Strafe verbüßt, weiterhin im Knast
erschienen am 15. Juli 2013 in der Tageszeitung neues Deutschland
Nach Reform der Sicherungsverwahrung: Haftverbesserungen, aber auch altbekannte Probleme
Die Neuregelungen zur Sicherungsverwahrung sind am 1. Juni in Kraft getreten. Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts 2009 bzw. 2011 zwangen den Gesetzgeber, den Vollzug in der Sicherungsverwahrung erheblich umzugestalten und »freiheitsorientiert« auszurichten.
Thomas Meyer-Falk gehört zu den 500 Personen in Deutschland, die ihre Haftstrafe verbüßen, aber dennoch nicht in die Freiheit entlassen werden. Der 42-Jährige hat seit 8. Juli seine Strafe abgesessen und wurde an diesem Tag von der JVA Bruchsal in die Sicherungsverwahrung nach Freiburg verlegt.
In der JVA Freiburg, wo die meisten Sicherungsverwahrten Baden-Württembergs einsitzen, wurde aufgrund der neuen gesetzlichen Bestimmungen eigens ein Gebäude saniert. Stolz präsentierten Landesjustizminister Rainer Stickelberger (SPD) und JVA-Leiter Thomas Rösch im März 2013 den geladenen Pressevertretern die neuen Räume: Die Zellen sind größer, der Gefangene kann bei ihrer Einrichtung teilweise mitbestimmen. Durch den dazugehörigen Hof fließt ein Bächlein, daneben stehen Liegestühle. Alles soll schöner wirken, deshalb werden die Zellen jetzt »Zimmer« genannt. Dass es nach wie vor Briefzensur und keinen freien Zugang zu Computer und Internet gibt, wird den Medienvertretern nicht erzählt.
»Ein golden angestrichener Käfig«, kommentiert Thomas Meyer-Falk, »bleibt immer noch ein Käfig.« Er ist nicht der Einzige unter den etwa 50 Sicherungsverwahrten in Freiburg, der die Unterbringung als eine verlängerte Strafhaft betrachtet. Anlässlich seiner Verlegung verwies Meyer-Falk auf die Einschätzung des ehemaligen Sozialarbeiters der JVA Freiburg, Peter Asprion, dass sowohl die Urteile aus Strasbourg und Karlsruhe als auch die nun neu beschlossenen Gesetze nichts Substanzielles ändern würden.
Auch andere Experten beurteilen das Verfahren skeptisch. Forensische Psychiater räumen ein, dass die Gefährlichkeit der Sicherungsverwahrten überschätzt werde. Lediglich bei einem Bruchteil bestehe eine konkrete Gefahr neuer Taten. Die meisten würden also zu Unrecht verwahrt.
Etwa zwei Drittel der Sicherungsverwahrten in Baden-Württemberg wurden wegen Sexualdelikten verurteilt, je zehn Prozent wegen Totschlags oder schweren Raubes. Aber »auch Diebe, Heiratsschwindler, Einbrecher, Betrüger sitzen in Sicherungsverwahrung«, kritisierte Meyer-Falk schon 2011. Sie hätten oft einen Jahrzehnte dauernden Freiheitsentzug hinter sich und »sind in der Regel vollkommen ungefährlich«. Er selbst wurde 1997 wegen Bankraubs mit Geiselnahme zu einer Haftstrafe plus zehn Jahre Sicherungsverwahrung verurteilt. Er rechnet damit, die kommenden zehn Jahre in der JVA Freiburg zubringen zu müssen.
Sicherungsverwahrung soll die Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern schützen. Sie hat also Präventivfunktion. Der vorbeugende Freiheitsentzug beruht auf einer Prognose, also auf einer Vermutung, dass eine Person gefährlich werden könnte. So etwas sehen deutsche Rechtsnormen jedoch nicht vor. Sicherungsverwahrung ist also ein Fremdkörper im bundesdeutschen Recht. Deshalb fordern kritische Juristen und Strafrechtler ihre Streichung aus dem Strafgesetzbuch.
Eingeführt wurde die Sicherungsverwahrung Ende 1933 unter Adolf Hitler. Nach Ende des Faschismus wurde sie in der DDR abgeschafft, in der BRD blieb sie jedoch bestehen. 1998 hat sie die christlich-liberale Kohl-Regierung verschärft. Fortan war es möglich, Sicherungsverwahrung nicht nur für zehn Jahre, sondern unbefristet anzuordnen. Im Zuge der Debatte um das dauerhafte Wegschließen von Sexualstraftätern gab es ab 2002 weitere Gesetzesänderungen. Die Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts erklärten dann die deutschen Regelungen als Verfassungsverstoß.
Von Niels Seibert