Thomas Meyer-Falk: Vergebliche Hoffnung für SVler
Immer wieder ist davon die Rede, die Sicherungsverwahrung treffe die „Gefährlichsten der Gefährlichen“. Als nun im Mai 2011 das Bundesverfassungsgericht die wesentlichen Regelungen zur SV als verfassungswidrig verwarf, keimte bei all diesen „Gefährlichen“ Hoffnung auf, die SV entweder nicht antreten zu müssen oder aus ihr entlassen zu werden. Für einige wenige Verwahrte oder von SV bedrohte Gefangene öffnen sich tatsächlich die Tore. Exemplarisch sei auf den Fall eines Einbrechers aus Bayern verwiesen (a.). Für die Mehrzahl der Betroffenen dürfte sich, folgt man den ersten einschlägigen Gerichtsentscheidungen seit dem Urteil des BVerfG, wenig ändern (b.).
a.) Einbrecher und vergleichbare Konstellationen
Am 22. Juni 2011 hatte das Oberlandesgericht Nürnberg (Az. 2 Ws 286/11, vgl. NStZ 2011, S. 640-641) über den Fall eines im Jahre 2004 verurteilten Einbrechers zu entscheiden. Wegen 19 Fällen des vollendeten und 8 Fällen des versuchten Diebstahls (Tatbeute: 6902 Euro; verursachter Sachschaden im Zuge der Einbrüche: 13.940 Euro) wurde dieser zu acht Jahren Gefängnis und, da nach Ansicht des LG München „für die Allgemeinheit gefährlich“, zu Sicherungsverwahrung verurteilt.
Das OLG entschied, dass die „Unterbringung (in der SV) für erledigt“ zu erklären sei, da zum 01.01.2011 eine Reform in Kraft getreten war, nach welcher nur noch bei – im Wesentlichen – Sexual- und Gewalttaten eine Verhängung der SV möglich sein soll (wobei es jedoch auch nach neuer Gesetzeslage die SV in darüber hinausgehenden Fällen , wie §§129 a/b StGB, besonders schwerer Fall des Landfriedensbruchs, schwere Brandstiftung, geben wird). Das Landgericht wollte die SV (noch) nicht für erledigt erklären, da erst das Haftende 2014 abzuwarten sei. Dem trat das OLG entgegen, da ansonsten der weitere Haftverlauf drohe beeinträchtigt zu werden.
Für Diebe, Einbrecher, Betrüger wird es wohl keine SV mehr geben, zumindest nach der geltenden Rechtslage. Wobei der Bundestag durch nichts gehindert wäre, auch für diese Deliktgruppen die SV später wieder einmal einzuführen, denn aus verfassungsrechtlichen Gründen hat bislang das BVerfG in solchen Fällen die SV nie beanstandet (gleichfalls unbeanstandet blieben entsprechende Urteile auch vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte).
Nicht betroffen von der neuen Rechtslage, dies der Vollständigkeit halber, sind wegen Drogenbesitzes und Drogenhandels Verurteilte; sobald bei diesen die Grenze zur „nicht geringen Menge“ überschritten ist, darf nach wie vor die Anordnung der SV erfolgen (in Bruchsal sitzen aktuell mehrere Betroffene ein; einem von diesen wurde lediglich Handel mit Haschisch zur Last gelegt. Sein SV-Antritt würde erfolgen, wenn er fast 70 Jahre alt sein wird, sollte nicht noch in der Zwischenzeit ein Gericht ein Einsehen haben).
b.) Restriktive Rechtssprechung nach Urteil des BVerfG von Mai 2011
Eine der ersten Entscheidungen erging wenige Tage nach dem Urteil des BVerfG. Das OLG Köln (Az. 2 Ws 261/11) befand am 18. Mai 2011 über die Fortdauer der Unterbringung in der SV im Falle eines heute knapp 50jährigen Mannes. Seit 2002 in Sicherungsverwahrung sitzend, weil er 1996 wegen Körperverletzung und Erpressung zu 7 Jahren Freiheitsstrafe, nebst Unterbringung in der SV verurteilt worden war (vgl. NStZ–RR 2011, S. 334-335). Seit 1978, im Alter von 14 Jahren, trat der Verwahrte immer wieder mit Körperverletzungen in Erscheinung, häufig nach Alkoholkonsum. Laut OLG habe er im Laufe der Jahre durch „gezielt gegen das Gesicht der Geschädigten geführte Fausthiebe“ die Körperverletzungen begangen.
Eine Freilassung lehnte, auch in Anbetracht des Urteils des BVerfG, das Oberlandesgericht ab, da der beschwerdeführende Verwahrte sogar während der Haft „aufgefallen“ sei. Und zwar durch „Alkoholkonsum“, sowie mit „verbalem und tätlichem Verhalten“. So habe dieser „zuletzt (…) in der JVA Aachen eine Packung Eier wütend in Richtung eines Bediensteten geworfen“. Auch aus diesem Verhalten zog der OLG-Senat den Schluss, dass von dem Betroffenen „unverändert schwere Gewalttaten drohen, würde er in Freiheit entlassen.“
Wenn nun schon Eierwürfe „in Richtung“ eines Wärters als Indiz für die Erwartung „schwerer Gewalttaten“ herhalten müssen, kann man sich unschwer vorstellen, wie schwierig es wird, entlassen zu werden.
Und auch das BVerfG macht nach seinem spektakulären Urteil vom 04. Mai 2011 nicht wirklich Hoffnung, denn in einem Beschluss vom 15.9.2011 (Az.: 2 BvR 1516/11) erläutert es, welche Anforderungen verfassungsrechtlicher Art an das Vorliegen einer „psychischen Störung“ zu stellen seien, welche für eine Fortdauer der SV bei „Altfällen“ (also jene, die vor 1998 verurteilt wurden und nun 10 Jahre oder länger in SV einsitzen) verlangt wird. Es sei keinesfalls erforderlich, dass ein Verwahrter an einer „im klinischen Sinne behandelbaren psychischen Krankheit“ leide; eine „psychische Störung“ decke ein sehr „breites Spektrum von Erscheinungsformen ab, von denen nur ein Teil (…) als psychische Erkrankung gewertet werden“ müsse. Ausreichend sei eine „spezifische Störung der Persönlichkeit, des Verhaltens“.
Hieran gemessen dürfte man Sicherungsverwahrte, welche nicht an solch einer „psychischen Störung“ leiden, mit der Lupe suchen müssen, denn nach teils jahrzehntelangen Haftaufenthalten bleiben „Störungen“ nicht aus. So wird letztlich einer Willkür Tür und Tor geöffnet. Eierwürfe dienen als Beleg für die Gefahr künftiger „schwerer Gewalttaten“ und eine „Störung der Persönlichkeit oder des Verhaltens“ reicht aus als Rechtfertigung für eine potentiell lebenslange Freiheitsentziehung, auch wenn diese dann „Sicherungsverwahrung“ heißt (oder wie auch immer sonst, denn die Bundesregierung erwägt den historisch belasteten Begriff der Sicherungsverwahrung, eingeführt 1933, zu ersetzen durch „Sicherungshaft“).
Zugleich wird in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt, es bestehe ein innerer Zusammenhang zwischen „psychischer Störung“ und der Gefahr schwerer Gewalt- oder Sexualtaten; was dann die schon heute existierende Diskriminierung von Menschen mit seelischen, bzw. psychischen „Störungen“ vertiefen dürfte.
Thomas Meyer-Falk
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