Thomas Meyer-Falk: Carmen ist untergetaucht

faust-durchs-gitterNachdem Carmen F. im November 2013 aus der nachträglichen Sicherungsverwahrung entlassen wurde ist sie nunmehr „untergetaucht“.

Wer ist Carmen F.?

Die heute 47-jährige Carmen saß rund 14 Jahre in Haft, davon die letzten fast 10 Jahre in strenger Isolationshaft. Und die letzten vier Jahre in nachträglich verhängter Sicherungsverwahrung. Verurteilt wurde sie ursprünglich wegen Brandstiftung an Firmengebäuden.

Die plötzliche Freilassung

Die baden-württembergische Justiz bereitete Carmen in keinster Weise auf ihre Freilassung vor, etwas, das ihr Verteidiger, Rechtsanwalt Dr. Adam Ahmed  auch gegenüber der Presse rügte. Von heute auf morgen wurde Carmen nicht nur aus der Iso-Haft entlassen, sondern faktisch auf die Straße gesetzt. Denn obwohl das Landgericht ihre Freilassung verfügte, mithin eine Entlassung in greifbare Nähe rückte, unternahm die JVA Schwäbisch-Gmünd nichts, Carmen darauf vorzubereiten.
So wurde sie an einem kalten Novembertag mit ihrer in den Jahren angesammelten persönlichen Habe auf die Straße gesetzt.

Freiheit – was nun?

Eigentlich hatte ihr Bruder angeboten, dass sie in seinem Haus die Dachwohnung beziehen könne; als es dann darum ging, die Zusage einzulösen, wollte er letztlich doch nicht, so dass Carmen vorübergehend in einer Pension einquartiert wurde. Das Landgericht hatte ein enges Korsett an Auflage verfügt: sie darf kein Feuerzeug und keine Zündhölzer bei sich führen, muss von 22 bis 6 Uhr im Haus bleiben und vieles mehr. Und sie muss eine elektronische Fußfessel tragen, die stets ihren Aufenthaltsort an eine Zentrale in Hessen, von wo aus alle elektronischen Fußfesseln, die bundesweit im Einsatz sind, überwacht werden, meldet.

Ein Sicherungsverwahrter im niedersächsischen Rosdorf und ich selbst gehörten zu ihren wenigen Sozialkontakten; mit Peter W., jenem Verwahrten in Rosdorf, telefonierte sie täglich und mir schrieb sie mehrfach.

Sie erzählte ganz offen, wie sehr die Freiheit sie fordere, wie überfordernd auch die Produktvielfalt im Supermarkt sei und wie sehr sie der „Hausarrest“ in den Nächten belaste, wo sie doch eigentlich lieber draußen in der Natur sei, anstatt im Zimmer zu hocken.

Die Konfrontation mit der Polizei

Carmen lebte in der Nähe des Bodensees, in der Provinz eines kleinen Städtchens. Mehrfach klingelte nachts die Polizei an der Pension, denn die Zentrale Überwachungsstelle für die elektronische Aufenthaltsüberwachung schlug Alarm. Angeblich habe sich Carmen unerlaubt zwischen 22 und 6 Uhr außerhalb des Hotels aufgehalten. Dabei soll es dann, so Carmen, zu unerfreulichen Szenen mit der Polizei gekommen sein, die in einer Anzeige, u.a. wegen Beleidigung mündeten.

Sie beteuerte stets, es müsse sich um einen technischen Defekt an der Fußfessel handeln. Justiz und Gericht bestehen aber darauf, alles sei technisch in Ordnung, und Carmen trage die Schuld für die Alarme, man gehe davon aus, dass sie gegen ihre strengen Auflagen verstoße. Der zuständige Richter, so Carmen in einem Brief, habe sie strengstens verwarnt und eine zeitnahe strafrechtliche Verfolgung angekündigt, wenn sie nicht endlich kooperiere.

Exkurs: Folgen bei Verstoß gegen Führungsaufsicht

Frau F. unterliegt dem Regime der Führungsaufsicht; damit können ehemalige Gefangene und Verwahrte, auch wenn alle Strafen abgesessen und die Sicherungsverwahrung für erledigt erklärt worden ist, weiterhin staatlicher Überwachung unterstellt werden.
Die grausame Pointe dabei ist, alle Verletzungen der Auflagen können mit Geldstrafe oder Haft bis zu drei Jahren geahndet werden (vgl. § 145 a StGB). Ansonsten also völlig legales Verhalten, wie der Konsum von Alkohol, ist dann strafbewehrt, wenn einem bspw. ein Alkoholverbot im Rahmen der Führungsaufsicht auferlegt wurde. Carmen musste eine elektronische Fußfessel tragen und deren Funktionsfähigkeit gewährleisten, z.B. deren Akku stets aufgeladen halten. Ein Verstoß hiergegen kann weitere Haft nach sich ziehen. Und es kann sogar die Sicherungsverwahrung verhängt werden (vgl. § 66 Absatz 1 Nr.1 Buchstabe c StGB).

Es ist also nicht etwa notwendig, dass jemand wie Carmen erneut etwas anzündet, es reicht aus, gegen die Auflagen zu verstoßen, um nicht nur zu einer Freiheitsstrafe, sondern sogar zur Sicherungsverwahrung verurteilt zu werden.

Carmen taucht unter

Immer mal wieder tauchen Aktivisten ab (so zum Beispiel ein Red-Skin aus Stuttgart, der RASH-Aktivist Smily. Aber auch unpolitische Menschen, wie aktuell Carmen.
Wie sie berichtet, habe sie „jetzt (ihre) 7 Sachen gepackt und werde mich unerlaubt entfernen“. Sie fährt fort: „Hab das Gefühl auf der Stelle zu treten, jeden Tag das gleiche zu tun und nicht mehr dazu zu gehören. (…) Hoffe, dass ich irgendwann für mich erkenne und weiß wie es weitergehen soll.“

Sie wolle endlich (Schreibweise wie im Original): „l-e-b-e-n, jeden Tag, als wäre es mein letzter!“

Allerdings rechnet sie damit, früher oder später verhaftet zu werden, denn sie kündigt an, sich in diesem Falle wieder aus einer Haftanstalt bei mir zu melden.

Ausblick

Auch wenn in diesem Moment die Herzen vieler Verwahrter für Carmen schlagen und auch darüber hinaus sie gute Wünsche von Menschen begleiten, die von ihrem Schicksal erfahren haben, so muss doch damit gerechnet werden, dass sie über kurz oder lang festgenommen werden wird. Denn ohne ein solidarisches Umfeld, ohne große finanzielle Reserven ist es, zumal nach 14 Jahren Haft und damit des abgeschnitten Seins von der Entwicklung „draußen“, eine große Herausforderung zu überleben, ohne der Polizei in die Fänge zu geraten.

Aber Carmens Entscheidung ist umso mutiger und konsequent! Sie entzieht sich der Drangsalierung, so erlebte sie die Bevormundung durch Polizei und Co., und lebt, wie es ihr gefällt.
Frei und ungebunden!

Lauf‘ Carmen! Lauf‘!

Denn die Freiheit wird einem nicht gegeben, man muss sie sich nehmen!

Thomas Meyer-Falk
c/o JVA (Sicherungsverwahrung)
Hermann-Herder-Str. 8
D-79104 Freiburg

www.freedom-for-thomas.de
www.freedomforthomas.wordpress.com

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