Thomas Meyer-Falk: Knast und Kriminalitätsfurcht
Sicherheitsgefühl und Kriminalitätsfurcht beherrschen vielfach die Diskussion, wenn über den Strafvollzug und die dort einsitzenden Gefangenen die Rede ist. Medien und Politik tun das ihre, um bestehende Vorurteile zu verstärken und tendenziell Stimmung gegen Gefangene zu machen.
Schaut man sich die einschlägigen Statistiken, von welchen im Folgenden die Rede sein soll an, so wird deutlich, wie sehr die Stimmungsmache Wirkung zeigt.
A.) Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS)
In der PKS veröffentlicht das Bundesministerium des Inneren alljährlich die der Polizei bekannt gewordenen Straftaten, bietet also einen Einblick in das Hellfeld der Kriminalitätsentwicklung in Deutschland (das Dunkelfeld, also jene Delikte, die nicht zur Anzeige gebracht werden, wird nicht erfasst).
Erfasste die PKS 1993 circa 6,75 Millionen Fälle, so waren es für 2008 nur noch 6,11 Millionen. Davon waren über 55 % der Delikte Diebstahl oder Betrug.
Wichtig zum Verständnis ist, die Zahl der Delikte in Bezug zur Einwohnerzahl zu setzen, denn es macht einen Unterschied, ob wenige Menschen viele Taten oder viele Menschen wenige Straftaten begehen. Vor 16 Jahren, also 1993 zählte das Statistische Bundesamt circa 80,9 Millionen Einwohner, 2008 waren es schon 82,2 Millionen.
Das bedeutet, im Vergleich der Jahre 1993 und 2008 stellen wir einerseits einen Rückgang der erfassten Delikte um etwa 636 000, zugleich aber eine Zunahme der Bevölkerungszahl um 1,2 Millionen fest.
Der subjektive Eindruck vieler Bürgerinnen und Bürger, es würden immer mehr und immer schwerere Straftaten begangen, lässt sich statistisch nicht belegen. Vielmehr ist das Gegenteil richtig.
Sexualdelikte, die immer gerne von Politik und Medien heran gezogen werden, um Gesetzesverschärfungen zu begründen (aktuell die Bestrebungen der Bundesministerin von der Leyen, auf dem Rücken missbrauchter Kinder eine umfassende Internetzensur – erfolgreich – durchzusetzen), werden in ihrer Zahl, so schockierend und traurig jeder Einzelfall ist, überschätzt. Wie hoch schätzen Sie den Anteil von Sexualtaten an der Gesamtkriminalität? 5 %? 10 %? 20 %? 30 %?.
Es sind exakt 0,9 %! Wobei man natürlich berücksichtigen muss, dass es sich dabei um die zur Anzeige gebrachten Fälle handelt (vgl. obige Bemerkung zum Dunkelfeld).
Die Zahl der Tötungsdelikte sinkt ebenso wie die Zahl der Raubüberfälle.
Während somit trotz steigender Bevölkerungszahl (1993 – 2008) die Zahl der erfassten Straftaten, wie auch die Anzahl der schweren Gewalttaten sank, stieg die Zahl der Gefangenen und Sicherungsverwahrten.
B.) Gefangenenstatistik
Die Zahl der Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten sank von 1965 bis 1995 auf 46.516 (1965: 49.573), um seitdem wieder zu steigen, auf zwischenzeitlich 62.348 (für 2008).
Befanden sich 1995 ungefähr 0,057 % der Bevölkerung in Strafhaft oder Sicherungsverwahrung, waren es 2008 schon 0,076 %, was immerhin einer Steigerung von 33,38 % entspricht (im selben Zeitraum 1995 – 2008 sank die in der PKS erfasste Zahl der Fälle um 8,32 %!).
Noch frappierender ist die Situation für in der Sicherungsverwahrung untergebrachten Menschen. Die SV ist nach dem Gesetz als Maßregel der Besserung und Sicherung für die (angeblich) schwersten Fälle von „Gewohnheitsverbrechern“ gedacht, wobei die SV – nach diversen „Reformen“ – mittlerweile auch gegen Ersttäter und nach Jugendstrafrecht Verurteilte (dann auch nachträglich) verhängt werden darf.
Deren Zahl, d.h. der in SV Untergebrachte, sank von 1965, als 1430 in SV saßen, auf 183 im Jahr 1995. Seinerzeit wurde sogar die Abschaffung der SV diskutiert und es gab entsprechende parlamentarische Initiativen, unter anderem von den GRÜNEN.
Aber zwischenzeitlich stieg die Belegung der SV um sage und schreibe 152 %! Zum Stichtag 30.11.2008 waren in Deutschland 461 in Sicherungsverwahrung untergebracht, so viele, wie seit Anfang der 70’er Jahre nicht mehr. Und auch für Frauen wird das Klima härter: Waren über, man kann sagen Jahrzehnte, keine Frauen in Sicherungsverwahrung oder nahezu keine (von 1980 – 1990 je 1; bis 2006 keine) sind zum Stichtag 30.11.2008 drei Frauen in SV.
Auch die Lockerung des Vollzugs, um dadurch Gefangenen eine Reintegration in die Gesellschaft zu ermöglichen, etwa in Form des „Offenen Vollzugs“ (dabei kann der/die Gefangene tagsüber in Freiheit arbeiten, muss aber abends und am Wochenende ins Gefängnis) nimmt sukzessive ab; trotz steigender Gefangenenzahl nimmt die Zahl derer, die im Offenen Vollzug untergebracht sind, ab. Wer übrigens in der SV sitzt, hat so gut wie keine Chance auf den Offenen Vollzug. Waren es 2004 noch 8 von 334 Verwahrten, ging die Zahl auf 7 im Jahr 2008 zurück, bei nunmehr jedoch 461 Verwahrten (ein Rückgang von 36 %).
C.) Resümee
Strafvollzug, Verbrechen im Allgemeinen eignen sich als Projektionsfläche für Ängste und als Instrument „Sicherheitspolitik“ zu betreiben und Auflage, bzw. Einschaltquote zu steigern. Objektiv rechtfertigen lassen sich die Steigerungen der Zahl der Gefangenen und Verwahrten ebenso wenig, wie der Rückgang der Vollzugslockerungen. Letztlich sind Gefangene auch nur Spielball von Politik, Justiz und Medien. Angesichts der aufgezeigten irrationalen Entwicklungen sollte über Alternativen zu Knast mehr denn je nachgedacht werden.
Quellen:
PKS 2008, Hrsg. Bundesministerium des Inneren;
Statistisches Jahrbuch 2008, Hrsg. Bundesministerium für Arbeit und Soziales;
Bestand der Gefangenen und Verwahrten, Fachserie 10 des Statistischen Bundesamtes, www.destatis.de
Thomas Meyer-Falk
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