmatische Gewaltlosigkeit (die soweit geht, dass sogar Polizeigewalt gegen diejenigen, welche sich dem Dogma widersetzen, verteidigt wird) und somit der Hegemonismus (ein Teil der Bewegung übernimmt die Kontrolle über die Gesamtheit), und vor allem: die Abwesenheit einer revolutionären Perspektive und die Einkapselung in abstrakten und reformistischen Forderungen. Weit davon entfernt, eine revolutionäre Aufwallung oder eine authentische spontane Revolte zu repräsentieren, ist die Bewegung der Empörten schon eher Teil der Befriedung jeglichen realen Aufbegehrens (daher die Ablehnung der direkten Aktion), der Militarisierung des Staates (die im Ausland geführten Kriege und die Verstärkung der Repression im Innern, worüber das Schweigen der „Empörten“ mehr als suspekt ist) und der Aufstieg des Faschismus in der Gesellschaft, namentlich durch ebendiese Bewegung.
Die Krise als Befriedung
Seit mehreren Jahren schon benutzen alle europäischen Regierung, alle Tendenzen bunt durchmischt, von der sozialdemokratischen Linken bis zur reaktionärsten Rechten, das Argument der Krise, um jegliche Regung des Aufbegehrens zu betäuben. Einerseits gibt es die Erklärung der Regierungen, die auch diejenige des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank ist: die Krise sei eine Art metaphysisches Phänomen, das nicht mal die Ökonomen erklären können, eine Art Naturkatastrophe, die mit Hilfe von Reformpolitik und Sparplänen eingedämmt und bekämpft werden müsse. Als ob diese Krise nichts mit ebendieser Politik zu tun hätte, als ob sie das Resultat göttlicher Vorsehung wäre. Dieses Argumentarium hat tatsächlich zum Ziel, von der vom kapitalistischen System und seinen Staaten ausgelösten Krise zu profitieren, um die Sparpolitik zu rehabilitieren, die ebendiese Krise impliziert, mit der einzigen Absicht, den Kapitalismus einmal mehr gesund zu pflegen. Die „Empörten“ hingegen, in ihrer großen Mehrheit bar jeglicher Klassenanalyse und jeglicher Kapitalismuskritik, sehen im allgemeinen die Krise und die Sparpolitik als Resultat einer Kaste „Parasiten-Bankiers“ und eines „tentakelartigen Finanzimperiums“, oder „Neue Weltordnung“, die die Kassen geleert habe, als niemand hinschaute. Kurz: unnötig, sich über allzu komplizierte „politische Konzepte“ den Kopf zu zerbrechen: „Nieder mit dem NWO“ ist soviel cooler, soviel smarter und es fasst alles zusammen, ohne dass man überlegen müsste…
In beiden Fällen, und sowohl die Bewegung der Empörten wie auch die neue extreme Rechte oder Sarkozy, sie alle denunzieren schliesslich das „Scheitern der Banken“ wovon das kleine Volk gerettet werden müsse, ein „Finanzkapitalismus“, der verrückt geworden sei und der reguliert oder „gereinigt“ werden müsse und die Mittelklasse als „Opfer der Krise“. Der Grund dieser Bankanalyse ist simpel: diese Bewegung ist eben genau aus der sakrosankten Mittelklasse zusammengesetzt (die sowohl von Sarkozy, den Sozialdemokraten als auch von den neuen Faschisten à la Soral umschmeichelt wird). Eine Klasse, die die Effekte „der Krise“ noch kaum wahrnimmt, während die Mehrheit der Ausgebeuteten die Logik und die Lebensbedingungen im Kapitalismus seit jeher erdulden, die durch die Krise nur noch schlimmer wurden. Daher auch der Widerspruch zwischen dem Diskurs „für die Revolution“ der Empörten in bezug auf die arabische Welt – wo, wie in Tunesien, die tatsächlich dominanten Praktiken der Angriff auf die Symbole der Macht, die Zusammenstöße mit der Polizei, das Plündern der Supermärkte, Gefängnisaufstände und -brände und eine ganze Serie von Tatsachen waren, die eine wahrhafte Logik des Klassenkrieges und der revolutionären Guerilla bezeugen und eine Agitation, die, wenn sie als Erklärung auch nicht ausreicht, eine unbestreitbare Rolle spielte im Fall mehrerer Regime und im Sinneswandel der Armee oder der Polizei, die fühlten, dass der Boden unter ihren Füssen zu beben begonnen hatte – und dem Verhalten der selben „Empörten“ hier, die ein Tag oder ein kleines eingeschlagenes Schaufenster eines Ladens oder einer Bank als „Gewalt“ betrachten.
Hinter der Kritik des Finanzkapitalismus: linker Populismus und Antisemitismus
Eben diese Teilkritik der Banken, nicht als Rad des kapitalistischen Systems, sondern als „Nest von Parasiten“, das eine phantasmatische „Realwirtschaft“ zerstört habe, und die die Banken als zentrales Problem betrachtet, ermöglicht das antisemitische Hirngespinst einer Verschwörung welche vermeintlich versucht, die Welt zu kontrollieren. Denn durch den Versuch, das System der Banken und der Macht der großen multinationalen Unternehmen zu kritisieren, wenn auch nur teilweise, tappt die Bewegung der Empörten in die Falle eines typisch reaktionären und populistischen Diskurses und ist somit weit entfernt von jeglicher Kapitalismuskritik, sie bestätigt ihn sogar, indem sie die Rolle spielt, die von ihr verlangt wird: diejenige eines strikt gewaltlosen Aufbegehrens, bar jeglicher kritischer Substanz, die durch ihre Form jegliche wahre Bewegung (in der Art eines Generalstreiks oder eines Aufstands) verhindert und die Debatte nach rechts verlegt, in die grosse Falle der „Bürgerdebatte“ tappt. Total harmlos geworden durch ihren selbst proklamierten „apolitischen“ Charakter nimmt die Bewegung der Empörten in Tat und Wahrheit teil an der Aufrechterhaltung der Ordnung durch ein Spektakel des Aufbegehrens in einer vagen „Anti-System“-Front, welche das Feld frei lässt für eine liberale, populistische oder gar faschistische Vereinnahmung. Die obsessive Denunziation der „Neuen Weltordnung“ wiederholt letztendlich den neuen rechtsextremen Diskurs der Verschwörung der „Heimatlosen“ gegen „die Völker und die Nationen“. Und dieser Diskurs, abgesehen davon, dass er nach Niederlage stinkt, ist schlichtweg faschistisch da nationalistisch und antisemitisch. Lassen wir uns nicht über’s Ohr hauen: wo reales Aufbegehren verschwindet, machen die Reaktionäre Fortschritte.
EMPÖRUNG REICHT NICHT!
Es ist deshalb kein Zufall, dass man in Frankreich unter den Organisatoren der „Bewegung der Empörten“ etliche Verschwörungstheoretiker findet, die in Verbindung stehen mit rechtsextremen Bewegungen, welche den Antisemitismus durch ihre Pseudo-Kritik an der Finanz theorisieren. Das Konzept selbst des „Finanzkapitalismus“ war ein zentrales Thema in der Propaganda der Nazipartei in Deutschland und der Faschismen in Europa, um einen inneren Feind zu konstruieren und das Nationalgefühl zu umschmeicheln. Das von den Empörten hoch gehaltene Thema des „Bürgers“ erneuert ebenfalls diese konstante Abmahnung, die die Anordnung bedeutet, nicht zu revoltieren, sondern höflich seine Empörung zu zeigen. Sie basiert auf dieser edelmütigen Hypothese, dass die Unterdrücker schliesslich aufgeben würden in Angesicht der Vernunft, die „vom Volk“ öffentlich und friedlich ausgedrückt wird. Dieses saint-simonistische Märchen schliesst jedoch all diejenigen aus, die eben nicht als Bürger betrachtet werden: die Sans-Papiers, die „Kriminellen“ und all diejenigen, die ausserhalb der bürgerlichen Legalität und Legitimät agieren. All die Unerwünschten, ausgebeutet per Definition. Indem sie so tun als wollten sie eine „reale Demokratie“ kreieren, hat die Bewegung einzig die Entscheidungsmacht zentralisiert durch die Platzbesetzungsversammlungen und deren Auswüchse (wie die Kommissionen der „accampadas“ in Spanien), in der Hoffnung, die Revolutionen im Machrek und im Maghreb nachzuäffen (indem sie ohne jegliche reale Notwendigkeit, in fetischistischer Art und Weise, die sozialen Netzwerke des Typs Facebook benutzten), haben die Empörten einen Staat im Staat, einen Ersatz repräsentativer Demokratie und bürgerlichen Parlementarismus kreiert, wo jeglicher Wille, sich basisdemokratisch zu organisieren und lokal zu handeln, schlichtweg verunmöglicht wurde, insbesondere als in Barcelona der Wille zur Spaltung während der Besetzung, für den zwar mehrheitlich gestimmt wurde, von der Plattform der Besetzung zensiert oder als jegliche Debatte, die den gegebenen Rahmen verlässt, schlichtweg sabotiert wurde. Oder wie in Athen, wo die Empörten dazu aufriefen, die Täter „gewalttätiger Akte“ zu denunzieren und sie der Polizei vorzuwerfen: womit sie staatliche Repression im Namen der Gewaltlosigkeit unterstützten! Indem sie gefangen sind in einer hohlen apolitischen Rhetorik, in einem autoritären und bürokratischen Entscheidungsmodus, in einem abstrakten Pazifismus und einer dogmatischen Gewaltlosigkeit nehmen die Empörten an der Aufrechterhaltung des Status Quo teil, schikanieren sie jegliche Teilnahme Revoltierender oder Revolutionärer und öffnen im Gegenteil den reaktionären Kräften den Weg, die bis dahin auf den öffentlichen Plätzen nichts zu sagen hatten. Die revolutionäre Perspektive für „eine Empörung in Bewegung“ zu opfern bedeutet, den Strick zu flechten, an dem man uns aufhängen möchte.
Sich auf eine befriedete Empörung zu beschränken und auf „die Bankiers“ (obwohl diese, wie andere, mitverantwortlich sind für die Ausbeutung und die miserablen Lebensbedingungen der Mehrheit der Menschheit) zu fokussieren bedeutet, nicht zu sehen, dass sich überall auf der Welt seit dem Beginn der „Wirtschaftskrise“ Revolten, Aufstände und revolutionäre Situationen entluden, nicht nur gegen die Banken, sondern gegen den Kapitalismus, den Staat, die Regierungen, ihre herrschenden Klassen und ihre Bullen, ihre Gesetze, ihre Gerichte, ihre Gefängnisse und ihre Armeen. Es bedeutet, nicht zu sehen, dass die Sparpläne und die „Reformen des Steuersystems und des Banksystems“ die Politik der selben Regierungen und der selben Bourgeoisie ist, die behauptet, Opfer der „Krise“ zu sein und tatsächlich am meisten davon profitiert, um ihre Wirtschaft und ihre Privilegien zu retten.
Die Wut muss handelnd ausgedrückt werden! Gegen den Kapitalismus, gegen den Staat: ES LEBE DIE SOZIALE REVOLUTION! Die Wirtschaft ist krank? SIE SOLL KREPIEREN!
Einige AnarchistInnen