Machtpoker im Gericht – Mit dem Bus der Solidarität nach Frankfurt
Am 14. Dezember fuhr ein Bus von Berlin nach Frankfurt/Main zum Prozess gegen Sonja und Christian. Es ging darum, kollektiv den Prozess zu besuchen und sich solidarisch zu zeigen.
Pünktlich um 9:00 Uhr sollte die Gerichtsverhandlung beginnen. Rund um das Gerichtsgebäude standen Bereitschaftsbullen, eine Maßnahme, die bisher nicht üblich war. Schon in der Woche vor dem Termin hatte der „Bus der Solidarität“ in der Gerichtskantine die Runde gemacht. Bevor die Verhandlung losging, mussten die rund 40 Aktivist_innen aus Berlin und einige Unterstützer_innen aus anderen Städten den Sicherheitscheck durchlaufen. Alle wurden einzeln abgetastet, außer Zettel und Stift durften wir nichts mitnehmen. Als Christian Gauger und wenig später Sonja Suder den Gerichtssaal betraten, brodelte Applaus auf und solidarische Grüße überquerten die Glasscheibe, die den Verhandlungsraum vom Zuschauerraum trennt. Die Angeklagten freuten sich über die gut gefüllten Besucherränge, die – außer zwei Zivilbeamten – von Aktivist_innen besetzt waren.
Kurz darauf betrat die Richterin samt ihren Beisitzern und Schöffen den Gerichtssaal. Während die Prozessbeteiligten aufstanden, blieben Alle im Zuschauerraum – zunächst auch die beiden verunsicherten Zivis – sitzen. Unabgesprochen war klar, dass wir uns angesichts dieser Farce nicht erheben würden. Der entrüsteten Aufforderung der Richterin folgten nur die beiden Polizisten. Ohne weitere juristische Belehrung verhängte die Richterin daraufhin 100 Euro Strafe oder zwei Tage Ersatzhaft und die Aufnahme der Personalien aller Personen im Zuschauerraum. Sie unterbrach die Verhandlung für 40 Minuten. Auch Sonja wurde leider herausgeführt, obwohl sie bei anderen Verhandlungspausen im Saal bleiben konnte.
Außer der Verteidigung, einigen Justizbeamten und den Leuten im Zuschauerraum war der Gerichtssaal jetzt leer und eine angespannte Stimmung machte sich breit. Draußen standen die Bereitschaftsbullen, drinnen wurden erste Kalkulationen über die Anzahl der Solipartys aufgestellt, als zwei Justizbeamte nervös verkündeten, die Personalien einzeln außerhalb des Zuschauerraumes aufnehmen zu wollen. Als die erste Aktivistin sich weigerte, sollte sie abgeführt werden. Jetzt wurde es laut im Gerichtssaal: „Hände weg“ und Pfiffe ertönten durch den Raum. Die beiden Erfüllungsgehilfen verließen mit hängenden Köpfen den Zuschauerraum. Wir dagegen langweilten uns nicht, versuchten über die Glasscheibe mit Christian zu kommunizieren und der erstestimmte „Ton Steine Scherben“ an, was von der Verteidigung und Christian mit breitem Grinsen quittiert wurde. Die Frauen unter uns kokettierten schon laut, dass wir die zwei Tage in Preungesheim nutzen könnten, um mit Sonja in Ruhe zu plauschen.
Kurz vor Ablauf der 40 Minuten wurde uns ein Angebot der Richterin unterbreitet: das Gericht wollte sich die Schmach einer Räumung wohl ersparen, daher sollten wir den Zuschauerraum verlassen und erst nach Beginn der Verhandlung wieder betreten. Da wir eh schon gewonnen hatten, willigten wir ein und betraten den Gerichtsaal erneut, ohne uns vor dem Gericht erhoben zu haben.
Dann ging alles sehr schnell: die Richterin nuschelte eine Seite Text vor und vertagte die Hauptverhandlung auf nächsten Dienstag. Was sie in dieser kurzen Zeit sagte, ist allerdings skandalös. Trotz der Möglichkeit, dass der vorgeladene Zeuge Hermann F. durch eine Vernehmung vor Gericht erneut traumatisiert wird, lehnte die Richterin den Antrag der Verteidigung ab, die Umstände seiner Vernehmung durch einen Traumatologen untersuchen zu lassen. Hermann F. war 1978 wochenlang unter folterähnlichen Bedingungen verhört worden. Da es gerade in der Traumaforschung in den vergangenen 40 Jahren viele neue Erkenntnisse gibt, will die Verteidigung erreichen, dass die Verhörsituation von Hermann F. neu bewertet wird. Bereits 1981 wurde von einem Gericht festgestellt, dass seine Aussagen zwischen dem 24. Juni und Anfang Juli 1978 nicht verwertbar sind. Alle weiteren Vernehmungen bis Oktober 1978 stützen sich jedoch auf diese ersten Aussagen. Schon am letzten Prozesstag wurde das Gutachten einer Fachfrau für Traumatologie verlesen, das sich mit der psychischen Situation von Hermann F. im Jahre 1978 befasst.
Das Gericht befürchtet offensichtlich, dass dann die Verhöre von Hermann F. im Jahre 1978 nicht mehr verwertet werden können. Sie will einen eigenen Gutachter, der jedoch weder Facharzt für Neurologie noch Traumatologe ist. Da sich die Richterin nur auf diese unter folterähnlichen Bedingungen entstandenen Aussagen und die ebenfalls bereits von Gerichten bezweifelten Aussagen des Kronzeugen Hans-Joachim Klein stützt, hat die Richterin mit dieser Ablehnung erneut ihren unbedingten Verurteilungswillen gezeigt, was von den Zuschauer_innen laut kommentiert wurde. Ein trotz der strengen Sicherheitsbestimmungen eingeschmuggeltes Transparent wurde aufgehängt und Sonja und Christian mit „Freiheit für Sonja und Christian“-Rufen herzlich aus dem Gerichtssaal verabschiedet.
Nach einem kurzen Zwischenspiel im Frankfurter autonomen Zentrum „Klapperfeld“, wo wir von den Frankfurter Genoss_innen mit Suppe, Kaffee und Tee versorgt wurden, ging es weiter nach Preungesheim zum Frauenknast. Kaum waren wir angekommen, machte sich dort auch eine Hunderterschaft breit. Trotzdem kamen wir als lautstarke Demo ungehindert zu einem Feld neben dem Knast, wo wir mit einen kleinen Lauti unseren Redebeitrag (s.unten) über die sechs Meter hohe Knastmauer und etlichen Rollen Natodraht schallen ließen. Transpis wurden entrollt. Einige Fenster öffneten sich und auch hinter den dichten Glasbausteinen haben die Frauen im Knast uns gewunken, was mit Applaus und Parolen beantwortet wurde.
Kurzes Fazit einer langen Fahrt: Organisiert mehr Busse nach Frankfurt! Freiheit & Glück für Sonja und Christian!
Vor dem Knast wurden den Gefangenen mit einem Redebeitrag die Gründe unserer Anwesenheit vermittelt
Wir stehen heute hier, weil wir euch unsere Solidarität zeigen wollen. Eine von Euch ist Sonja Suder. Sie kann uns jetzt wahrscheinlich nicht hören, darum vertrauen wir auf die Knastpostille und hoffen, dass Ihr Sonja erzählt, dass wir hier sind.
Sonja sitzt hier seit Herbst 2011. Wie die meisten von euch wissen, wird ihr und Christian Gauger vorgeworfen, in den 1970er Jahren an revolutionären Aktionen teilgenommen zu haben. Seit September 2012 läuft ihr Prozess, den wir heute mit 40 Leuten aus Berlin und anderen Städten besucht haben.
Der heutige Prozess war ein kurzes Vergnügen. Weil wir uns geweigert haben, uns vor dem Gericht zu erheben, beendete die Richterin samt Anhang nach einer halben Stunde Unterbrechung beleidigt den Verhandlungstag.
Warum dieser Aufriss, wird sich jetzt manche fragen. Weil die beiden sich weigern, mit Bullen und Justiz zusammenzuarbeiten. Sie machen keinerlei Aussagen, nehmen dafür auch den Preis in Kauf, dass Sonja weiter sitzt. Sie sind einfach nicht bereit, irgendwelche Deals zu machen.
Diese Haltung finden wir gut, nicht nur bei den beiden, sondern bei allen, die auch im Knast einen aufrechten Gang behalten. Diese Haltung zu unterstützen, heißt für uns Solidarität.
Ein weiterer Grund für uns, hier zu sein, ist, weil wir dafür kämpfen, dass es irgendwann mal keine Knäste mehr gibt. Wir hassen die Schließer und ihr System. Bis jetzt sind wir noch nicht viele, aber wir werden mehr. Daran arbeiten wir.
Solidarität ist eine Waffe! Stay rude, stay rebel!
Und Sylvester um 18 Uhr gibt es die nächste Knastkundgebung.
Freiheit und Glück für Sonja und Christian!