Thomas Meyer-Falk: Zwangsmedikation in Psychiatrien

faust-durchs-gitterImmer wieder kommt es auch in forensischen Psychiatrien, also dort, wo Menschen, denen strafbares Verhalten vorgeworfen wurde, die aber mangels oder wegen eingeschränkter Schuldfähigkeit zur Unterbringung im „Maßregelvollzug“ anstatt zur Inhaftierung in einem Gefängnis verurteilt worden sind, zu Übergriffen auch in Form von Zwangsmedikation.
Beispiel Baden-Württemberg

§ 8 Abs. 2 des Unterbringungsgesetzes verpflichtet die Untergebrachten „diejenigen Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen zu dulden, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst erforderlich sind, um die Krankheit zu untersuchen und zu behandeln (…)“.

In einer weiteren Bestimmung (§ 12 a.a.O.) wird den Ärztinnen und Ärzten in den Psychiatrien des Landes das Recht eingeräumt „unmittelbaren Zwang“ anzuordnen, sprich auch Medikamente ggf. per Spritze verabreichen zu lassen.

Da stürzen sich dann mehrere Pfleger auf einen Patienten oder eine Patientin, pressen sie auf den Boden oder ins Bett und spritzen bspw. Neuroleptika.

Petition an den Landtag von Baden-Württemberg

Nachdem das Bundesverfassungsgericht am 23.03.2011 eine vergleichbare Regelung in Rheinland-Pfalz für verfassungswidrig erklärte (Az. 2 BvR 882/09) und die Presse darüber berichtete, dass auch in Baden-Württemberg PatientInnen ggf. gefesselt und zwangsweise (wie man so sagt) „abgespritzt“ würden, bat ich den Petitionsausschuss, nunmehr von der Mehrheit von SPD/GRÜNEN besetzt, nachdem diese die Landtagswahlen im März 2011 gewonnen hatten, zu prüfen, ob nicht diese menschenrechtswidrige Praxis sofort einzustellen sei.
Gerade die GRÜNEN gerieren sich ja besonders gerne als Vorkämpfer für Menschenrechte und zu Oppositionszeiten hatten sie gelegentlich durchaus ein offenes Ohr für die Belange inhaftierter Menschen.

Beschluss des Landtages vom 10.11.2011

Der Landtag hat dann in seiner 18. Sitzung am 10.11.2011 beschlossen, dass meiner Petition „nicht abgeholfen“ werden könne (vgl. Drucksache 15/779; dort 6. Petition 15/200 betr. Strafvollzug); die Mehrheit von GRÜNEN und SPD betonte, dass die Entscheidung des BVerfG vom März 2011 für Baden-Württemberg keine „unmittelbaren Auswirkungen“ entfalte, da sie die Rechtslage in Rheinland-Pfalz betreffe.

Sodann betonte die Mehrheit von GRÜNEN/SPD, dass die zwangsweise Gabe von Neuroleptika in der Tat „auch bei (…) neurotischen oder persönlichkeits-entwicklungsbedingten Störungen“ sinnvoll sein könne, wobei hiergegen keine Bedenken bestünden, da „es sich bei Neuroleptika um eine der weltweit am häufigsten verordneten Medikamentengruppen“ handele, deren Nutzen „bei weitem etwaige seltene Risiken“ überwöge. Schlussendlich würden die Ärztinnen und Ärzte in den Psychiatrien „mit großer Umsicht“ die Zwangsmedikation verordnen und durchführen.

Keine Stellungnahmen von GRÜNEN

Im Dezember 2011 und Januar 2012 bemühte ich mich vergeblich um Stellungnahmen der GRÜNEN, u.a. auch von Ministerpräsident Kretschmann. Ich hatte nämlich die GRÜNEN mit dem von ihnen in o.g. Landtagsbeschluss geflissentlich verschwiegenen Umstand konfrontiert, dass schon am 12.10.2011 (Az. 2 BvR 633/11) das Bundesverfassungsgericht eben diese Praxis, die die GRÜNEN so vehement verteidigten, auch für Baden-Württemberg für verfassungswidrig erklärten!

Weshalb, so frug ich, habe gerade die GRÜNE-Partei dem Parlament verschwiegen, dass die von ihr gebilligte Praxis des „Abspritzens“ von hilflos dem Personal ausgelieferten PatientInnen in dieser Form auch für Baden-Württemberg vom Bundesverfassungsgericht für „unvereinbar“ mit dem Grundgesetz, für „nichtig“ erklärt worden sei?

Eine Reaktion erfolgte nicht. Vielleicht weil man sich ertappt fühlte; die selbsterklärte Menschenrechtspartei, die sich gegen eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts auflehnt? Die es billigt, dass wehrlos den Ärztinnen und Ärzten ausgelieferte Menschen brutal gefesselt, fixiert auf den Boden oder das Bett gepresst werden und man ihnen dann eine Spritze ins Fleisch jagt, gefüllt mit Neuroleptika (1; 2), die zu schweren motorischen Ausfallerscheinungen, zu Krämpfen im Schlundbereich (mit Gefahr der Erstickung), die zu einer Einschränkung im Denken und Fühlen führen können. Eine Spritze nach der anderen, bis der Widerstandswille gebrochen ist und die PatientInnen sich so konform verhalten wie es den ÄrztInnen beliebt!?

Warum sonst schweigt der grüne Ministerpräsident? Warum sonst weigern sich die GRÜNEN sich zu dem von ihnen selbst verabschiedeten und auch zu verantwortenden Beschluss des Landtages vom 10.11.2011 zu äußern?

Nachspiel am 20.02.2012 (Rosenmontag)

Für den 20.02.2012 hatte sich selbst eingeladen: Herr Jürgen Filius, seines Zeichens GRÜNER Landtagsabgeordneter und Strafvollzugsbeauftragter seiner Fraktion im Stuttgarter Landtag.

Rosenmontag, Tag der Närrinnen und Narren, wie passend! Auf die Frage meinerseits, wie er zu dem Landtagsbeschluss und der Tatsache stehe, dass das Bundesverfassungsgericht die Praxis in Baden-Württemberg, Psychopharmaka zwangsweise zu verabreichen, verboten habe, kam der Politiker zum Vorschein.

Erster Schritt: am Thema vorbei argumentieren. Wobei auch das mitunter erhellend sein kann. Filius berichtete aus einem Gespräch mit dem Leiter der JVA, Thomas Müller, wonach in der Vollzugsanstalt immer mehr Psychopharmaka verordnet würden, nur so sei der „harte Haftalltag“ für viele auszuhalten.
Mein Einwand, man möge dann vielleicht die Haftbedingungen verbessern, verfing – selbstverständlich – nicht und führte zu einer weiteren Verschiebung des eigentlichen Gesprächsthemas. Nun sprach Filius über die Reform der Lebensbedingungen in der Sicherungsverwahrung und der erheblichen Ausweitung therapeutischer Behandlung dieser Klientel.

Zweiter und letzter Schritt: aufstehen und das Gespräch für beendet erklären, freilich nicht ohne noch einen „schönen Tag“ zu wünschen und noch ein, zwei Worte zur Demokratie zu verlieren, und welche hohe Bedeutung gerade für die GRÜNE-Partei die Demokratie habe.

Alles in allem eine fast für eine Karnevalsveranstaltung geeignete Vorführung, wäre nicht das Thema so ernst und traurig und der Ort des Gesprächs, die Justizvollzugsanstalt, so trist.

Ausblick

Legt man die kritiklose Billigung des „Abspritzens“ von wehrlosen Menschen in den Psychiatrien, welche in dem Landtagsbeschluss vom 10.11.2011 zum Ausdruck kommt, zu Grunde, kann einem angst und bange werden. Die Anti-Psychiatrie-Bewegung lehnt jegliche Zwangsmedikation ab, auch im Fall von akuten Psychosen. Selbst wenn über letzteres dann immer noch (heftig) gestritten werden kann, die Zwangsmedikation von lediglich neurotischen Menschen, um so angeblich den „therapeutischen Zugang“ zu erleichtern, ist gänzlich inakzeptabel. Eine solche Praxis eröffnet nämlich letztlich die Möglichkeit jeden Menschen, der nicht in die Vorstellungswelt des Personals passt, medikamentös zu „behandeln“.

Wenn sich dann GRÜNE und SPD hinstellen, obwohl schon einen Monat zuvor das Bundesverfassungsgericht diese Praxis für verfassungswidrig erklärt hat, und betonen, wie angeblich verantwortungsvoll die ÄrztInnen des Landes mit dem „Abspritzen“ wehrloser Menschen umgingen, klingt das wie Hohn.

Vielleicht schafft es eine kritische Öffentlichkeit, die grün/rote Koalition im Stuttgarter Landtag von ihrem Irrweg abzubringen.

Thomas Meyer-Falk
c/o JVA – Z. 3113
Schönbornstr. 32
D-76646 Bruchsal

www.freedom-for-thomas.de
www.freedomforthomas.wordpress.com

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1 Response

  1. 09/07/2014

    […] das Bundesverfassungsgericht peu a peu die Landesregelungen in Deutschland zur Zwangsmedikation für verfassungswidrig erklärte. Aber das OLG Stuttgart stellte noch vor Monaten in den Raum, dass sobald neue Gesetze die […]