Dan Berger über pol. Gefangene, Masseninhaftierung und die “Decarceration-Bewegung” der USA
Im Januar 2013 fanden in Berlin, Stuttgart, Frankfurt am Main und Hamburg vier Veranstaltungen mit dem US-amerikanischen Aktivisten Dan Berger statt. Er berichtete zunächst über die sozialen und revolutionären Kämpfe der 1960er und 1970er in den USA. Seit der gewaltsamen Zerschlagung dieser Bewegungen durch FBI und Justiz gibt es sehr viele politische Langzeitgefangene.
Dan Berger beschrieb den darauf folgenden Einstieg der US-Behörden in die Masseninhaftierung, der sich am stärksten gegen die Communities richtete, die sich vorher an den Aufständen beteiligt hatten. Mit der industriellen Ausbeutung der Gefangenen und der Privatisierung des ehemals staatlichen Justizvollzuges ist inzwischen die größte Gefängnispopulation der Welt entstanden. Ein Viertel aller Gefangenen weltweit sitzen derzeit in den USA ein und werden im Gefängnisindustriellen Komplex. Seit einigen Jahren hat in den USA eine Kampagne zur „de-carceration“, auf Deutsch „De-Haftierung“ begonnen, die sich für die Freiheit aller Gefangenen einsetzt und dabei sowohl in Organisierung als auch Mitteln an den Erfahrungen der Black Power Bewegung orientiert.
Außerdem gab es bei der Veranstaltungsreihe Beiträge von vier politischen Langzeitgefangenen, die ihre Sicht zum Thema beisteuerten: Mumia Abu-Jamal (ehemals Black Panther Party, Journalist, seit 1981 inhaftiert), Sundiata Acoli (ehemals Black Panther Party und Black Liberation Army, seit 1973 inhaftiert), David Gilbert (ehemals Weather Underground, seit 1981 inhaftiert) und Oscar Lopez Rivera (puertorikanischer Widerstand, seit 1981 inhaftiert). Des Weiteren wurde eine Ausstellung mit Stencils von sechs politischen Langzeitgefangenen gezeigt.
Längerer Bericht mit Fotos bei Indymedia
Luxemburg und Occupy von Mumia Abu-Jamal
30.12.2012
Vor einiger Zeit (für die Rosa-Luxemburg-Konferenz 2012, A.d.Ü.) habe ich ein Gedanken-Experiment mit Rosa Luxemburg gemacht und ihr dabei eine Rolle als Ratgeberin junger Aktivisten und Aktivistinnen gegeben. Das wiederhole ich heute nicht.
Aber ihr Geist, ihr grundsätzlicher Widerstand gegen den Imperialismus und ihr Eintreten für Revolution statt Reformen, macht sie uns nah und zeigt jungen Aktivisten und Aktivistinnen im Kampf gegen das Imperium der USA einen Weg.
Die Occupy – Bewegung ist noch immer unter uns und versucht, ein Leben in deren Geist zu führen. Wir betrachten Occupy als den Beginn einer neuen Zeit und versuchen, Lehren aus ihr zu ziehen, die den Bewegungen von heute und morgen von Nutzen sein können.
Zunächst müssen wir sehen, dass Occupy zwar ein amerikanisches Phänomen ist, aber dass es ähnliche Ausdrucksformen in anderen Teilen der Welt gibt – wie die Indignados in Spanien, den arabischen Frühling in Nordafrika, das Movimento Sem Terra, die Bewegung der landlosen Bauern in Brasilien, und viele mehr.
All diese Bewegungen haben etwas Grundsätzliches gemeinsam: Die Unzufriedenheit mit dem Status Quo und ein tiefes Verlangen nach Veränderung.
Sie alle wissen, dass der Status Quo unerträglich ist, dass der Staat ein Instrument der Reichen ist, und dass das derzeitige ökonomische System raubgierig ist, wenn es darum geht, seine Macht dafür einzusetzen, die Wohlhabenden zu schützen.
Mit einem Wort – sie wissen, dass das System unwiderruflich kaputt ist.
Sie wissen auch, dass der Kapitalismus die Schuld trägt, vor allem die Krise des Kapitalismus, die wütet, um immer mehr und mehr Geld aus jeder nur denkbaren Gelegenheit zu machen.
Rosa Luxemburg hätte es geliebt, dabei zu sein. Nicht nur, um die Auswirkungen dieser Krise zu sehen – sondern um Lektionen über
Organisierung und wachsende Revolution zu erteilen. Und obwohl es sicher verfrüht ist, einige dieser Bewegungen als revolutionär zu bezeichnen, sind sie doch mit Sicherheit radikal und stellen das System, in dem wir leben, in Frage, einschließlich des Kapitalismus.
In den USA hat die Occupy – Bewegung eine wichtige Saite angeschlagen, einfach indem sie die krasse Kluft in der amerikanischen Gesellschaft zwischen den 1% und den 99% angesprochen hat. Ihr Slogan „Wir sind die 99%“ traf den Nerv der ökonomischen Krise, die die Vereinigten Staaten zerreißt – die Arbeitslosigkeit, das gestrichene Regierungsbudget und das monströse Gewicht der verschiedenen Stadien des gefängnis-industriellen Komplexes – dem größten System dieser Art auf der ganzen Welt.
Vielen europäischen Staaten werden ähnliche Krisen aufgezwungen – um mit Griechenland, Italien und Portugal nur einige zu nennen.
Was wir da sehen, ist der unersättliche Appetit des Kapitalismus nach mehr Kapital, vor allem seit dem Fall der Sowjet-Union. Diese ökonomischen Zusammenbrüche haben politische Auswirkungen – wie an dem Aufstieg antikapitalistischer Gruppierungen deutlich wird, die den Status Quo in Frage stellen.
Je schärfer diese Widersprüche in der Gesellschaft werden, desto mehr Menschen zieht es in solche Bewegungen, die versuchen, den gesellschaftlichen Verfall in produktivere, sozialere Anliegen umzulenken.
Und das Imperium schlägt zurück.
Die Nachrichten im Land haben eine Kampagne der Repression gegen die Occupier gezeigt – Polizeiübergriffe, Schläge, Massenverhaftungen und Medienpropaganda gegen die Occupier. Zunächst ignorierten die Medien sie. Dann, als das nicht länger möglich war, verleumdeten sie sie. Sie verteidigten ihre Konzerneigentümer mit Fehlberichterstattung über die Anti-1%-Leute und mit ihrer Darstellung als albern und unbedeutend.
Die Polizei infiltrierte sie auf allen Ebenen.
Und dennoch sind sie nach wie vor mit einer Vielzahl von Anliegen in einer Vielzahl amerikanischer Städte vertreten – nicht mehr sichtbar und nicht mehr als Menge auf offenen Plätzen. Dennoch sind sie nach wie vor eine Opposition gegen den Status Quo.
Es stimmt, sie suchen erst nach einem Weg. Aber das Gute ist: Sie suchen noch immer. Sie organisieren sich noch immer. Sie versuchen noch immer, ein System aufzubauen, das menschlichen Bedürfnissen dient statt Konzerninteressen. Sie versuchen es nach wie vor.
Rosa Luxemburg wäre stolz auf sie.
Dankesehr.
Hier spricht Mumia Abu-Jamal.
Danke.
Politische Gefangene und was soziale Bewegungen tun können von Sundiata Acoli
Amerika hat Millionen von Gefangenen in seinen Verliesen weggesperrt, viele von Ihnen seit 20, 30 und 40 Jahren oder mehr – erstaunlicherweise behauptet es trotzdem, dass es in seinen Gefängnissen keine politischen Gefangenen oder Kriegsgefangene (PP’/POW’S) gibt – und dass es keine politischen Gefangenen hat.
Dies macht die Vereinigten Staaten zum einzigen Land auf der Welt mit Masseninhaftierung, mit mehr über lange Zeiträume hinweg eingesperrten Gefangenen als jedes andere Land, mit Gefangenen rund um die Welt in geheimen CIA-Gefängnissen – aber ohne politischen Gefangene.
Da es keine politischen Gefangenen hat, hat es natürlich auch keine Massen von Armen, keine hungrigen, obdachlosen oder arbeitslosen Menschen, es hat auch keine Massen von unterdrückten Nationalitäten und Unterklassen, die in Reservaten, Barrios, Ghettos, Sozialsiedlungen, Wohnwagensiedlungen und Wohnprojekten eingepfercht werden, die täglich jeder Art von Diskriminierung, Verfolgung aus rassistischen Gründen und Polizeibrutalität, Mord und Masseninhaftierung ausgesetzt sind.
Wenn die vereinigten Staaten keine politischen Gefangenen haben, dann gibt es offensichtlich auch keine Massenungerechtigkeit in Amerika, denn das ist die Ursache für Masseninhaftierung und politische Gefangene. Masseninhaftierung ist Barometer und Hauptindikator für die Massenungerechtigkeit in der Gesellschaft.
Politische Gefangene sind all jene, in jedem Land und in jeder Zeit, die inhaftiert werden, wenn sie Ungerechtigkeiten in ihrer Gesellschaft bekämpfen, und das Gleiche gilt für den Zusammenhang von Massenungerechtigkeit, Masseninhaftierung und politischen Gefangenen in der US-Gesellschaft – und sie müssen befreit werden! Nicht nur die politischen Gefangenen – sondern ALL JENE, die durch ungerechte Verfolgung eingesperrt wurden.
Der Gefängnisbau- und Masseninhaftierungsrausch der letzten 30 Jahre hat das Land mit tausenden von neuen Gefängnissen überzogen, die überfüllt sind mit Millionen von Gefangenen. Diese Entwicklung hat etliche Gesetzgeber davon überzeugt, dass Inhaftierungen nicht die Lösung für die Fehler dieses politischen Systems sind, und dass die derzeitigen budgetsprengenden Ausmaße der Inhaftierungen zu teuer sind, um sie weiter aufrecht zu erhalten.
Im Moment sieht es also so aus, als hätten soziale Bewegungen eine sehr hohe Chance, die Reduzierung der Gefängnisbevölkerung zu erreichen. Aber jede Reduzierung, die nicht gleichzeitig die jetzige Politik bekämpft, würde einen neuen Inhaftierungsexzess nur bis zu einem kosteneffizienteren Zeitpunkt in der Zukunft hinauszögern, obwohl doch die Masseninhaftierung das Problem ist! Nicht Gewalt, nicht Drogen, nicht Gewalttäter an sich sind das Problem, sondern die Masseninhaftierung selbst.
Die Zahlen für schwere Verbrechen waren 2011 genauso niedrig wie 1964. Quoten für Gewaltverbrechen und Verbrechen ohne Gewaltanwendung sind seit mindestens 5 Jahren gesunken, aber die landesweite Gefängnisbevölkerung ist gleich geblieben. Daher ist klar, dass die Inhaftierungsquote von der Politik und nicht vom Verbrechen bestimmt wird. Und die Geschichte zeigt, dass Amerikas Inhaftierungen vor allem von ungerechter Rassen- und Klassen“-Politik motiviert sind.
Das erste Beispiel für Amerikas ungerechte und rassistische Vorgehensweise war der gleich zu Anfang einsetzende Völkermord der Urbevölkerung Amerikas und der Diebstahl ihres Landes – und die Sklaverei, die eine Ungerechtigkeit an sich ist, wurde rassistisch, als NUR NOCH ‘Schwarze’ versklavt wurden.
Die Urbevölkerung Amerikas in Reservaten eingesperrt, ihre gefangenen Anführer und Krieger in Militärgefängnissen, und 300 Jahre versklavte Afrikaner auf den Plantagen – das war die erste Masseninhaftierung, die von der Kolonialmacht verübt wurde.
Jeder Sklave, der auf einer Plantage festgehalten wurde, jeder Flüchtling, der im Gefängnis eingesperrt wurde, war ein Kriegsgefangener. Das selbe traf zu auf jeden Menschen aus der Urbevölkerung Amerikas, der in Reservate gezwungen oder in Militärgefängnissen festgehalten wurde – und das Gleiche gilt für alle Menschen, die inhaftiert wurden, weil sie gegen den amerikanischen Völkermord, die Sklaverei, gegen Vergewaltigung und den Raub ihres Landes und ihrer Nationen kämpften.
Das zweite Beispiel begann gegen Ende des Bürgerkrieges und hielt bis in die 1970er Jahre an. Es war die Verwendung der ‘Black Codes’*1 und der Jim-Crow-Gesetze*2 für die Segregation nach rassistischen Kriterien, um die gerade befreiten ‘Schwarzen’ und insgesamt die ‘People of Color’*3 durch Masseninhaftierung im Strafvollzug erneut zu versklaven. In dieser Zeit war die überwältigende Mehrheit der Gefangenen in den Gefängnissen des Landes ‘weiß’, als plötzlich die Prozentzahl der ‘Schwarzen’ in den Gefängnissen im Süden innerhalb von 5 Jahren von beinahe Null auf 33 Prozent hochschnellte.
Andere, die während des hundertjährigen Kampfes gegen die Jim-Crow-Segregation und weitere rassistische und Klassen-Unterdrückung eingesperrt wurden, waren Mitglieder der stetig wachsenden Zahl der armen Einwanderer und anderer Land-und Industriearbeiter, gewerkschaftliche Organisatoren, Kriegsgegner, Heroinabhängige aus den Ghettos und Teile der wachsenden Bürgerrechtsbewegungen sowie Revolutionäre jeder Richtung: Black Panther Party, Puerto Rican Young Lords, die anti-imperialistische Weather Underground Organisation, Chicano Brown Berets, American Indian Movement, the Asian I WOR KUEN und zahlreicher anderer Organisationen, was schließlich die offizielle Abschaffung der rassistischen Jim Crow Segregation während der Mitt-60er zur Folge hatte.
Bis 1975 machten ‘Schwarze’ und andere ‘People of Color’ beinahe die Hälfte der 250.000 Gefangenen aus. In den Jahren zwischen 1865 und 1975 gab es eine große Anzahl von politischen und Kriegsgefangenen, darunter Big Bill Haywood, Sacco und Vanzetti, Sitting Bull, Marcus Garvey, und Pedro Albizo Campus; George Jackson, Angela Davis, Marilyn Buck, Huey P. Newton, Assata Shakur und viele mehr.
Das dritte Beispiel ungerechter rassistischer und Klassenpolitik begann 1975, ein Jahrzehnt nach der (rechtlichen, aber nicht tatsächlichen) Abschaffung der rassistischen Jim Crow-Segregation.
In dieser Zeit und danach wurden zahlreiche revolutionäre Organisationen, die für Gerechtigkeit kämpften – die Black Liberation Army, FALN of Puerto Rico, American Indian Movement, Weather Underground Organization, the United Freedom Front, MOVE und andere – von der Polizei angegriffen, die viele Mitglieder tötete oder einsperrte.
Die Inhaftierten reihten sich ein unter den anderen nicht anerkannten politischen und Kriegsgefangenen, die schon im Gefängnis waren.
Ronald Reagan setzte gigantisches Unheil in Gang, indem er South Central, das südliche Zentrum von Los Angeles, mit Crack-Kokain überflutete, wodurch die Inhaftierungsraten sprunghaft anstiegen – um mit dem Erlös heimlich den nicaraguanischen Contra-Krieg in den frühen1980er Jahren zu finanzieren.
Crack verbreitete sich rasend schnell, richtete Ghettos im ganzen Land zugrunde und eskalierte die rassistische Verfolgung, die sich hauptsächlich gegen ‘People of Color’, ‘weiße’ Hippies und die Armen als potentielle Verdächtige richtete, und den rassistischen, heuchlerischen Krieg gegen Drogen. Außerdem zielte Crack auf die ‘Communities of Color’: Ziel war, sie mit Einheiten zur Bekämpfung von Straßenkriminalität zu überziehen, zu terrorisieren, massenhaft zu inhaftieren und ihre Bewohner als verurteilte Schwerverbrecher vorführen und ihnen damit später ihre Rechte verweigern zu können: zu wählen, in Jobs zu arbeiten, die Führungszeugnisse erfordern; ihnen das Recht auf Wohnung im sozialen Wohnungsbau zu verweigern, auf Lebensmittelmarken, Studienkredite fürs College und gewerbliche Kurse und so weiter und so weiter. All das verdammte die einmal Verurteilten zum permanenten Status einer niederen Klasse, ließ die Gefangenenzahlen in die Höhe schnellen – von 250.000 Mitte der 70er bis zu 2,3 Millionen heute und belegt damit sehr deutlich die Aussage der bekannten Autorin Michelle Alexander in ihrem Buch „Masseninhaftierungen sind der neue Jim Crow“.
Diese Ära produzierte die politischen und Kriegsgefangenen Oscar Lopez Rivera, Kuwasi Balagoon, Mumia Abu-Jamal, David Gilbert, Leonard Peltier, Move 9, Susan Rosenberg, Carlos Alberto Torres, Tom Manning, Jaan Laaman und zahlreiche Gefangene der Moslems, der Earth Liberation Front, Animal Liberation Front, der Environmentalist and Occupy-Wall-Street-Bewegungen, und sie brachte Sekou Odinga hervor und die Befreiung von Assata Shakur, gefolgt von ihrem politisches Asyl in Cuba.
‘Schwarze’ stellen nun mit 55% die absolute Mehrheit der Gefangenen, aber die Zahl ist eher noch größer, denn bei den Erhebungen werden schätzungsweise 5-10% der ‘schwarzen’ Gefangenen in der ‘hispanischen Bevölkerungsgruppe’ versteckt, weil die Bestimmung der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe oft unterlassen wird. Gefolgt wird dies von einer schnell wachsenden Anzahl so genannter Brauner: Latinos und Latinas, Hispanics, der Urbevölkerung Amerikas, Asiaten und schließlich den ‘Weißen’, deren Anteil auf weniger als 20% zusammengeschrumpft ist.
Da die Masseninhaftierung Amerikas von ungerechten rassistischen und Klassenkonzepten angetrieben wird, ist die richtige Lösung für die Masseninhaftierung die ‘MassenDEhaftierung’. Mit anderen Worten: drastische Haftzeitverkürzungen für alle Gefangnen! Denn Zeit ist die Währung, das gesetzliche Zahlungsmittel, der große Ausgleicher und Wiedergutmacher des Unrechts im Gefängnis.
Viele Gefängnis- und Menschenrechtsaktivisten stimmen dem Standpunkt Michelle Alexanders zu, die verlangt, dass die Inhaftierungszahlen auf den Stand von 1980 zurückgesetzt werden oder sogar auf den den Stand nach der Beendigung von Jim Crow 1970, beides Gefangenenquoten VOR Ronald Reagans Überflutung von South Central in Los Angeles, dem Auslöser der ‘Crackepidemie’ in Amerika.
Die Forderung nach Dehaftierung öffnet die Tür zum Kampf um Geltung und Einflussbereich des Systems im Allgemeinen, und der Gefangenenstand kann auf noch geringere Zahlen als früher zurück geschraubt werden!
Um zu ‘DEHAFTIEREN’, befürworten viele Aktivisten und Aktivistinnen eine Formel von abgesessener Zeit + Gefangenenalter, die zur automatischen Freilassung eines Gefangenen führt, wenn das Ergebnis eine bestimmte Summe erreicht. Der wichtigste Vorschlag für diese Vorgehensweise, den Kriegsgefangene wie Russell Maroon Shoatz vertreten, heißt ‚25/50 und raus’: Wenn ein/e Gefangene/r 25 Jahre und mehr Jahre abgesessen hat und älter als 50 ist, dann ist er/sie automatisch ’draußen’ bzw. automatisch freigesprochen. Das würde all jene befreien, die durch ungerechte und voreingenommene Verfahren inhaftiert oder im Gefängnis gehalten wurden, inklusive vieler politischer Gefangener.
Danke für Eure Aufmerksamkeit – und ich hoffe, wir finden einen Weg, zusammen zu arbeiten, um die politischen Gefangenen, die Gefängniskämpfe und die fortschrittlichen Bewegungen in unseren beiden Ländern zu unterstützen.
Unsere wichtigste Organisaion für politische Gefangene ist ‘The Jericho Movement: nycjericho@gmail.com’.
Ihr seid herzlich willkommen, Euch mit allen Fragen und allen Themen zur Solidaritätsarbeit für die politischen Gefangenen in den USA an sie zu wenden.
Außerdem möchte ich euch Solidaritätsgrüße von denen übermitteln, die am fortdauernden Hungerstreik in den kalifornischen Staatsgefängnissen teilgenommen haben. Sie haben sich zu einem erbitterten Kampf zusammengeschlossen, um die Isolationshaft zu beenden. Einige von Ihnen waren 20 und mehr Jahre total isoliert – 20 Jahre unter Bedingungen, die von ihren Vertretern draußen folgendermaßen beschrieben werden:
„Die Langzeithaft (tatsächlich lebenslange Haft) unter Isolationshaft-bedingungen in Zementbehältern von 2 x 3 Metern, 22,5 Stunden pro Tag, im kalifornischen Gefängnis von Pelican Bay und den Hochsicherheitstrakten von Corcoran sind Folter. Es ist grausam.
Keine Telefonanrufe, keine menschliche Berührung, dafür erniedrigende und demütigende Behandlung, schlechtes Essen, unzureichende Kleidung. Keine frische Luft, niemals natürliches Sonnenlicht, schreckliche Matratzen… und ohne Hoffnung, dem jemals zu entkommen. Das alles hat häufig nichts mit dem Verhalten oder einer Disziplinarmaßnahme zu tun. Es ist einfach so. Und es ist ohne Beispiel in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Das ganze Leben isoliert – für angebliche Gruppenzugehörigkeiten, für die Bücher, die du gelesen hast, für die Bilder, die du gemalt hast, oder für das, woran du glaubst… das ist normal im kalifornischen System – ein System, das mehr als die Hälfte von Kaliforniens Haushalts-Budget verschlingt.“
Außerdem kämpfen sie gegen ein heimtückisches Gang-Aussage-Programm, das von Ihnen verlangt, Informationen über andere Gefangene entweder weiter zu geben oder zu erfinden, also Verrat, als einzige Möglichkeit, der Einzelhaft zu entkommen. Wie zu erwarten oder wie geplant, verursacht oder verschlimmert dieses Programm die Feindseligkeit zwischen Gangmitgliedern und ethnischen Gruppen.
Im Gegenzug haben die Anführer des Hungerstreiks das „Truce Movement“, also eine Initiative für den Waffenstillstand zwischen den verschiedenen Gangs und ethnischen Gruppen initiiert, die es wert ist, unterstützt und von anderen Bundesstaaten nachgeahmt zu werden.
Wenn Ihr wissen möchtet, wie Ihr den Hungerstreik der Gefangenen unterstützen könnt, kontaktiert ihre Vertreterinnen, die ‘draußen’ für sie aktiv sind:
Anne Weills and Carole Travis
Siegel and Yee
499 14th St. Suite 300
Oakland, CA 94612
und/oder die folgenden gefangenen Hungerstreikanführer:
Todd Ashker, C58191, D1-119
Arturo Castellanos, C17275, D1-121
Sitawa Nantambu Jamaa (Dewberry) C35761, D1-117
Antonio Guillen, P81948, D2-106
Paul Redd, B72683, D2-117
Adressiert Post an das Pelican Bay Gefängnis an:
P.O. Box 7500
Cresent City, CA 95532
Danke.
Mit kämpferischen Grüßen
Sundiata Acoli
*1 ‘Black Codes’- rassistische Strafgesetzgebung zur ausschließlichen Kriminalisierung von Afroamerikaner_innen, erlassen ab 1870 in den ehemaligen konföderierten US-Bundesstaaten. Hierbei löste der Staat mit einem Gefangenen Vermietungssystem die vormals privaten Sklavenbesitzer_innen ab.
*2 Jim Crow- Der Ausdruck Jim Crow (dt.: „Jim, die Krähe“) steht in den USA für die Geschichte der Diskriminieung rassistischer Motivation. Als Jim Crow Laws (dt. Jim Crow-Gesetze) werden in den USA Gesetze bezeichnet, die in den Jahren 1876 bis 1964 eine Trennung nach rassistischen Kriterien vorschrieben. Diese bezog sich hauptsächlich auf sog.’Weiße’ und sog. ‘Schwarze’.
*3 ‘Person of color’ (Plural: ‘people of color’) ist ein Begriff, mit dem sich Menschen selbst bezeichnen, die einer Mehrheitsgesellschaft als ‘nicht-weiß’ gelten und sich wegen ethnischer Zuschreibungen, alltäglichen, institutionellen und anderen Formen des Rassismus ausgesetzt fühlen. Der Begriff betont die diesen Menschen gemeinsame Erfahrung, wegen der Zugehörigkeit zu einer Minderheit diskriminiert zu werden. Der Begriff entwickelte sich vor allem im anglo – amerikanischen Raum und wird von vielen Personen seit den 1990er-Jahren gegenüber Begriffen bevorzugt, die durch ihre koloniale Geschichte geprägt wurden. Im Gegenzug zum Rassismus – welcher versucht zu spalten, wird mit diesem Begriff versucht ein Gemeinschaftsgefühl herzustellen.
Politische Unterdrückung und Masseninhaftierung von David Gilbert
06. Dezember 2012
Dank der Bürgerrechtsbewegung versuchten Politiker ab 1969, eindeutig rassistische Ausdrücke in der Öffentlichkeit zu vermeiden. Das ist der Grund, warum Präsident Richard Nixon zu seinem Stabschef Haldeman sagte – was erst Jahre später bekannt wurde, als Haldeman sein Tagebuch veröffentlichte: „Du musst zugeben, dass das ganze Problem in Wirklichkeit die Schwarzen sind. Es ist jetzt entscheidend, dass wir ein System entwickeln, das dem Rechnung trägt und gleichzeitig so tut, als wäre es nicht so.“ Dadurch wurden die furchtbaren Zwillinge geboren, die immer noch einen unerbittlicher Tribut fordern: Die illegalen, häufig tödlichen, geheimen Angriffe des Staates auf die Black Liberation Bewegung und der ‘Krieg gegen das Verbrechen’.
Nixon hatte Recht. In den Vereinigten Staaten waren die ‚schwarze’ Befreiungsbewegung und die Zeiten politischen Bewusstseins innerhalb der ‘schwarzen’ Community die größte Bedrohung für die ungezügelte Herrschaft und die märchenhaften Reichtümer der Klasse, der Nixon diente. In den späten 1960ern wurden hunderte von Ballungsgebieten im ganzen Land durch Rebellionen (in den Medien als ‘Krawalle’ tituliert) erschüttert, von denen viele nur durch die Entsendung von Truppen der Nationalgarde eingedämmt werden konnten.
Während sich die Niederlage im Vietnamkrieg abzeichnete, mußte sich der US-Imperialismus der Aussicht auf eine geschwächte innere Front stellen. Dazu kam, dass die Black Liberation ein mächtiger Katalysator für andere, neu entstehende radikale Bewegungen war. Die Urbevölkerung Amerikas, die Puerto-Ricaner_innen, Mexikaner_innen, und amerikanische Asiat_innen stellten die ‘weiße’ Vorherrschaft immer mehr in Frage. Der Protestpflug pflügte die Erde für die neuen Ernten der Kämpfe: Die zweite Welle des Feminismus und der lesbisch/schwulen Befreiung, kurz darauf gefolgt von der Umweltbewegung und dann von einer neuen Welle von Arbeitermilitanz.
Die Anführer waren revolutionäre ‘schwarze’ Arbeiter, und in den frühen 1970ern beteiligten sich viele junge ‘weiße’ Arbeiter an einer Welle wilder Streiks, um sich den bürokratischen Gewerkschaftsanführern entgegenzustellen. All diese Erhebungen konfrontierten nicht nur die herrschende soziale Ordnung, sondern bedrohten die Gewinne der Unternehmen mit neuen Kosten für die Wohlfahrt, besserer Bezahlung, besseren Arbeitsbedingungen und Umweltauflagen.
Mit der elektrisierenden Erhebung der ‘schwarzen Befreiung’ entwickelte das FBI das Aufstandsbekämpfungsprogramm ‘COINTELPRO’. Es sollte nationalistische ‘schwarze’ Organisationen „zerstören, zersetzen oder auf andere Art ausschalten“. Die beliebteste und dynamischste der Gruppen war die Black Panther Party für Selbstverteidigung, die der FBI-Direktor J. Edgar Hoover „als die größte Bedrohung der inneren Sicherheit der Vereinigten Staaten“ ansah.
COINTELPRO war nur eins einer Vielzahl von repressiven Programmen, die von Strafverfolgung, Militär und der CIA in Gang gesetzt wurden. Von 1969 bis 1971 wurden mehr als 40 Panther getötet, einige direkt durch die Polizei, einige als Resultat der inneren Spannungen, die von eingeschleusten Polizeispitzeln zu tödlichen Flammen angefacht wurden.
Über 1000 Panther wurden inhaftiert, fast alle durch gefälschte Anklagen. Einige dieser Panther sind noch immer im Gefängnis: Marshall Eddie Conway, Romaine Chip Fitzgerald, Mondo we Langa, Ed Poindexter.
COINTELPRO und die Begleitprogramme wurden ergänzt durch eine breit angelegte Strategie, die soziale Unruhen bewältigen sollte: Nixons ‘Krieg gegen das Verbrechen’. Mit rassistisch gefärbter Sprache (‘weiße’ Amerikaner sollten den Begriff ‚Verbrecher’ mit ‘schwarzer’ Mann gleichsetzen), mobilisierte der Staat öffentliche Unterstützung für eine Vielzahl von Polizeistaatsbefugnissen. So wurde der 4. Zusatzartikel der Verfassung ausgehöhlt, der den Schutz vor unangemessenen Durchsuchungen und Festnahmen vorsieht, und hochmilitarisierte Polizeieinheiten – die sogenannten SWAT-Teams, breiteten sich aus. 1965 gab es noch keine SWAT-Teams, heute gibt es sie in fast jeder Stadt in den Vereinigten Staaten.
Die rechte Offensive startete 1981 durch, mit Präsident Ronald Reagan und seiner Propaganda des ‘Kriegs gegen die Drogen’. Diese zerstörerische Politik wurde mit anderen rassistisch motivierten Kampagnen verbunden – gegen die sogenannten ‘Welfare Queens’, zu deutsch Sozialhilfeköniginnen, (gemeint waren ‘schwarze’ Frauen) und gegen Immigranten (gemeint waren Latinos und Latinas). Zu einer Zeit, als die Löhne stagnierten, benutzte die herrschende Klasse den Rassismus, um den Zorn der ‘weißen’ Arbeiter von den Firmenchefs auf die verachteten ‚ethnisch Anderen’ zu verlagern.
Zu dieser Zeit waren Drogen zwar ein reales, aber eher kleines Problem das erst wirklich schlimm wurde durch den fortgesetzten illegalen Drogenhandel der CIA, die damit terroristische Organisationen unterstützte. Der Krieg gegen die Drogen war kein ernst gemeinter, vielleicht ungeschickter Versuch, das Problem zu lösen. Die Vereinigten Staaten hatten von 1919-1933 bereits ein Alkoholverbot – aber die Kriminalisierung von Alkohol hielt die Leute nicht davon ab ihn zu trinken, sondern machte die nun verbotenen Spirituosen zu einem einträglichen Geschäft und damit zu einem wesentlichen Anreiz für Gewalt und Verbrechen.
Der ‘Krieg gegen Drogen’ funktionierte genauso, und er funktionierte bestens für die herrschende Klasse: Er setzte Rassismus ein, um die Unterstützung der breiten Öffentlichkeit für mehr Polizeibefugnisse zu gewinnen und Ghettos und Barrios*1, die vorher funktioniert hatten, ins Chaos zu stürzen. An dem Tag, als Nixon sich bei Haldeman über ‘die Schwarzen’ beschwerte, waren 300.000 Menschen in den USA hinter Gittern, heute sind es 2.300.000 – die Mehrheit von ihnen ‘Schwarze’ und ‘Latinos/Latinas, was völlig disproportional zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung ist.
Dieser barbarische Trend bleibt nicht zwangsläufig auf die USA beschränkt. Europa hat seine eigene Geschichte mit Rassismus und rassistischer Sündenbockbestimmung– einen Rassismus, der zur Zeit als
bösartige, fremdenfeindliche Volksverhetzung wiederaufersteht.
Einige europäische Regierungen haben sich durch den ‘Krieg gegen den Terror’ zum Komplizen schwerer Menschenrechtsverletzungen gemacht, zum Beispiel mit außerordentlichen Auslieferungen.
Die lange Geschichte ungerechtfertigter Verhaftungen und grausamer Behandlung der Gefangenen durch das US-amerikanische Strafsystem hat den Weg für Abu Ghraib und Guantanamo geebnet.
Jetzt hat der europäische Gerichtshof für Menschenrechte den Weg dafür frei gemacht, sogenannte Terrrorverdächtige an die USA auszuliefern – obwohl diese höchstwahrscheinlich in einem staatlichen Supermax-Gefängnis wie in Florence in Colorado untergebracht sein werden, unter Isolationshaftbedingungen, die von großen Menschenrechtsorganisationen als Folter verurteilt werden.
Wird die Gerichtsentscheidung ‘Babar Ahmad & andere gegen Großbritannien’ die Tür für die Legalisierung dieser brutalen Vorgehensweisen in Europa öffnen?
Diskussionen um das Strafjustizsystem vernachlässigen oder vergessen oft Frauen, denn sie machen nur 7% der US-Gefangenen aus (obwohl 205.000 eine furchtbare Zahl ist), aber die Auswirkung auf Frauen ist fatal. Der ausgedehnte und aggressive ‘Kampf gegen das Verbrechen’ hat einen rapiden Anstieg der Inhaftierungsraten zur Folge gehabt, insbesondere für Afro-Amerikanerinnen, deren Gefangenenzahlen zwischen 1990 und 2000 um 108 % anstiegen. Die Anzahl der Frauen in Staatsgefängnissen – diejenigen in kleinen Gefängnissen nicht mitgezählt – schnellte zwischen 1980 und 2010 um 646 % in die Höhe. Außerdem sind 65 % der inhaftierten Frauen die Hauptverantwortlichen für ihre kleinen Kinder – was die erzwungene Trennung und die Einschränkungen noch herzzerreißender macht. Die Inhaftierung der Mutter ist oft traumatisch für die Kinder und führt mit ziemlicher Sicherheit dazu, dass sie psychische Störungen entwickeln und dadurch später wahrscheinlich ebenfalls Probleme mit dem Gesetz bekommen werden.
Seit dem Beginn des ‘Krieges gegen das Verbrechen’ als Form der Aufstandsbekämpfung gegen ganze Communities, sind nicht nur inhaftierte Frauen davon betroffen, sondern die Auswirkungen auf Frauen insgesamt sind weitreichend und schwerwiegend.
Die großflächige Inhaftierung der ‘schwarzen’ Männer hinterließ klaffende Löcher in den Familien und Communities. Es fehlen Erziehungspartner, Geldverdiener, Brüder, Onkel und Söhne. So fällt vor allem den Frauen die übermenschliche Aufgabe zu, die Familie und die Community zusammenzuhalten – und dies häufig in einer Community, die ohnehin schon wirtschaftlich zugrunde gerichtet ist.. Dazu kommen die Zeit, die Energie und die Kosten für die anstrengende Reise zu den Angehörigen in den Gefängnissen, die fast immer in großer Entfernung von den Städten liegen. So schlimm es im Gefängnis auch sein kann, die Herausforderung, draußen die Familie zusammenzuhalten, ist oft bei weitem größer.
Die Gesellschaft ist voll von Gewalt gegen Frauen. Ein Drittel aller US-amerikanischen Frauen werden vergewaltigt, geschlagen, gestalkt, und dazu kommt das grassierende Problem der sexuellen Belästigungen. Das Strafjustizsystem war bisher nicht die Lösung und kann sie nicht sein. Ausgerichtet auf Bestrafung, richtet es meist schwere psychische Schäden an, die die Situation verschlimmern. Die Öffentlichkeit wird von der klassischen, rassistischen Darstellung aufgehetzt, dass ‘weiße’ Frauen vor ‘schwarzen’ Männern geschützt werden müssen – ein Mythos, der wahrscheinlich als psychologische Umkehrung der Geschichte der massenhaften Vergewaltigungen von ‘schwarzen’ Sklavinnen durch ‘weiße’ Sklavenhalter entstand.
In Wirklichkeit werden die sexuellen und körperlichen Übergriffe überwiegend von Lebenspartnern, Familienmitgliedern oder Bekannten verübt. Die rassistische Panikmache im Herzen des ‘Krieges gegen das Verbrechen’ bedeutet daher eine massive Irreführung. Sie ist eine Ablenkung von den Versuchen, die Frauen aller Ethnien wirklich schützen könnten: Durch Stärkung und Unterstützung von Fraueninstitutionen, Frauenhäusern und Zentren zum Schutz vor Vergewaltigungen, durch Beratungen zum Schutz vor Gewalt, durch Seminare für Männer, psychiatrische Versorgung, durch Aufklärung und Organisationen, die sich mit all diesen Themen beschäftigen.
(Infomaterial z.B. The Revolution Begins at Home, edited by Ching-In Chen, Jai Dulani, and Leah Lakshmi Piepzna-Samarasinha).
Die Lage der Frauen steht im Mittelpunkt der unterdrückten Communities insgesamt. Der ‘Krieg gegen das Verbrechen’ wurde begonnen, um die Ideen von ’Macht dem Volk’ und ‚Selbstbestimmung der Unterdrückten’ zu zerstören, und er dient dazu, diese Communities in einem ewigen Zustand von Chaos und Qual zu halten. Unsere Sorge gilt nicht nur den 2.3 Millionen Menschen, die weggesperrt wurden, sondern unser Anliegen ist vor allem, wie wir sicherere, gesündere und schließlich blühende Communities aufbauen können.
Politische Unterdrückung und Masseninhaftierung gehen seit der Gründung von COINTELPRO und ‘dem Krieg gegen das Verbrechen’ Hand in Hand. Dieser Zusammenhang wird deutlich bei den mehr als 100 politischen Gefangenen, die inhaftiert wurden, weil sie gegen Unterdrückung gekämpft hatten. Viele von ihnen sind schon seit der Anfangszeit von COINTELPRO eingesperrt und viele beteiligen sich bis jetzt an den Kämpfen gegen den Rassismus und die Brutalität des Strafjustizsystems.
Die Ungerechtigkeit und die krassen Bedingungen haben aber auch dazu geführt, dass viele Gefangene, die zur Zeit ihrer Verhaftung nicht politisch engagiert waren, zu umfassend informierten und engagierten Aktivisten wurden. George Jackson war ein herausragendes Beispiel, und heute sind Hunderte, vermutlich sogar Tausende, an den Gefangenenkämpfen für Gerechtigkeit beteiligt.
Es ist kein Zufall, dass die politischen Gefangenen häufig die Kämpfe für bessere Bedingungen anführten. Wichtiges Beispiel dafür ist die Pflege der Bindungen zwischen Eltern und Kindern, wie es MILK ‘Eingesperrte Mütter lieben ihre Kinder’ in Virginia oder das Elternzentrum im staatlichen New Yorker Frauengefängnis in Bedford Hills tun.
Ein anderes wichtiges Beispiel ist AIDS. Damals, in den 1980er Jahren, erkannten einige politische Gefangene gemeinsam mit engagierten sozialen Gefangenen die dringende Notwendigkeit für Hilfs-Programme, um die Epidemie zu bekämpfen, die im Begriff war, zu einer der Haupttodesursachen bei Gefangenen zu werden, und trotz eines Klimas offizieller Unterlassung gelang es ihnen, sie zu initiieren. Das war möglich, weil diese politischen Gefangenen die vorherrschende Homophobie ablehnten, die zu der furchtbaren und kriminellen Unterlassung in den gesamten USA führte. Sie sahen die dringende Notwendigkeit zum Handeln und waren in der Lage, Programme anzuregen, die den Kampagnen der schwulen Gemeinden entlehnt waren.
Die Orientierung der politischen Gefangenen an Graswurzel-Organisierung und Mobilisierung von unten nach oben passte hervorragend zur sogenannten ‘Peer Education*2’, dem Lernen von Gleichen unter Gleichen, was sich später als die einzig wirksame Herangehensweise herausstellte.
Viele humane und nachdenkliche Menschen erkennen, dass Masseninhaftierung keine wirksame Strategie zur Bekämpfung von Verbrechen ist. Die gesamte Herangehensweise verstärkt die verheerenden Werte von Strafe-als-Prinzip und Wer-Macht-hat-hat-Recht, die Gewalt immer neu hervorbringen; Gefangene werden eingelagert statt rehabilitiert; Gelder, die für konstruktive Community-Programme verwendet werden sollten, verschwinden im gefängnis-industriellen Komplex.
Die Herausforderung für Reformer besteht immer darin, wirksame, gemeinschafts-orientierte Alternativen zu finden. Um diesem Bedarf gerecht zu werden, müssen wir uns eingestehen, dass das jetzige System nicht fehlgeleitet ist – es ist grundsätzlich falsch.
Die staatlichen Angriffe, die politische Unterdrückung untrennbar mit der Masseninhaftierung verknüpfen, sind eigens dazu entworfen, um genau die Art von Zusammenhalt, Vision und Initiative zu zerstören, die nötig ist dafür, sicherere und gesündere Gemeinschaften zu entwickeln.
Die Panther und andere revolutionäre Gruppen schufen Hilfsprogramme wie das kostenlose Frühstück für Schulkinder, Nachbarschaftskliniken, kostenlose Kleiderprogramme und kostenlose Schulen.
Noch wichtiger war jedoch, dass sie für Selbstbestimmung in diesen Communities eintraten und durch ihren Dienst an der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung die Zweckentfremdung öffentlicher Mittel in Frage stellten, die so unverhältnismäßig in Krieg und Repression fließen.
Das tatsächliche Ziel der Regierenden war es, die Entwicklung der Communities zu dämpfen und entscheidende Bemühungen für eine Gesellschaft zu zerstören, die menschlicher ist, die für Selbstbestimmung der Unterdrückten eintritt und menschliche Bedürfnisse über die Gier stellt.
Wenn wir die zerstörerische Maschine aufhalten wollen, müssen wir politische Gefangene unterstützen, uns der Masseninhaftierung entgegenstellen und eine mächtige Bewegung für eine grundlegende soziale Veränderung aufbauen.
*1 Barrios- spanisch sprechende Stadtviertel
*2 Peer Education- Die Schulung (u.a. von Kindern und Jugendlichen) untereinander und füreinander- hauptsächlich im Bereich der Prävention
Botschaft von Oscar López Rivera
29. Oktober 2012
Seit drei Jahrzehnten lebe ich jetzt als politischer Gefangener, und in dieser Zeit war ich Zeuge des exponenziellen*1 Wachstums der Gefangenenzahlen, eines Booms von Gefängnisbauten, der immer schnelleren Verschlechterung der Haftbedingungen und der Abschaffung oder Reduzierung von Programmen und Angeboten für Gefangene.
Diese Veränderungen haben ein Klima in den Gefängnissen geschaffen, das vergifteter, unmenschlicher und feindseliger ist als früher und das eine völlige Entfremdung unter den Gefängnispopulationen im ganzen Land mit sich gebracht hat.
Das Gefängnissystem der USA hat in seiner Geschichte schon immer die Bestrafung über die Rehabilitation gestellt, aber bis vor kurzer Zeit gab es zumindest ein paar Programme und Angebote, die die Idee am Leben hielten, dass Gefangene rehabilitiert werden könnten, bevor sie wieder in ihre Communities*2 entlassen wurden.
Leider sind die meisten dieser Ansätze bei Schul- und Berufsausbildung, bei Gesundheits- und Freizeitangeboten abgeschafft oder gekürzt worden. Sogar die Jobs in UNICOR, die es Gefangenen ermöglichten, Geld für ihre Grundbedürfnisse zu verdienen, sind gekürzt worden, und die Bezahlung ist geringer als früher. Das Ergebnis ist stetig zunehmende Untätigkeit und immer größer werdende Entfremdung.
Es ist wichtig, zu verstehen, dass diese Veränderungen nicht das Nebenprodukt irgendwelcher Zufälle sind, sondern das Ergebnis sorgfältig kalkulierter Regierungspläne, die ihren Anfang in der Richard-Nixon-Administration haben, der RNA. Unter dem Deckmantel des Law-and-Order-Slogans und mit den Empfehlungen der Kerner-Kommission zur Verbrechensbekämpfung schuf die RNA die nötige Infrastruktur zur Ausführung ihrer finsteren Pläne.
Sie schuf die Behörde zur Drogenbekämpfung DEA, das Amt für Strafverfolgung LEAA, und sie beschloss drakonische Antidrogengesetze und das RICO-Gesetz.
Danach ging es nur noch um den angeblichen Krieg gegen die Drogen. Aber der tatsächliche Krieg wurde gegen die Ghettos geführt und zielte vor allem auf die afro-amerikanischen, hispanischen und die Communities*2 der amerikanischen Urbevölkerung ab.
Der Krieg gegen die Drogen kommerzialisierte sie – sie wurden ein lukratives Geschäft für Banken und Drogenbarone. Der tatsächliche Krieg kriminalisierte die Armut und füllte die Gefängnisse mit hauptsächlich jungen afro-amerikanischen, hispanischen und Menschen der Urbevölkerung sowie anderen Angehörigen von Minderheiten. Dadurch schuf er die Voraussetzungen für die Explosion der Gefängnisbevölkerung und des Gefängnisbaus, das exponentielle Wachstum der Gefangenenzahlen und der Schaffung des gefängnis-industriellen Komplexes.
Die Regierungen der Bundesstaaten begannen die Nixon-Pläne zu kopieren. In Bundesstaaten wie New York (unter der Führung von Nelson Rockefeller) und Kalifornien (unter der Führung von Ronald Reagan) wurden drakonische Anti-Drogen-Gesetze erlassen, und mehr und mehr Gefängnisse wurden mit den oben genannten Bevölkerungsminderheiten gefüllt. Die meisten dieser Gefangenen wurden wegen kleiner Drogenvergehen verurteilt, waren drogenabhängig und/oder kleine Drogendealer.
Um das Nixon-Modell des Krieges gegen das Verbrechen und des angeblichen Kriegs gegen die Drogen anzukurbeln, erfand Reagan seine große rassistische Visitenkarte: Aus alleinerziehenden Müttern, die Sozialhilfe und Kindergeld bezogen, machte er die mythische ‘Welfare Queen’, die ihre vielen Kinder nur bekam, um die Regierung abzuzocken und damit ‚königlich’ lebte.
Denn Reagan hatte Erfahrung mit der Explosion des Gefängnisbaus und beschleunigte den Prozess sogar, sobald er in Washington saß, indem er noch mehr drakonische Gesetze gegen Verbrechen und Drogen erließ. Unter seiner Administration boomte der Bau der Staatsgefängnisse, und die bereits Genannten füllten sie.
Und ebenso wie die RNA während des Vietnam-Krieges mit dem CIA-Unternehmen ‘Phönix’ Heroin zu seiner Finanzierung benutzte, so benutzte Reagan’s CIA Kokain, um die CONTRAS in ihrem Kampf gegen die Sandinisten in Nicaragua zu finanzieren. Und das Kokain, wurde, genau wie das Heroin ein Jahrzehnt früher, zur weiteren Kommerzialisierung der Drogen und Kriminalisierung der Armut benutzt.
Es war das zur Finanzierung der CONTRAS benutzte Kokain, das die Ghettos überflutete, die Crack-Epidemie initiierte und die Zahl der jungen Afro-Amerikaner und Menschen der hispanischen Bevölkerung im Gefängnis-Industriellen Komplex exponentiell anwachsen ließ. Ein Jahrzehnt später übernahmen die Reagan- und Bush-Regierungen den Stab von Nixon und begannen ihre eigenen Kampagnen im angeblichen Krieg gegen das Verbrechen und die Drogen.
Die Bush-Regierung folgte demselben eingeschlagenen Weg. Bush erfand das Bild von Willie Horton*3 – eine weitere rassistische Visitenkarte – um seine Agenda des „harten Durchgreifens gegen das Verbrechen“ durchzusetzen und um es im Bewusstsein der amerikanischen Mehrheit zu verankern.
Während die Gefängnisbevölkerung wuchs und wuchs, füllte der angebliche Krieg gegen Drogen die Tresore der Banken-Industrie und der wahren Drogenbarone. Wer kann die 100 Millionen Dollar vergessen, die Raúl Salinas de Gortari an einem einzigen Tag bei der Citibank einzahlte? Raúl wurde in den Knast gesteckt, doch niemand von der Citibank wurde je für Geldwäsche angeklagt. Und wem gehört die Citibank?
Wer kann die Continental Bank in Florida und deren Drogen-Geldwäsche-Aktion vergessen? Und wie sieht es mit den vielen multi-nationalen Konzernen aus, die von der Kriminalisierung und der Kommerzialisierung der Armut profitieren? Der Gefängnisbau-Boom war so gewaltig, dass sowohl Reagan als auch Bush die Privatisierung der Gefängnisse mit aller Kraft vorantrieben. Große multinationale Konzerne begannen den Gefängnisbau als Profitunternehmen und kommerzialisierten und kriminalisierten die Armut noch weiter, während sie dafür große Profite einfahren konnten.
Viele Bundesstaaten begannen das staatliche Modell der Super-Max-Strafanstalten nachzuahmen, und überall im Land wurden sie errichtet. Da ich über 12 Jahre in solchen Gefängnissen verbracht habe, weiß ich wie furchtbar sie sind. Amnesty International hat sie ‘ein legales Verbrechen’ genannt. In Wirklichkeit aber sind sie Folterkammern, die den Geist und Verstand eines jeden Gefangenen zerstören können.
Was diese Gefängnisse noch vergifteter und unmenschlicher macht, ist die Tatsache, dass viele geistig kranke Gefangene dort enden. Seit der Schließung der psychiatrischen Kliniken im ganzen Land wurden und werden viele geistig kranke Menschen verurteilt und ins Gefängnis gesteckt, und etliche von ihnen landen in Super-Max-Gefängnisssen oder den Einzelhaft-Strafanstalten.
Clinton’s und Bush Jr.’s fortwährende Kriminalisierung der Armut fördert die Ausbreitung der Gefängnisse und die Vermehrung der Gefangenen. Beinahe zweieinhalb Millionen Gefangene werden inzwischen im gefängnisindustriellen Komplex buchstäblich eingelagert.
Was erwartet diese Gefangenen, nachdem sie jahrelang unter unmenschlichen, vergifteten und feindseligen Bedingungen überlebt haben? Was erwartet die Gesellschaft von Ihnen, wenn sie freigelassen werden und zurück in die Gesellschaft dürfen? Wie kann die Regierung rechtfertigen, was im Gefängnis-industriellen Komplex geschieht? Kann die Kommerzialisierung und Kriminalisierung der Armut beendet werden?
Lasst es uns wagen, das Monster zu bekämpfen und zu beseitigen, zu dem der gefängnis-industrielle Komplex geworden ist.
Ich möchte gern mit einer guten Nachricht schließen: Richard Nixon und Otto Kerner verließen ihre Ämter in Schande – ein gutes Beispiel für die Heuchelei der Kampagnen für Recht und Ordnung.
Oscar López Rivera
*1exponentiell – nicht lineares Wachstum
*2 community/Pl. Communities- dt. Gemeinde, Gemeinschaft, Allgemeinheit
*3 Willie Horton- lebenslänglich verurteilt wegen Raubes und Mord, durfte das Gefängnis kurzzeitig verlassen, nach der bewilligten Frist kam er nicht zurück, wurde danach wegen weiterer Verbrechen zu zweimal lebenslänglich plus 85 Jahre verurteilt und in ein Hochsicherheitsgefängnis verlegt. Bush verwendete dieses Beispiel immer wieder, um gegen Kandiaten zu gewinnen, die menschlichere Absichten auch Gefangenen gegenüber verfolgten