Thomas Meyer-Falk: Knast und Statistik 2011
Das Statistische Bundesamt mit Sitz in Wiesbaden gibt mehr oder minder regelmäßig umfangreiche Statistiken zu ganz unterschiedlichen Lebensbereichen in Deutschland heraus; so auch für den großen Bereich der „Rechtspflege“ und hierunter eingeordnet Zahlen zu und über Gefangene in der BRD.
A.) Bestand der Gefangenen am Stichtag 31. März 2011
Für tatsächlich inhaftierte 71.200 Gefangene und Sicherungsverwahrte standen insgesamt 77.669 Haftplätze zur Verfügung. Zieht man von den knapp 71.000 jene ab, welche in Untersuchungshaft gehalten werden, also noch nicht verurteilt sind und auf ihren Prozess warten (10.864), so verbleiben 58.568 Strafgefangene und Sicherungsverwahrte, sowie 1.768 in „sonstiger Freiheitsentziehung“ (z.B. Beugehaft, Erzwingungshaft) befindliche Personen.
Hier ist nun bemerkenswert die Entwicklung der Zahl der Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten im Verlauf der Jahre. Nach einem Hoch im Jahr 2007, als 64.700 gezählt wurden und 2010 immerhin noch 60.693, ist die Zahl weiter moderat zurückgegangen.
B.) Bestand der Sicherungsverwahrten am Stichtag 31. März 2011
Betrachtet man freilich die Zahl der Verwahrten (was ist Sicherungsverwahrung?), so wurden 487 gezählt, was zwar einen Rückgang im Vergleich zu 2010 bedeutet, als noch 536 in Verwahrung gehalten wurden, jedoch ist sie nach wie vor dramatisch hoch im Vergleich zu 1995 (183 Verwahrte) oder auch zu 2000 (219 Verwahrte).
C.) Offener Vollzug am Stichtag 31. März 2011
Wiewohl Gefangene eigentlich im Offenen Vollzug unterzubringen sind, soweit keine „Flucht- oder Mißbrauchsgefahr“, sprich die Begehung neuer Straftaten zu erwarten ist, saßen in den insgesamt 15 Anstalten des Offenen Vollzugs, die es in Deutschland gibt (zum Vergleich: Es gibt 156 Anstalten des „Geschlossenen Vollzugs“), nur 9.503 Inhaftierte, die so die Chance bekamen, durch eine Arbeit in Freiheit und regelmäßiges Verlassen der Anstalt ihre Wiedereingliederung voran zu treiben. Im Offenen Vollzug können in der Regel die Gefangenen tagsüber die JVA verlassen, um in Freiheit zu arbeiten und sind nur nachts und an den Wochenenden im Gefängnis.
Schaut man die Zahl der Sicherungsverwahrten, welche im Offenen Vollzug untergebracht sind an, so waren von den insgesamt 487 Verwahrten lediglich 9 im Offenen Vollzug!
D.) Dauer der Haftstrafen
Betrachten wir die Dauer der Freiheitsstrafen seit 1965, so stellen wir fest, dass kontinuierlich immer höhere und längere Strafen ausgesprochen werden, zumindest soweit es sich an den tatsächlich in Haft sitzenden Menschen ablesen lässt. Saßen 1965 nur 966 Menschen eine lebenslange Strafe ab, so waren es 2010 schon 2.048. Aber auch bei Strafen von bis einschließlich 9 Monaten Dauer stieg bspw. die Zahl der Gefangenen von 14.238 (im Jahr 1995) auf 19.959 (im Jahr 2010).
Nicht anders verhält es sich bei den Strafen, die zwischen dieser Spannbreite (9 Monate und „Lebenslang“) liegen.
E.) Entlassung „auf Bewährung“
Hier lässt die Statistik des Bundesamtes nur Aussagen für den Monat März 2011 zu, in wie weit eine Hochrechnung auf das Gesamtjahr zulässig ist, muss dahin gestellt bleiben. Insgesamt 1.283 Inhaftierte wurden „auf Bewährung“, also vor Vollverbüßung der Strafe entlassen. Dem stehen jedoch 4.853 Entlassungen nach Vollverbüßung gegenüber; sprich, lediglich 20,9 % der Entlassenen wurden vor Haftende frei gelassen. Dies deckt sich mit den Erfahrungen, die eine Vielzahl von Inhaftierten tagtäglich machen (müssen).
F.) Frauen in Haft
Alle bisher genannten Zahlen bezogen sich auf die Gesamtheit der Gefangenen, also Männer und Frauen. Jedoch differenziert das Statistische Bundesamt in seinen Veröffentlichungen auch zwischen den Geschlechtern.
So waren am 31. März 2011 von den 71.200 Inhaftierten 3.949 (d.h. 5,55 %) Frauen, in Sicherungsverwahrung saßen davon 3 (dies entspricht einem Anteil von 0,62 % an der Gesamtzahl von Sicherungsverwahrten von 487).
Im Offenen Vollzug saßen 601 Frauen (6,32 % der dort einsitzenden Gefangenen). Betrachtet man Männer und Frauen im Vergleich, so haben letztere eine minimal größere Chance, im Offenen Vollzug untergebracht zu werden als Männer (15,22 % der Frauen und 13,24 % der Männer waren in dieser Vollzugsform registriert).
Hinsichtlich einer Freilassung auf Bewährung wiederum scheinen die Männer leicht vorne zu liegen, da der Anteil „vorzeitig“ aus der Haft entlassener Frauen bei 18,93 % (110 Frauen bei insgesamt 581 Freilassungen) geringer ist, als der der Männer, 21,12 % (1.173 Männer bei 5.555 Freilassungen).
G.) Regionale Unterschiede
Je nach Bundesland besteht eine höhere oder eben geringere Wahrscheinlichkeit, im „Offenen Vollzug“ untergebracht zu werden. Wobei sich die Unterschiede kaum mit einer signifikanten Abweichung in der gemutmaßten „Gefährlichkeit“ der jeweiligen Insassinnen und Insassen erklären lassen dürfte.
NRW bringt immerhin 26 % seiner Strafgefangenen im Offenen Vollzug unter, Berlin sogar über 30 %; in Baden-Württemberg sind es dann schon lediglich knapp 16 %, in Bayern – wenige wird das überraschen – nur 6,9 %. Auch Hessen spielt in der „Bayern-Liga“, mit einer Quote von 9,6 %.
Wer in Sicherungsverwahrung sitzt, scheint gut daran zu tun, nach Baden-Württemberg zu kommen, denn dort sitzen 5 der bundesweit 9 im Offenen Vollzug (die übrigen 4 verteilen sich; zwei in Rheinland-Pfalz und zwei in Niedersachsen); wobei keine der drei weiblichen Sicherungsverwahrten in den Genuss dieser Unterbringungsform kommt.
Nicht anders die Verteilung, wenn man sich anschaut, wie es um die Haftentlassung bestellt ist. Bei 6.136 Haftentlassungen im März 2011 bundesweit (Vollverbüßung und „Bewährungsfreilassung“ zusammen), entfielen knapp 20 % der Vollverbüßungs-Entlassungen auf NRW, 11 % auf Bayern und 6,3 % auf Baden-Württemberg, sowie 5,7 % auf Sachsen. Man muss selbstverständlich berücksichtigen, dass ein großes Bundesland wie NRW wesentlich mehr Gefangene hat als zum Beispiel Sachsen. Setzt man die jeweiligen Entlassungszahlen in Beziehung zur Durchschnittsbelegung eines Bundeslandes, so wurden im März 2011 in Baden-Württemberg 5,2 % nach Vollverbüßung entlassen und 3,2 % „vorzeitig“ auf Bewährung. In Bayern 5,8 % Vollverbüßung und nur 1,9 % „vorzeitig“.
Berlin wiederum verzeichnet eine Vollverbüßerquote von 10,3 % und eine Bewährungsquote von 1,1 %. Gemessen an der Durchschnittsbelegung müssen also Gefangene in Berlin doppelt so häufig damit rechnen, bis zum letzten Tag einzusitzen als in Baden-Württemberg. Wer in NRW sitzt, hat eine gleichfalls geringere Wahrscheinlichkeit, auf Bewährung entlassen zu werden als im Vergleich zu Baden-Württemberg, denn nur 1,5 % der NRW-Gefangenen wurden „vorzeitig“ entlassen.
H.) Unterbringung in der Psychiatrie
Noch ein abschließendes Wort zu den Zahlen in der forensischen Psychiatrie (§ 63 StGB wegen Schuldunfähigkeit oder verminderter Schuldfähigkeit; § 64 StGB in einer Entziehungsanstalt bei Suchtthematik). Die Zahl der dort Untergebrachten ist im Jahr 2010 auf einem Höchststand von 9.590 Personen (darunter 668 Frauen) angelangt. Anfang der 90er Jahre betrug die Anzahl der dort eingewiesenen Menschen nur 3.649 (für 1990) und Ende der 90er 5.495 (darunter 268 Frauen). Auch deshalb protestieren regelmäßig Psychiater und deren Fachverbände gegen die immer mehr ansteigende Zahl von Einweisungen in die Psychiatrie seitens der Strafgerichte. Selbst Rentner findet man in der Forensik. Für 2010 teilt das Statistische Bundesamt 108 Personen mit, die nach § 63 StGB einsitzen (davon 3 Frauen) und 70 Jahre oder älter sind. Bezieht man die 60jährigen und älteren ein, so sind es schon 304 Untergebrachte (davon 27 Frauen).
I.) Zusammenfassung
Trotz sinkender Gesamtzahl der Inhaftierten steigt die jeweils zu verbüßende Haftdauer; ferner gibt es erhebliche regionale Unterschied, was die Form der Unterbringung (Offener vs. Geschlossener Vollzug), aber auch der Chance, „vorzeitig“ aus der Haft entlassen zu werden. Hier macht sich dann besonders deutlich, welchen Einfluss die jeweilige Landesregierung auf die Vollzugsgestaltung, aber auch auf die Auswahl der Richterinnen und Richter, die über eine Entlassung auf Bewährung zu entscheiden haben, nimmt. Es hängt also keineswegs ausschließlich vom Verhalten und der „Mitwirkungsbereitschaft“ der jeweiligen Inhaftierten ab, wo sie einsitzen (im geschlossenen oder offenen Vollzug) und wie lange, sondern auch und gerade in welchem Bundesland.
Thomas Meyer-Falk
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