Berichte vom 4. und 5. Prozesstag gegen Sonja Suder und Christian Gauger
Von der Soliwebseite für Sonja Suder und Christian Gauger übernehmen wir Berichte vom 4. und 5. Prozesstag. Die weiteren Prozesstermine sind dort ebenfalls einsehbar.
“Das ist ein Merkmal der Folter.” – Bericht zum 4. Prozesstag am 9. Oktober
Der Prozess begann etwas verspätet, dafür waren im Zuschauerbereich Rampen installiert, welche Rollifahrer*innen den Zugang ermöglichen sollten. Bemerkenswert war, dass sich größere Teile der Zuschauer*innen den Zugang erst hatten erkämpfen müssen. Eine Gruppe überpünktlicher Jura-Erstsemester hatte sämtliche Schließfächer besetzt, was die Beamten dazu veranlasste, neue Leute erst nach langer Diskussion und der Zusicherung wirklich keiner der verbotenen Gegenstände, wie Schlüssel, Geldbörse o.ä mit sich zu führen, rein zu lassen.
Als erstes verlas die vorsitzende Richterin einen Beschluss zur Vernehmungsfähigkeit Hermann Feilings. Hierbei erklärte sie, das Mittel der Wahl zu seiner Vernehmungsfähigkeit sei der sogenannte Freibeweis, also die direkte Befragung vor Gericht. Dies solle vor allem durch ihn selbst, sowie alle möglichen Anfang der 80er Jahre beteiligter Personen geschehen. Sie zählte diverse Richter, Sachverständige, Bullen und Anwälte auf, mit dem Zusatz, sofern das nach so langer Zeit überhaupt noch möglich wäre – diese also noch am Leben wären.
Ansonsten sollten diverse Unterlagen, Gutachten und Protokolle der damaligen Prozesse eingeführt werden. Auf die Frage, wie das denn nachvollziehbar sein, vor allem, was das beweisen solle, da es eh nur ein „Ergebnisprotoll“, keine wirkliche Mitschrift wäre, sagte die Richterin, dies sei durch die Unterschrift des damaligen Vorsitzenden schon beweissicher. Daraufhin gab es die Anregung eines Verteidigers, der darauf hinwies, dass das Gericht sich auch sonst nicht scheut, den neuesten Stand der Technik zu verwenden, aber warum es bei der Frage der Beweiswürdigung auf Unterlagen und Erkenntnisse von vor 30 Jahren zurück greifen wolle.
RA Hartmann verlas einen Antrag bezüglich eines Gutachtens zu den posttraumatischen Auswirkungen auf Hermann Feiling. Insbesondere geht es um den Unterschied zwischen der „Vernehmungsfähigkeit“ und der Willensfreiheit und Willensbetätigung unter den gegebenen Umständen. So ist durch neuere Erkenntnisse gesichert, dass auch ein sich äußerlich „normal“ verhaltender Klient in seiner Willensbetätigung eingeschränkt sein kann und bspw. willfähig gegenüber seinem Aggressor ist. Dies ist ein Merkmal der Folter, dass sich der Betroffene sehr stark mit seinen Peiniger identifiziert und versucht, es ihnen Recht zu machen. Nach seinem Antrag kam es zu Beifall im Zuschauerraum und einer Rüge der Richterin an die Applaudierenden.
Hermann Feiling und RA Bayer als sein Rechtsbeistand wurden aufgerufen. Bayer betrat ohne Hermann Feiling den Raum und erklärte, dieser werde heute nicht erscheinen. Er legte ein ärztliches Attest und die Aussage eines ehemaligen Zivildienstleistenden vor, welche sein enormes Risiko für epileptische Anfälle in Stresssituationen erklären. Hermann Feiling könne sich keiner direkten Befragung aussetzen. Anschließend wurde RA Bayer noch von der Staatsanwaltschaft (StA) zum allgemeines Zustand von Feiling und seinen letzten Kontakten zu diesem befragt. Sie beginnt mit Dank für die „blumige“ (!) Beschreibung des Rechtsanwaltes über den gesundheitlichen Zustand des Mandanten, der von epileptischen Anfällen gesprochen hatte. Auch fragte sie nach einer Schweigepflichtentbindung Bayers durch Feiling, woraufhin dieser erklärte, er sei beauftragt, das soeben Gesagte hier darzulegen. Die StA fragte noch, ob er mit Hermann F. darüber gesprochen habe, von wem der die Bombe bekommen hat, woraufhin die Verteidigung einschritt und darauf hinwirkte, die Frage nicht zuzulassen, schließlich handele es sich hierbei um noch nicht bewiesene Spekulationen. Die StA zog daraufhin die Frage zurück.
Nach der Pause erklärten die Verteidiger von Christian, dass diesem keine ausreichende Pausenmöglichkeiten zur Verfügung gestanden habe, weil es in seinem Ruheraum wie in einem Taubenschlag zuging. Nachdem die Richterin sich dies durch Justizbeamte bestätigen lässt, wird die Verhandlung geschlossen.
Angedrohte Beugehaft, fürsorgliche Verhöre… 5. Prozesstag
Am heutigen Prozesstag ist die Zeugin S. geladen und betritt mit ihrem Rechtsbeistand den Gerichtssaal. RA Borowsky fordert als Zeugenbeistand beigeordnet zu werden und erklärt für seine Mandantin, dass ihre damalige Verurteilung 1982, die auf angeblichen Aussagen von Hermann F. basieren, von ihr akzeptiert worden war, weil sie Hermann F. eine weitere Belastung ersparen wollte. Sie ist bis heute der festen Überzeugung, dass Hermann F. nicht vernehmungsfähig war und will dieser Position Nachdruck verleihen, indem sie ein Wiederaufnahmeverfahren anstrebt und deswegen von dem Aussageverweigerungsrecht nach § 55 StPO Gebrauch macht.
Die Staatsanwaltschaft hat keine Einwände gegen die Beiordnung des Anwalts als Zeugenbeistand, verlangt aber, dass die Zeugin aussagt. Die Verteidigung widerspricht dieser Sichtweise und erklärt, dass die Zeugin nichts sagen muss, weil sie wegen der unzulässigen Vernehmung von Feiling mit Recht ein Wiederaufnahmeverfahren durchführen können muss.
Nicht unvermutet sieht das Gericht das anders und beschließt, die Beiordnung des Anwalts zurückzuweisen und auch der Zeugin die Aussageverweigerung abzusprechen.
Die Zeugin lässt sich davon nicht beirren und beharrt darauf, keine Aussagen zu machen. Richterin Stock kommentiert dies mit einer Belehrung, dass die Aussageverweigerung zu Ordnungsstrafen und Beugehaft bis zu einem halben Jahr führen kann. Die Zeugin bleibt auch daraufhin bei ihrer Haltung.
Die Staatsanwaltschaft forderte ein Ordnungsgeld von 800 €, ersatzweise 8 Tage Haft und gleichzeitig die Androhung von Beugehaft, weil sie Überzeugungstäterin sei. Der RA der Zeugin erklärt, dass seine Mandantin das Wiederaufnahmeverfahren durchführen will, weil Hermann F.s Aussagen auch damals nicht hätte verwertet werden dürfen.
Dann meldet sich der Anwalt der Nebenklage zu Wort und meint, er hat den Eindruck, dass die Zeugin eine klare feste Überzeugung vertritt und auch durch ein Strafgeld und Beugehaft nicht davon abzubringen ist. Von daher lehne er eine Beugehaft ab.
Nach einer 20-minütigen Beratungspause geht’s mit dem Beschluss der Kammer weiter: der Zeugin werden die Kosten des heutigen Verfahrens auferlegt, es wird ein Ordnungsgeld von 400,-€ verhängt, ersatzweise 4 Tage Haft. Begründet wird dies mit der Verweigerung auszusagen und dem Hinweis, dass es keine rechtlichen Gründe für ein Wiederaufnahmeverfahren gibt. Sie wird für den nächsten Freitag, 19.10. erneut geladen. Süffisant bemerkt Frau Stock gegenüber der Zeugin, die ruhig und souverän ihr gegenüber sitzt, dass sie bis zum nächsten Freitag genügend Zeit hat, über ihre Aussagebereitschaft nach zu denken. Die Zeugin verlässt mit ihrem Anwalt den Saal.
Dann zählt die Vorsitzende Aktenseiten auf, die sie verlesen will und beginnt mit Bundesrichter Kuhn, der mittlerweile verstorben ist und in seiner Funktion als Ermittlungsrichter einen scheinbar neutralen Auftrag verfolgt. Wir erinnern uns, dass dieser Kuhn einem vorgeführten Festgenommenen, es war auch im Jahre 1978, vor der Verlesung des Haftbefehls die Möglichkeit gibt, einen Vertrauensanwalt anzurufen. Als er das tut und der Anwalt sich meldet, unterbricht Richter Kuhn die Leitung – kein Kontakt. So spielte er damals seine Macht aus. Daraufhin sprang der Beschuldigte über den Tisch und traf mit der Faust das Gesicht seines Anklägers.
Kuhn beschreibt Hermann F. in einer damaligen Vernehmung als aufgeschlossenen Mann, der unrichtige Personenbeschreibungen korrigierte und sehr gesprächsbereit war. Richter Kuhn war bedacht darauf, Pausen einzuhalten, damit der Verhörende nicht überstrapaziert würde. Er beschreibt Einzelheiten, die genau die Position der Verteidigung unterstreichen, die dieses Verhalten auf eine traumatisierte, folterähnliche Situation zurück führt – diese Sicht wird von der aktuellen Traumaforschung unterstützt. Richterin Stock weigert sich aber bisher diese Gutachter zu hören und versucht mit den Verlesungen, die Verwertung der angeblichen Aussagen von Herr Feiling durchzudrücken.
Diese Situation ist nicht auszuhalten, unter lautstarkem Protest verlassen Zuhörer_innen den Saal. Frau Stock weist auf eine Zuhörerin und verlangt die Personalienfeststellung, sie unterbricht die Verhandlung. Nach ca. 10 min kommt die Polizei und verlangt von einer Zuhörerin, dass sie mitkommt. Diese weigert sich und fragt nach dem Grund, woraufhin ein Zivi handgreiflich wird und mit Gewalt die Frau aus dem Raum führt. Leute drum herum protestieren. Die Polizei erzwingt die Personalienfeststellung. Es herrscht eine aggressive Stimmung.
Christian Gauger geht es schon seit mehreren Verhandlungstagen sehr schlecht. Da sowieso nur noch wenige Minuten zu verhandeln sind, unterbricht die Vorsitzende die Verhandlung.
Fortsetzung am Dienstag 15.10. um 9.00 Uhr.
Kommt zum Prozess