Thomas Meyer-Falk: Uwe O. zu Sicherungsverwahrung verurteilt
Vor wenigen Monaten berichtete ich über einen Bruchsaler Strafgefangenen, den 50-jährigen Uwe O., der nur Tage vor seiner Haftentlassung erfuhr, dass die Staatsanwaltschaft die nachträgliche Sicherungsverwahrung beantragt habe (vgl. hier und hier). Nunmehr wurde er antragsgemäß verurteilt.
Nachträgliche Sicherungsverwahrung
Ob unter Gefangenen oder in Medienberichten, allerorten heißt es, die nachträgliche SV sei abgeschafft; dies stimmt so jedoch nicht. Unter engen Voraussetzungen kann weiterhin die Sicherungsverwahrung, also die potentiell unbegrenzte Freiheitsentziehung, auch noch kurz vor Haftende beantragt werden, zumindest wenn die Betroffenen ihre Tat vor dem 01.01.2011 begangen haben. Das betrifft die Mehrzahl jener zur Zeit in den Gefängnissen einsitzenden Männer und Frauen. Tatsächlich beantragt wird die nachträgliche SV jedoch, zugegebenermaßen, nur in den wenigsten Fällen.
Der Fall Uwe O.
Erst durch die Berichterstattung in der Stuttgarter Zeitung wurde den Mitgefangenen bekannt, dass Uwe O. mehrfach wegen Vergewaltigung vorbestraft war; sein letztes Opfer, eine 39-jährige Frau aus Freiberg (Bezirk Stuttgart), tötete er nach der Vergewaltigung und verstümmelte sie. Hierfür wurde er zu 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt; nicht zu „Lebenslang“, da er wegen seines Alkoholkonsums als vermindert steuerungsfähig galt. Nachdem er dann am 30. November 2012 die Strafe vollständig verbüßt hatte, kam er nicht frei, sondern wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft Stuttgart vorläufig weiter in Haft gehalten, bis über den Antrag auf nachträgliche SV entschieden wurde.
Der Prozess
Vor der Schwurgerichtskammer des Landgerichts Stuttgart wurde an drei Verhandlungstagen im März 2013 über den Antrag der Staatsanwaltschaft verhandelt. Gehört wurden ehemalige Mitpatienten von Uwe O., insbesondere jedoch zwei Psychiater, Dr. Borg und Dr. Winckler (Tübingen). Laut Presseberichten bescheinigten beide Sachverständigen ihm schwere Alkoholabhängigkeit und eine ebensolche Persönlichkeitsstörung mit sadistischen Triebtendenzen. Da Uwe O. sich beharrlich jeglichen Therapieversuchen widersetzt hätte, in Haft mit Alkohol auffällig geworden sei, im Übrigen ein ehemaliger Mitpatient bekundet habe, wie Uwe O. ihm gegenüber auf eine Frau gedeutet und gesagt haben soll: „Die kann man auch mal packen“, und die Gutachter davon ausgehen würden, dass Uwe O. binnen kürzester Zeit oder einiger Jahre ähnlich schwere Sexualdelikte, bis hin zu Mord, begehen würde, wurde am 20. März 2013 die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet.
Versuch einer Analyse
Der Fall des Uwe O. hat ganz unterschiedliche Dimensionen oder Facetten. Nicht Wenige werden sagen: „Gut so! Endlich ein Urteil im Sinne des Opferschutzes!“ Das ist eine spontane Reaktion, die durchaus nachvollziehbar ist. Hier wird Uwe O. dann nicht nur als Individuum gesehen, das 1997 eine Frau vergewaltigt und getötet hat, sondern er dient auch als Folie für die Projektion von Ängsten und Sorgen in einer scheinbar immer unsicherer werdenden Zeit. Der Schritt zur Dämonisierung, zur Vorstellung, Uwe O. repräsentiere das Böse schlechthin, ist nicht weit.
Losgelöst von solchen Affekten eröffnen sich jedoch weitere Dimensionen. Carmen, sie sitzt selbst in nachträglicher Sicherungsverwahrung, meinte zu dem Fall Uwe O., in Kenntnis seiner Sexualtaten, dass ihr weder Mensch noch die Tat sympathisch wären, aber es gehe nicht an, einfach nachträglich die SV anzuordnen.
Auch Mitgefangene, die zuerst schockiert waren über die Tathintergründe, sagen: „Einerseits ist es nicht schade um ihn, dass er nun im Knast bleibt, andererseits, so geht’s doch nicht. Man sitzt seine Strafe ab und kurz vor dem Ende erfährt man, dass man nun lebenslang weggesperrt werden soll!“
Nicht umsonst wurde Deutschland schon mehrfach vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verurteilt, denn die nachträgliche SV ist ganz klar menschenrechtswidrig.
Solche Urteile wie das des LG Stuttgart geben den Gefängnisleitungen ein „hilfreiches“ Disziplinarinstrumentarium in die Hand: nicht wenige Gefangene fürchten, auch sie könne es eines Tages treffen, denn wie der Fall Uwe O. belegt, selbst wenige Tage vor Entlassung kann immer noch ein Antrag ins Haus flattern. Umso fügsamer und schweigsamer werden sie sich im Haftalltag geben.
Politik und Justiz zeigen, dass sie sich, wenn sie es für angebracht halten, über Menschenrechtskonventionen hinwegsetzen. Hier ist die nachträgliche SV ein Baustein in einem komplexen Gefüge, welches von der Teilnahme an völkerrechtswidrigen Kriegseinsätzen, über Einsatz oder Androhung von Folter gegen Tatverdächtige, bis hin eben zur zeitlich unbeschränkten Inhaftierung von zur Aussonderung aus der Gesellschaft vorgesehenen Menschen reicht.
Es ist wahr, heute trifft die Sicherungsverwahrung zu über 60% Sexualtäter (die nachträgliche SV zu nahezu 100%, zumindest was männliche Verwahrte betrifft), aber das Instrument ist vorhanden, künftig auch politische AktivistInnen zu treffen, [nicht nur – Anmerkung des Abtipp-Menschen*] sofern ihre Aktionen geeignet sind Leib oder Leben und Gesundheit Dritter zu schädigen.
Weitere Links zum Fall Uwe O.:
www.stuttgarter-zeitung.de
www.stuttgarter-zeitung.de
Thomas Meyer-Falk
c/o JVA – Z. 3113
Schönbornstr. 32
D-76646 Bruchsal
www.freedom-for-thomas.de
www.freedomforthomas.wordpress.com