Brief von Werner Braeuner zur Solidaritätsaktion in Sehnde

Der anarchistische Gefangene Werner Braeuner befindet sich seit dem 8. Mai 2011 im Hungerstreik in der JVA SehndeAm 24. Mai zogen solidarische GenossInnen vor den Knast in Sehnde und begrüßten die Gefangenen, im speziellen den seit dem 8. Mai hungerstreikenden Werner Braeuner. In einem Brief schreibt Werner über die Reaktion unter den Gefangenen. Außerdem dokumentieren wir weiter unten einen Presseartikel aus der Jungen Welt vom 4. Juni.

Das Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen wird am am Dienstag, den 7. Juni eine Infoveranstaltung über Werner durchführen, ab 19 Uhr im Mehringhof (Gneisenaustraße 2a in Berlin-Kreuzberg), außerdem wird es eine Woche später am 14. Juni ab 10 Uhr eine Solidaritätskundgebung vor dem Jobcenter in Neukölln (Mainzer Strasse 27) geben.

Werner Braeuner, 322. Tag Arbeitsverweigerung, 25. Tag Hungerstreik, Sehnde, 1.6.11

Einen revolutionären Gruß an euch, GenossInnen in Magdeburg, aus dem Knast, dem innersten Heiligtum von Staat, Sozialdemokratie / Lohnarbeit und Kapital!

Morgens, am 25.5. berichteten Mitgefangene von meiner Haftstation sichtlich begeistert von Eurem Besuch. Ich hatte nichts bemerkt, da ich tief und fest geschlafen hatte. Jedenfalls soll Eure Aktion verdammt laut gewesen sein. Ihr wart vor dem Hafthaus 1, mein Hafthaus 2 ist etwa 40 Meter weiter. Ihr seid jedoch bestens gehört worden, sagten die Mitgefangenen, allerdings konnten sie die Aktion nicht zuordnen. Einige meinten, es könne wegen meines Hungerstreiks sein vielleicht. In den folgenden Tagen setzte sich in der JVA dann überall die Auffassung durch, es habe sich um eine Aktion von entlassenen georgischen Gefangenen gehandelt, die im Knast verbliebene Landsleute hätten grüßen wollen. Ich selbst bin nicht davon ausgegangen, es sei wegen des Hungerstreiks gewesen, die Linke in Hannover ignoriert mich sehr engagiert bzw. hält mich für „paranoid“, wie ich erfahren durfte.

Erst als XX am 30. zu Besuch hier war, habe ich erfahren, wer die Aktion gemacht hat, am selben Tag habe ich mit der Post Euer Indymediaposting erhalten. Am Dienstag machte jenes Posting bereits seine Runde durch den Knast, weil es in die Betriebe mitgenommen wurde. Eure Aktion hat also noch nach einer Woche die Gefangenen mächtig interessiert!

Eure Aktion war überaus wichtig, weil sie nochmals sehr sehr deutlich gemacht hat, dass Knastkampf ohne Unterstützung von draußen schwach bleiben muss. Das haben die Gefangenen dadurch begriffen, dass die JVA mit meinem Hungerstreik bisher äußerst duldsam umgegangen ist, auf die ansonsten üblichen Repressionsmaßnahmen ist ganz verzichtet worden. Die Bedeutung von Organisierung und Vernetzung ist den Gefangenen also sicher klar geworden. Und natürlich stärkt eine solche Aktion ALLEN Gefangenen den Rücken, weil sie auf eine Verbindung nach draußen hinweist, das baut jeden Gefangenen auf, auch wenn er selbst nicht in direkter Verbindung zu einer Aktion von draußen steht.

Leider habe ich die Angewohnheit, wie ein Baby zu schlafen; jetzt im Hungerstreik noch mehr und auch früh schon am Abend, weil ich etwas erschöpft bin. Verdammt, ich habe Euch verpasst und wäre gern dabei gewesen! Also ärgere ich mich ein bisschen; natürlich aber ist die Freude, dass ihr hier gewesen seid weit weit größer als der Ärger!!! Obwohl es irgendwie unwirklich für mich wirkt nach vielen Jahren eingesperrt sein hinter Mauern: Dass da tatsächlich Menschen vor der Mauer waren, um mich im Knastkampf zu unterstützen. Aber doch, ja, ihr seid dagewesen! Unglaublich. Und unglaublich schön. Danke GenossInnen!

Am 31.5. Vormittags ist Ungewöhnliches geschehen. Des Morgens, kurz nach Zelleneinschluss, erschien Abteilungshelfer Tiedje höchst persönlich, um mir Post zu überreichen, welche die Bediensteten / Schließer hier von ihm die Anweisung haben, nicht an mich auszuhändigen, nämlich Schreibpapier, Kuli und Briefumschläge (von der Berliner Soligruppe). „Abteilungshelfer“ sind die verlängerten Arme der Anstaltsleitung in den einzelnen Vollzugsabteilungen, also kam Tiedjes Freundlichkeit von oben. Was hat den Sinneswandel der Anstaltsleitung, die ansonsten nur das Wort Repression kennt, bewirkt? Ich denke, es waren 2 Dinge:

1. Das Radiointerview bei Radioflora am Vorabend des Sinneswandels.

2. Eure Aktion am 24., weil Menschen aus Fleisch und Blut vor einer Knastmauer dem in einem Medium Gesagten überhaupt erst Gewicht verleihen können! Die Macht kommt aus den Gewehrläufen – Worte bleiben immer allein Worte, sie können keine Kugeln abfeuern; aber Menschen aus Fleisch und Blut sind dazu in der Lage! Und es ist gut, Anstaltsleitungen von Knästen Letzteres in Erinnerung zu rufen, denn was, wenn nicht (potentielle) Gewalt könnte Gewalttäter an Gewalttaten (Repression ist eine Gewalttat!) hindern.

Die Stimmung hier im Knast ist verändert durch unseren gemeinsamen Knast – und Klassenkampf, GenossInnen! Die Gefangenen sind viel aufgeräumter denn je, als seien die Ketten mit einem Male leichter geworden, beinahe schwerelos; verdruckste Gefangene leben plötzlich auf, sind vergnügt, und es wird auch anders kommuniziert, besser. Seit jetzt schon gut 2 Wochen ist das Essen wieder ausreichend von der Menge her und gehaltvoller, bisweilen ist das Abendbrot geradezu opulent: Würfelschinken en gros! Wann hat es zuletzt hier überhaupt mal rohen Schinken gegeben? Verdammt lang her! Das Gulasch (Pute) heute Mittag strotzte vor Fleisch und Pilzen, es gibt nun auch keine stinkenden Futter-, sonder übliche Speisekartoffeln. Hier ist Unglaubliches geschehen! Klar, die Anstaltsleitung hat die Hosen voll, sie fürchtet der Laden hier könnte hochgehen, nachdem mein Hungerstreik durchaus die Lunte sein könnte, die zum Pulverfass führt. Dass diese Lunte nicht wenige Tage nach Erscheinen mit massiver Repression bereits wieder beseitigt worden ist, hat einen Grund, einen einzigen! Eure revolutionäre Solidarität, GenossInnen des Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen in Magdeburg (und Berlin). IHR seid es, IHR allein, die all die Veränderungen in diesem Knast letztlich herbeigeführt habt! Ohne Euch wäre ich hier hinter den Mauern, im innersten Heiligtum der Repression, schon längst gescheitert mit dem Hungerstreik!!!

Ein Hoch auf die revolutionären Fraktionen des weltweiten Proletariats und auf all jene, die sich diesen Fraktionen in den kommenden Klassenkämpfen noch anschließen werden!

Für eine kämpfende Arbeiterklasse!

Werner


Presseartikel, erschienen am 4. Mai, in der Jungen Welt, von Markus Bernhardt

Gefängnisleitung kompromißlos
Inhaftierter protestiert mit Hungerstreik gegen Bedingungen und Essen in JVA

Um auf das Schicksal des derzeit in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Sehnde bei Hannover inhaftierten Werner Braeuner aufmerksam zu machen, plant das Berliner »Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen« in den kommenden Tagen mehrere Solidaritätsaktionen.

Braeuner ist seit 2001 inhaftiert, weil er nach der Streichung seiner Arbeitslosenhilfe den Chef der örtlichen Arbeitsagentur erstochen hatte. Er verweigert bereits seit dem 8. Mai die Nahrungsaufnahme. Damit protestiert er nach eigenen Angaben gegen unmenschliche Haftbedingungen in der JVA. So habe er stark verunreinigte Gefängnisnahrung erhalten und darin sogar Exkremente gefunden, berichtete Braeuner Mitte Mai in einer Erklärung. Daraufhin hatte er die Leitung der Haftanstalt aufgefordert, ihm den vom Niedersächsischen Justizministerium für Nahrungsmittel veranschlagten Tagesverpflegungssatz von etwa sieben Euro auszuzahlen, um sich eigenständig mit Lebensmitteln versorgen zu können. Dies lehnte die Anstaltsleitung ab.

Unterstützung erhält der Inhaftierte unterdessen vom Komitee für Grundrechte und Demokratie. In einem Schreiben an die Leitung der JVA Sehnde, das junge Weltvorliegt, fordert dessen Sprecher Wolf-Dieter Narr, sich gegenüber »Herrn Braeuner kompromißbereit zu zeigen«. Narr kritisiert, daß mit Verweis auf den wachsenden Kostendruck in Gefängnissen zunehmend auch an ganz grundlegenden Dingen gespart werde. Dadurch könne etwa eine gesunde, vitaminreiche Ernährung nur noch über den Zukauf von Lebensmittel auf eigene Rechnung in den überteuerten, vielerorts privat betriebenen Gefängniskiosken gewährleistet werden.

Um über die Situation Braeuners zu informieren, lädt das »Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen« für den 7. Juni um 19 Uhr zu einer Veranstaltung in den Mehringhof (Gneisenaustraße 2a) ein. Am 14. Juni (10 Uhr) soll außerdem eine Solidaritätskundgebung vor dem Jobcenter in Neukölln (Mainzer Str. 27) stattfinden.

www.political-prisoners.net

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