Smily: Stammheim – Die Rache

Freiheit für Smily - inhaftiert in StuttgartIm folgenden publizieren wir einen Beitrag des in der JVA Stuttgart Stammheim inhaftierten RASH-Aktivisten Smily. Weitere Texte von ihm unter www.solikreis-stuttgart.tk

Reaktionen auf meinem letzten Artikel und vermutlich auch auf vorangegangene Veröffentlichungen aus dem Anstaltsleben der JVA Stammheim sollten auch diesmal nicht ausbleiben und die Repressionsmaschine wieder anschmeißen.
Mittlerweile hat man mich isoliert und in eine Einzelstelle gesteckt, was vom anstaltsinternen Sicherheitsdienst angeordnet wurde. Wie es dazu kam, warum ich brandgefährlich bin und warum ich diesbezügliche von einem Racheakt ausgehen kann, möchte ich im folgenden darstellen.

a) Chronologischer Ablauf

Wir waren zu dritt für einige Monate in einer 4er-Zelle untergebracht. Giovanni, Marc und ich sind schnell zu einer Gemeinschaft zusammengewachsen und die Zeit, als der größte Gegner im Knast, verging wie im Flug. Nun kam der Tag an dem Giovanni seine langersehnte Gerichtsverhandlung erleben sollte und sogar entlassen wurde, womit keiner gerechnet hätte. Wir freuen uns sehr für ihn und wünschen ihm alles Gute für die Zukunft! Jetzt wollte ein anderer Kollege von uns seinen Platz einnehmen und wir hatten natürlich auch Interesse daran unsere Zelle mit erträglichen Leuten zu füllen, bevor man uns wieder irgendwelche Spinner reinsteckt. Es sollte aber ganz anders kommen…

Als der Kollege, der auch nur zu zweit auf einer 4er-Zelle untergebracht war, den Stockwerksbeamten M. auf einen möglichen Einzug in unsere Zelle ansprach, erwiderte ihm dieser dass er das nicht will, weil Marc und ich „schlechter Umgang“ für ihn seien. Außerdem würde unsere Zelle ohnehin bald aufgelöst (…) Das erzählte mir der Kollege am nächsten Morgen kurz vor dem Hofgang, am selben Tag sollten aber noch 2 Zellendurchsuchungen bei uns stattfinden. Eine davon morgens, während wir am Hofgang teilnahmen, also in unserer Abwesenheit, und die andere dann nachmittags. Das dürften dann rund 10 Zellendurchsuchungen innerhalb der letzten 14 Tage gewesen sein. (…) Vorangegangene Zellendurchsuchungen fielen uns immer auf, weil jedes Mal nach dem Hofgang die Zeitungen, mit denen wir die grellen Neonröhren abgehängt hatte, runtergerissen waren und unsere Post durchwühlt war. Die letzte Zellendurchsuchung sollte aber noch intensiver vollzogen werden – hierzu musste man uns extra vorübergehend in eine andere Zelle stecken – und man nahm sich mit den angerückten 5 Beamten etwas mehr Zeit dafür. Auf meine Frage was genau sie denn eigentlich suchen, kam auch gleich die alles erklärende Antwort „wir suchen nichts, das Übliche eben…“ Nach etwa einer ¾ Std. holte man Marc und ich dann aus unserer Wartezelle und ließ uns wieder herein. Nun fiel mir als erstes schon auf dass all meine politischen Poster von der dafür vorgesehenen Bilderleiste abgerissen waren. Einer der Beamten sagte mir gleich dass das der Wind gewesen sein muss, ich wüsste ja selber wie das sei wenn beide Fenster geöffnet sind und die Zellentür auch, da zieht es eben. Komischerweise hingen aber die Poster der nackten Damen an der Bilderleiste daneben alle noch, da war „der Wind“ wohl gnädig. (…) Abgesehen davon zieht es in unserer Zelle aber auch nur wenn es draußen windig ist, das wussten wir ja, und an diesem Tag war es eigentlich ziemlich windstill wie uns auffiel. Unsere Post und sämtliche Klamotten waren auch komplett durcheinandergebracht, man hatte nicht ausgelassen.

Sensationelle Funde konnten die Beamten jetzt verbuchen! Wir hatten 5 Rollen Klopapier und einige Anträge zu viel auf der Zelle, was man natürlich gleich konfiszieren musste, generell zu viel Papier in der Zelle (Zeitungen etc.) und bemalte Schranktüren. Schwer kriminell also 🙂 Dass der gesamte Schrank schon längst vor unserem Einzug in diese 4er-Zelle bemalt war interessierte die Beamten natürlich nicht und eine Schadensmeldung wurde auch schon angekündigt. So zogen die Beamten wieder von dannen und waren sichtlich froh über ihre „große Ausbeute“. Wir begannen dann erst mal wieder mit dem Aufräumen…
Wie schon erwähnt berichtete mir der andere Kollege am darauf folgenden Morgen, dass er wohl nicht auf unsere Zelle darf, weil wir „schlechter Umgang“ für ihn wären und unsere Zelle angeblich aufgelöst werden soll. Zufällig konnte er auch einen Blick in unsere Zelle werfen als sie gerade durchsucht wurde – er kam gerade zurück von seinem Besuch – und sah wie man unsere Schrank-türen fotografierte. Ich fragte den Beamten M. der ja auch eine Doppelrolle im Sicherheitsdienst spielt, aber auch nochmal selbst warum denn der Kollege nicht zu uns in die Zelle darf. Dieser antwortete nur plump und ein bockiges Kind „weil ich das nicht will“ (…) Das war mir dann auch gleich schon zu blöd und ich begab mich zurück in unsere Zelle, als mich auf dem Rückweg auf einmal einer der Reiniger ( Gefangene aus unserem Stockwerk, die das Essen austeilen und putzen, sie genießen dadurch minimale Privilegien anderen Gefangenen gegenüber) zusammenscheißen wollte. „Alter, was hast Du gemacht, die ganzen Anträge die ihr gesammelt habt, jetzt dürfen wir morgens nicht mehr so viele austeilen wie sonst, die Anderen regen sich schon voll auf“, bla bla. Ich sagte ihm er soll sich mal nicht ins Hemd machen, schließlich wüsste er ja wie das ist, man geht morgens verschlafen an die geöffnete Zellentür und nimmt dann eben alles was man kriegen kann, bevor man zu wenig hat, was ja auch schon oft vorkam. Außerdem bin ich ja nun fast 10 Monate hier und logisch sammelt sich da was an, bei wem denn nicht? Da kam er dann erst mal wieder runter und merkte erst wie lächerlich das eigentlich ist und dass er im Grunde nur gegen uns aufgebracht wurde, wie man es auch bei anderen versucht hat. Einer beschwerte sich weil es morgens auf einmal so wenig Anträge gibt, dem sagte man „bedanken Sie sich beim Herrn S.“, also war ich gemeint. (….) Im Gegensatz zu dem Reiniger begriff aber der Rest unseres Stockwerks gleich, dass wir wieder aus irgendwelchen Gründen in ein möglichst schlechtes Licht gerückt werden sollten und man die Gefangenengemeinschaft damit stören wollte. Wir machten uns am nächsten Tag auf dem Hofgang schon wieder zusammen darüber lustig wie doof doch die Beamten eigentlich sind. Uns war aber auch allen klar, dass das wohl erst der Anfang einer Strategie gegen uns sein muss, die uns irgendwie auseinandertreiben sollte. Das sollte sich dann auch am Nachmittag bestätigen, als der Beamte M sichtlich froh mit der schon angekündigten Schadensmeldung an der Zellentür stand. Er ließ gar nicht mit sich diskutieren und eröffnete sogleich dass einer von uns beiden, Marc oder ich, für den „Schaden“ aufkommen muss. Man könne den Schaden auch auf beide aufteilen. Es war uns viel zu blöd und der Schaden betrug 44 € für alle 4 Schranktüren. Bei diesem Schnäppchen musste ich zuschlagen und nahm den Schaden kurzerhand auf mich. Es kommt fast einem Haustürgeschäft gleich, aber wir wollten einfach, dass er geht und wir unsere Ruhe haben. Als wir dann am nächsten Tag vom Hofgang zurückkehrten, mussten wir feststellen, dass in unserer Abwesenheit die 4 Schranktüren abmontiert wurden, so dass die Schränke offen standen und den Inhalt preisgaben. Darüber mussten wir noch lachen. Zeitungen für die grelle Neonröhre waren natürlich auch wieder abgerissen… Jetzt war auch der Tag der Verhandlung für Marc angebrochen und er kam mit einem rechtskräftigen Urteil zurück. Ganz eilig hatte man es ihn schon am nächsten Tag (!) nach Bruchsal zu verlegen. Mir sagte man, dass ich nun eine Einzelzelle beziehen muss, weil der Sicherheitsdienst Interesse daran hat, diese 4er-Zelle endlich aufzulösen. Direkt gegenüber im langen Flügel des Stockwerks war auch noch eine Einzelzelle frei, die 665. Ich hätte es dahin nicht so weit gehabt mein ganzes Zeug hineinzuschleppen, deswegen fragte ich den Beamten V., ob ich dort rein könnte, dieser meinte der Sicherheitsdienst (der Beamte M. also) will, dass ich die Zelle 610 im kurzen Flügel am anderen Ende des Stockwerks beziehe. (…)

b) Schlussfolgerungen

1. Schlechter Umgang
Hier offenbart sich schon der „erzieherische Auftrag“. Abgesehen davon, dass der Beamte M. Mit einem erwachsenen Mann wie mit einem kleinem Kind redet und sich dadurch anmaßt die „Vaterrolle“ zu übernehmen, dürfte klar sein, was er mit „schlechtem Umgang“ eigentlich meint und das wird wohl das politische Bewußtsein darstellen, welches sich politisch interessierte Leute bei politisch aktiven Leuten aneignen könnten und nur das will der Beamte vermeiden.

2. Auflösung unserer 4er-Zelle
Mir selbst konnte der Beamte M. natürlich nicht sagen, dass es schon längst geplant war unsere Zelle aufzulösen, deshalb sagte er auch nur, dass er das einfach nicht will, dass ein anderer unsere Zelle bezieht, ohne irgendwas zu begründen. Das muss er rein rechtlich leider auch nicht. Jedenfalls wird hier aber auch wieder einiges klar. Seit der Gründung unserer ersten 4er-Zelle im Februar 2012, als sich 4 Gefangene, die sich gut verstanden (Miguel, Flamur, Pana und ich) zusammentaten, um für eine gemeinsame Zelle zu kämpfen – und das mit Erfolg – steckte man im weiteren Verlauf immer dubiosere Gestalten in unsere Zelle wenn es freie Plätze gab. Offenbar um die Gefangenengemeinschaft zu sprengen. Junkies, psychisch gestörte, es war nahezu alles dabei. Keiner von ihnen hielt es lang mit uns aus und verließ wieder so schnell es ging unsere Zelle. Wenige Glücksgriffe gab es dann aber auch wie z.B. Marc und Giovanni, die sich in die Gemeinschaft schnell einfügten und sich zu Mitstreitern entwickelten. Wir hatten viel Spaß, so dass man manchmal sogar vergessen hat eingesperrt zu sein und das sieht man als Beamter im Knast natürlich nicht gern, denn Knast muss scheiße sein bzw. eine Strafe. Währenddessen man mit diesem Grundsatz aber bei anderen großzügig verfährt und ihnen ihre Gemeinschaft gönnt scheint es umso wichtiger zu sein Gemeinschaften mit antifaschistischem Anspruch und politischem Bewusstsein zu stören, und wenn das nicht klappt, muss man sie eben irgendwann auflösen….

3. Ständige Zellendurchsuchungen
Sicher ist es sehr ironisch, dass man hier in der JVA anfangs einen „Mietvertrag“ unterschreiben muss. Andererseits ist es aber wirklich auch als ein Eindringen in die Privatsphäre zu empfinden, wenn man vom Hofgang kommt und bemerken muss, dass einem sämtliche Klamotten durchwühlt wurden und die individuelle Gestaltung des Raumes stets niedergerissen wird. Ich denke, ich brauche nicht wirklich zu erwähnen, dass einen so was psychisch beeinträchtigen kann und dass genau das so manchen hier an den SEK-Einsatz in der eigenen Wohnung erinnert. Hier allerdings in periodischer Form…

4. Die „geklauten“Anträge
Anträge sind hier quasi das wichtigste Werkzeug eines Gefangenen. Man gibt sie morgens ab, um persönliche Anliegen vorzubringen. Ohne sie machen die JVA- Beamten hier wirklich gar keinen Finger krumm, egal um was es geht. Nachmittags um 14:30 Uhr, also zur Stammheimer Abendessenszeit, werden sie dann mündlich beantwortet. Dann bekommt man noch seine Post und das „Abendessen“, die Tür geht zu und der Tag ist gelaufen.(…) Es werden durch die Reiniger jeden Morgen um 6:30 Uhr Anträge an die Gefangenen verteilt. Nun wird das ganze Stockwerk gemaßregelt, weil sich auf unserer 4er-Zelle ganze 80 Anträge im Laufe der Zeit angesammelt haben. Nun kurz zum Verständnis der ungeheuren Menge: 80 Anträge werden hier auf dem Stockwerk locker an einem einzigen Morgen verteilt. Zumindest jetzt. Vor unserer „skandalösen Aneignung“ dürften es um die 240 gewesen sein, manchmal auch gute 320. Es handelt sich hierbei auch nicht um mehrseitige Blätter, oder gar besonders qualitatives Papier, es sind nur einzeln kopierte Billigpapiere mit freien Feldern darauf, aber auch hier kündigte man schon eine weitere „Schadensmeldung“ an…

5. „Bedanken Sie sich bei Herrn S.“
Was hiermit bezweckt wird, dürfte mehr als deutlich sein und dass sich der Reiniger über unsere „angeeigneten“ Anträge aufgeregt hat, auch irgendwo verständlich. Immerhin ist er derjenige der hierfür am Morgen den meisten Ärger abbekommt, währenddessen sich der Beamte M. sich nur aus der Affäre zieht und auf „Herrn S.“ verweist. Das verwendete Mittel des Entzugs des wichtigsten Werkzeug eines Gefangenen zu verwenden, um offensichtlich nur meine Mitgefangenen gegen mich aufzubringen erscheint hier mehr als dreist….

6. Die bemalten Schranktüren
Dass den Beamten Sprüche wie „Ich bin nichts, ich kann nichts, gebt mir eine Uniform“, „deutsche Polizisten- Mörder und Faschisten“, „7.Stock- das war Mord“ usw. auf den Schränken der JVA nicht sonderlich gut gefallen, wenn sie diese während der heimlichen Zellendurchsuchung sehen müssen, leuchtet schon ein. Nur geht es ja hier um eine angebliche Sachbeschädigung – wie sie zumindest vorgeben wollen – und nicht um ihre persönlichen Gefühle. Nun war aber auch neben obengenannten Sprüchen Geseier wie „Jesus Christ mercy me, Ostern 2011“ und viel anderer Quatsch auf die Schränke gekritzelt, den man kaum uns zuordnen könnte. Somit durfte den Beamten eigentlich klar, sein dass hier schon vor unserem Einzug in die Zelle eine „Sachbeschädigung“ stattfand. Demnach kommt hier also einzig und allein ein Rachegedanke mit der Rechnung von € 44 zum Ausdruck, sonst nichts…

7. Marcs rasche Verlegung nach Bruchsal
Ich habe im gesamten Verlauf meiner Haftzeit noch kein einziges Mal erlebt, dass man jemanden so schnell verlegt hat. Früheste Verlegungen von rechtskräftig verurteilten Gefangenen fanden erst nach mindestens einer Woche statt, die meisten verbringen hier aber noch um einiges mehr Zeit bis zu ihrer Verlegung. Mit Marc hatten sie es nun besonders eilig ihn loszuwerden, indem sie ihn direkt einen Tag nach seiner Verhandlung wegschaffen mussten…

8. Der Sicherheitsdienst
Seit nun schon fast 10 Monaten Gefangenenschaft in der JVA Stammheim bin ich als Gefangener niemals negativ aufgefallen. Zumindest was diverse Straftaten angeht. Ich hatte im Gegensatz zu anderen bisher keine einzige Schlägerei, noch hat man bei mir Drogen gefunden o.ä. woraus man mir einen Strick drehen könnte. Wenn ich nun aufgefallen bin, dann ja wohl nur durch 5 Rollen Klopapier zu viel, „unterschlagene“ Anträge oder angemalte Schränke. Das könnte man jedem zweitem hier anhängen, wenn man will. Was veranlasst die Anstalt ausgerechnet jetzt dazu den Sicherheitsdienst bei mir einzuschalten? Was macht mich nun auf einmal so gefährlich, dass man von einer besonderen Dringlichkeit der angeblichen Sicherheit ausgeht?

9. Die Einzelzelle
Dass ich nun ausgerechnet alleine Zelle 610 im anderen Flügel des Stockwerks beziehen musste, obwohl im gleichen Flügel direkt gegenüber von unserer 4er-Zelle eine Einzelzelle frei war, 610 eigentlich eine Doppelzelle ist und das auf Anweisung des Sicherheitsdienstes geschah, war jetzt nicht nur für mich merkwürdig. Einige meiner Mitgefangenen gehen sogar davon aus, dass diese Zelle verwanzt ist oder womöglich auch optisch überwacht wird. Es erscheint vielleicht paranoid, doch wenn ich mir so mitansehe, wie man hier mit anderen politischen Gefangenen verfährt – und da möchte ich gerade mal auf unsere kurdischen Genossen hinweisen – dann kann ich das auch nicht hundertprozentig ausschließen. Eines ist jedenfalls klar, nämlich dass man offensichtlich die Isolation verstärken will. Weiter wird auch klar, wenn ich hier aus dem Fenster blicke, so kann ich weder den Arbeiterhof sehen, noch in den Innenhof schauen, wo Gefangene transportiert werden. Ich sehe nur die Dächer des inneren Gebäudekomplexes zwischen Bau I und Bau II. Sprich, ich kann also weder mitbekommen, wenn die gefangenen Arbeiter wieder streiten, noch Neonazis im Innenhof beobachten, die im Schutze der Beamten Hitlergrüße zeigen können. Alles nur Zufall?

Insgesamt schließe ich aus dem ganzen Konstrukt jüngster anstaltsinterner Ereignisse, also die Sicherheit mit der argumentiert wird, die man aber nicht begründen kann, die Kriminalisierung durch Sachbeschädigung und „unterschlagene“ Anträge oder Klopapier, dass es eben nicht um die Sicherheit anderer Gefangenener vor mir oder meine eigene Sicherheit gehen kann. Womöglich geht es hierbei vielmehr um ihre Sicherheit, weil der eine oder andere Beamte hier vielleicht mittlerweile schon um seinen Job bangt. Der Rachegedanke in diesem Konstrukt offenbart sich an mehreren Stellen sehr deutlich, nicht zuletzt spielten sich auch alle hier beschriebenen Ereignisse exakt nach Veröffentlichung meines letzten Artikels „Stammheim Reloaded“ ab. Und wenn das nun nicht eine Art Racheakt im Zuge meiner für sie doch recht ungünstigen Berichterstattung über ihre Anstalt sein soll, wie erklärt sich dann sonst dieses lächerliche Schauspiel? Ist es das breite Maß an Solidarität von draußen, das mich nicht in Depressionen versinken lässt, wie manch anderen hier und wodurch ich eigentlich nur Stolz empfinden kann und ihre Mauern geistig durchbreche?

Ist es der Frust darüber, dass ich mich nicht brechen lasse und man aus mir vermutlich keinen bloß funktionierenden Bürger mehr machen kann, der niemals hinterfragt oder reflektiert und alles glaubt, was ihm staatsnahe Medien präsentieren? Oder ist es doch nur mein politisches Bewußtsein an sich mit dem sie scheinbar nicht umgehen können und was sie offensichtlich auch regelmäßig wütend macht? Ich weiß es nicht und im Grunde ist es mir auch scheißegal, doch spricht das für mich alles eine Sprache: „Wir werden euch hier wieder zu brauchbaren Menschen machen, oder ihr sterbt hier. Und das Sterben ist hier nicht so einfach, wie es sich anhört. Das werdet ihr bald begreifen….Ihr seid keine Strafgefangenen, ihr seid nur Häftlinge, und was das bedeutet, werdet ihr, wenn ihr es noch nicht wisst, bald erfahren. Ihr seid ehrlos und wehrlos! Ihr seid rechtlos! Euer Los ist ein Knechtlos! Amen.“ (SS- Mann im Konzentrationslager aus „Der Weg in das Konzentrationslager- Bericht eines Häftlings“)

Und damit meine ich jetzt nicht nur die Zwangsinstitution der JVA, die aus uns brauchbare Sklaven in der kapitalistischen Zwangsgesellschaft machen soll, sondern den gesamten Staatsapparat mit all seinen Funktionären und auch andere Parteien, die sich hart gegen mich engagiert haben. An dieser Stelle auch gleich noch mal noch Grüße an das Kleinbürgertum aus den eigenen Reihen: Tolle Sache, mit Freunden wie Euch braucht man fast keine Feinde mehr!

C) Nachtrag

Zum Schluss möchte ich die Gelegenheit noch nutzen, um ein paar ergänzende Worte zu meinem vorangegangenen Artikel „Stammheim Reloaded“ zu verlieren. Vor ein paar Tagen erreichte mich ein Brief von einem Freund, der einige Kritikpunkte zu meinem letzten Artikel in Bezug auf die Religionsfrage bzw. die Sprache der Knastberichte einbrachte, auf die ich hier gern noch eingehen will. Es geht um den Teil „Proteste der Arbeiter“, Koranschändung in der JVA usw. Freilich ist der eigentliche Skandal des ganzen die Tatsache, dass einem Arbeiter ein Buch auf den Boden geschmissen wurde und ob das jetzt der Koran, die Bibel oder das Kommunistische Manifest war, erst mal zweitrangig. Und dann war da noch die Kommerzialisierung von Knästen durch die Aus-beutung der Arbeiter, klar. Das Verletzen religiöser Gefühle wiegt für mich natürlich nicht schwerer, als das Verletzen der Menschenwürde, nur fand hier eben gleich beides statt. Ich wage aber ernsthaft zu bezweifeln, dass sich dieser Vorfall mit einer Bibel ähnlich abgespielt hätte und da muss ich doch gleich mal erneut an die SS- Stempelschachtel aus der Kammer und weitere Ungereimtheiten erinnern, die man hier toleriert währenddessen man aber andere Dinge tunlichst zu unterlassen hat.
Ein Hetzvideo rechtfertigt auch nicht den Tod von Menschen, genauso wenig aber wie die „Demokratie“, die mit Schwert und Panzer in jene Länder getragen wird, zu rechtfertigen ist.
Auch wenn sie sich darüber aufregen.

Wenn nun irgendwie der Eindruck entstanden sein könnte, dass man hier eine gewisse Sympathie für religiösen Fundamentalismus hegen würde, durch evtl. ungünstig gewählte Sprache, so möchte ich das auch gleich aus der Welt schaffen und sagen, dass dies weder Marcs noch meine Intention war.

d) Die „RAF-Zelle“

Folgendes gehört zeitlich gesehen eigentlich in den Teil a ganz an den Anfang. Da sich das alles aber etwa 10 Tage vor Giovannis Verhandlung und damit auch vor der Veröffentlichung meines letzten Artikels abgespielt hat, möchte ich die Story gesondert darstellen. Nicht zuletzt aber auch aus aktuellem Anlass des jüngst eingebrachten Antrags von Gottfried Ensslin und Helge Lehmann an die Stuttgarter Staatsanwaltschaft den Fall der Stammheimer Todesnacht nach nun mehr 35 Jahren aus guten Gründen noch einmal aufzurollen und die Ermittlungen der Todesursachen der vier RAF-Mitglieder über die es ja zahlreiche Ungereimtheiten gibt, die Zweifel an der Selbstmordthese lassen, erneut aufzunehmen.

Ein sensibles Thema, auch für den einen oder anderen JVA-Beamten hier, wie ich schon gemerkt habe, doch andere können offensichtlich auch ihre makaberen Witze darüber machen…
Es dürfte Donnerstag der 4.10. gewesen sein, als mir der Beamte H., bei dem ich mich auch schon fragte ob der Name Programm ist, gegen 14:00 Uhr meine Post brachte. Er übergab mir einige Briefe und sagte mir, dass da wohl auch noch eine Poster an mich zugeschickt wurde, welches er mir aber nicht aushändigen kann. Da es bis dato aber eigentlich nie ein Problem gewesen war mir Poster auszuhändigen, und ich ja auch schon einige in meiner Zelle habe, fragte ich ihn natürlich nach dem Grund der Nicht-Herausgabe. ER musste grinsen und sagte mir, dass „die Ausmaße des Posters die Kapazität der RAF-Zelle übersteigen.“ (…)
Ich gehe davon aus, dass die Wortwahl hier zu nicht mal von ihm selbst stammt und im Grunde den Ärger anderer Beamten über mich zum Ausdruck gab. Immerhin war er auch noch recht neu und wurde derzeit noch von den anderen Beamten eingelernt. Er eröffnete mir aber dass ich einen Antrag stellen könne und dann unten in der Kammer Einsicht in das viel zu große Plakat nehmen kann, was ich dann auch tat. Einen entsprechenden Antrag schickte ich am nächsten Morgen raus und zwar gleich mit der exakten Wortwahl des Beamten H. dazu, die ich Anführungszeichen setzte um das Zitat auszudrücken (möchte Einsicht in das Poster haben, „dessen Ausmaße die Kapazität der RAF-Zelle übersteigen“). Nachmittags dann wieder gegen 14.00 Uhr kam ein anderer Beamter der mir sagte, dass wohl überhaupt gar kein Poster angekommen wäre (…). So schickte ich am darauf folgenden Montag nochmal genau den gleichen Antrag raus. Nun war das Poster auf einmal doch da und ich durfte mir gütiger weise jetzt auch anschauen was mir eigentlich gehört. Die Ausmaße des Posters waren überwältigend, es waren zwei zusammengeklebte DINA3 Seiten mit Soligrüßen aus Leipzig drauf. Davon würden hier in den 4-er Zellen sogar zwei Poster auf die dafür vorgesehene Bilderleiste passen ohne irgendwelche Kapazitäten zu übersteigen. Abgesehen davon impliziert die Größe eines Posters ja auch nicht das Aufhängen und außerdem habe ich hier schon Poster in meinem Besitz, die durchaus größer sind. Das Argument Größe konnte sich spätestens hier also nicht mehr halten, so machte man kurzerhand eine unerlaubte Briefeinlage daraus (…). Heißt also, wenn das Poster nicht einem Brief beigefügt und in einem gesonderten Briefumschlag geschickt worden wäre, hätte man es mir ausgehändigt. Aus dem Ganzen wird natürlich nur wieder das Mittel der unterschwelligen Strategie der Schikane ersichtlich, welches ich bereits im vorangegangenen Artikel beschrieben habe. Erst die Größe, dann das angebliche Nichtvorhandensein und zu guter Letzt die unerlaubte Briefeinlage. Wäre es allein nur letzteres gewesen, lässt selbst das für mich kaum Interpretationsspielraum, doch da man sich hier unglücklicherweise gleich mehrmals verhaspeln musste, dürfte deutlich sein worum es eigentlich geht… Um aber nochmal auf die bezeichnende Wortwahl „RAF-Zelle“ des Beamten H einzugehen, die ja vermutlich nicht mal von ihm selbst stammt, erachte ich es als ein Unding sich als Staatsbeamter einer JVA über Leute lustig zu machen, die hier in der Anstalt den Tod aus welchen Gründen auch immer fanden. Natürlich wie immer im Stammheimer-Stil, zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt an einem ebenso ungünstigen Ort…
Andererseits spiegelt die Wortwahl selber aber auch ganz gut die aktuelle Repression gegen Links durch die Vorgehensweise von Staatsseiten aus wider, die von der Anklageerhebung durch Polizei, Staatsschutz und Staatsanwaltschaft über die zuständigen Gerichte bis in die JVAs hineinwirkt.

Davon können hier auch genügend andere ein Lied singen, die mit Hilfe der politischen Paragraphen 129 a/b kriminalisiert werden und in deren Prozessen sich immer wieder aufs Neue herausstellt, dass weder Richter noch Staatsanwaltschaft oder belastende Zeugen der Polizei sich ernsthaft mit z.B. der Kurdenfrage beschäftigt haben und diesbezüglich ins-gesamt doch sehr parteiisch wirken, obwohl man doch gleichzeitig versucht die Politik aus dem Gerichtssaal fernzuhalten, wie es zumindest oft vorgegeben wird.
Das Aushängeschild „Demokratie“ oder „Terror aus anderen Ländern“ dient ja heute noch oft als Argument für die Angriffskriege der USA an denen die BRD nach wie vor maßgeblich beteiligt ist und Beihilfe leistet. Natürlich auf Kosten des kleinen Mannes. Ist es denn nun so abwegig diese Politik der Kriege im wirtschaftlichen Interesse und im Sinne der Unterwerfung anderer Länder auch als einen Terror zu verstehen?
So eben auch damals zur Zeit des Vietnamkriegs durch die USA, wo mit in Deutschland produziertem Giftgas flächendeckend Männer, Frauen und Kinder ausgerottet wurden und man in der BRD als Demonstrant auf offener Straße erschossen wurde, oder in den Knast kam, wofür es schon gereicht hat einfach nur Kommunist zu sein (…). Die Zahl der durch deutsches Giftgas getöteten Zivilbevölkerung in Vietnam dürfte die der 34 Getöteten durch die RAF, die allesamt Funktionäre im imperialistischen System waren und auch teilweise schon eine Karriere in der Nazizeit zu verbuchen hatten, in den Schatten stellen. Warum verteufelt man also den Terror auf der einen Seite, währendem man den Terror auf der anderen Seite akzeptiert und für legitim hält?

Stuttgarter Solikreis | November 2012 | www.solikreis-stuttgart.tk

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