Einige Vorschläge zum Umgang mit Hausdurchsuchungen – ein Diskussionspapier
übernommen von linksunten.indymedia.org
In der jüngsten Vergangenheit kam es vermehrt zu Hausdurchsuchungen im größeren Umfang. Wir finden, dass leider im Nachgang, sei es bezüglich des Informationsflusses, der Solidarität oder der Aufarbeitung, einiges schief gelaufen ist. Deshalb hier nun ein paar Impulse und Ideen, um kommenden Repressionschlägen konsequent und gemeinsam entgegentreten zu können. Wir würden es begrüßen, wenn das Papier in den verschiedensten Zusammenhängen verteilt, diskutiert und Kritik, Verbesserungen oder Zustimmungen formuliert und veröffentlicht werden.
Getroffen hat es ein paar, gemeint sind wir alle?!
Nachdem es in jüngster Vergangenheit wieder vermehrt Hausdurchsuchungen in größerem Umfang gegeben hat, möchten wir mit diesem Text auf einige Dinge hinweisen, oder sie zur Diskussion stellen, von denen wir denken, dass sie für einen gemeinsamen Umgang wichtig sind. Hierbei wollen wir auf derzeitige „Standards“ eingehen, sowie eine gemeinsame, mögliche Perspektive diskutieren. Zu aller erst gilt unsere Solidarität natürlich den Betroffenen der Hausdurchsuchungen (HD), denen wir hiermit solidarische Grüße senden.
Wenn wir im Folgenden auf die konkreten Vorfälle der letzten Wochen eingehen, dann deshalb, weil wir denken exemplarisch auf einige Vorkommnisse und Umgangsweisen eingehen zu können. Niemand soll an den Pranger gestellt werden, jedoch kann keine Kritik auch keine Lösung sein. Sollte diese mal schärfer formuliert sein, geschieht das nicht böswillig nach dem Prinzip „wir hätten es besser gemacht“, sondern rein nach der Idee aus Fehlern lernen und eigenes Handeln reflektieren zu können. Daher kann die eine oder andere Formulierung auch als Selbstkritik gesehen werden, denn wir sehen uns als Teil der Auseinandersetzung.
1: Veröffentlichung der HD
Wenn es in letzter Zeit zu HDs gekommen ist, konnten solidarische Menschen meistens nur über die Mainstream-Presse erfahren, wo diese stattfanden. Meistens gab es noch einen kurzen Indymedia-Artikel, der verriet dann aber entweder nur den/die Stadtteil/e oder nur einzelne Objekte.
Ist es schlicht nicht erwünscht, dass sich Menschen vor den Häusern oder Wohnungen versammeln um ihre Solidarität zu zeigen, die Bullen zu nerven und ihnen klar zumachen, dass eine solche Aktion nicht einfach so ungestört stattfinden kann? Sollte es andere Gründe dafür geben, so sind uns diese nicht ersichtlich. Die Bullen wissen, wo sie einreiten. Es müssen ja nicht die Namen veröffentlicht werden, aber Straße und vielleicht Hausnummer reichen aus, sodass man sich auf den Weg machen kann.
Des Weiteren halten wir es für wichtig, dass, nachdem die Bullen weg sind und alle ihren Bedürfnissen nach versorgt sind, möglichst bald damit begonnen wird, ein Gedächtnisprotokoll der Durchsuchung zu verfassen, welches als Grundlage einer möglichen Veröffentlichung dienen kann.
In diesem sollte es darum gehen, Fakten zu sammeln. Wer war da (LKA,BKA…), aus welchem Grund, was haben sie gesucht bzw. mitgenommen, wurden Leute verhaftet und werden Leute gesucht.Diese Informationen können für Dritte von großem Interesse sein und warnende bis schützende Funktion haben. Auch finden wir es wichtig ein paar Worte über den Ablauf der Durchsuchung zu schreiben, bezüglich der Intensität oder der Brutalität.
Lasst uns nicht vergessen, dass eine HD für viele Leute immer noch ein abstrakter Begriff ist. Fakt ist aber, dass sie eine Konsequenz jeder Person sein sollte und die ein zu kalkulieren ist, wenn man sich den bestehenden Verhältnissen in den Weg stellt.
Ein paar Sätze bezüglich der Verwüstung, die die Bullen hinterlassen haben können ganz praktisch sein, denn solidarische Leute könnten sich so rasch einfinden und ihre Hilfe bei Reparaturen, bzw. beim Aufräumen anbieten. JedeR Durchsuchte hat sicher ganz andere Dinge im Kopf, bzw. genug organisatorische Dinge zu erledigen, als vielleicht die Schäden zu beheben.
Den psychologischen Effekt einer HD sollten wir im Übrigen auch nicht außer Acht lassen. JedeR verarbeitet diese Eingriffe in die Intimsphäre anders und nicht jedeR steckt diese einfach so weg. Hier sind enge FreundInnen gefragt und vielleicht nicht gleich der gesamte Polit-bzw. Bekanntenkreis. Gebt den Leuten Zeit, um wieder klar denken zu können.
Bezüglich dem Umgang mit Betroffenen kurz nach einer HD empfinden wir es als notwendig, andere Wege der Kommunikation zu nutzen als Telefone oder Ähnliches. Genau diese sollten nicht heiß laufen, denn auch diese Gespräche können ermittlungsrelevant, wenn nicht gar Gründe für neue Konstrukte seitens der Behörden sein. Lasst uns auf die Fakten warten und die Füße still halten.
2 : Wie tragen wir die Informationen zusammen?
Wenn mehrere Wohnungen durchsucht werden, wie es in letzter Zeit vermehrt geschah, schlagen wir vor, dass sich die Betroffenen persönlich oder durch einen/eine AnwältIn vertreten, beim Ermittlungsausschuss (EA) melden und genau die Infos weiterleiten, die wir unter dem Punkt 1 bereits erwähnten. Nicht immer kennen sich die Betroffenen untereinander, oder wissen wer alles durchsucht wurde. Durch eine Struktur wie den EA und durch die Vermittlung der Fakten an diesen, kann gewährleistet werden, dass alle wichtigen Information zusammen laufen und ihren Weg zeit nah in eine glaubwürdige Veröffentlichung finden.
Der EA ist UNSERE Struktur und sollte genau für solche Dinge genutzt werden. Durch sein öffentlicheres Auftreten und seine gewisse professionelle Objektivität denken wir, eine eigene Vermittlung nach Außen schaffen zu können, jenseits der Mainstream-Presse, dem Buschfunk und den leider immer wieder aufkommenden Spekulationen.
Blicken wir auf die letzten HDs, können wir kurz zusammengefasst sagen, dass die meiste Öffentlichkeit durch die Mainstream-Presse hergestellt wurde wobei z.B. behauptet wurde Brandsätze seien gefunden worden. Auch die Gründe der Durchsuchung wurden hierbei lediglich von diesen vermittelt.
Es soll sich um zwei Vorkommnisse, einmal Angriffe in der Nacht des 2. Mai diesen Jahres auf Jobcenter etc., wie auch Angriffe auf Bullen während einer Gezipark-Soli-Demo handeln. Der Buschfunk auf der anderen Seite trötete, dass sowohl BKA wie auch LKA und hierbei nicht nur das Berliner aktiv waren und sie gezielt nach Bengalos italienischen Fabrikats gesucht haben sollen. Alles Dinge, die Spekulatione nähren und die Gerüchteküchen zum überlaufen bringen, wenn diese Informationen nicht durch unsere Strukturen verifiziert sind. Wenn die Bullen beispielsweise explizit nach Bengalos aus Italien gesucht haben, dann sollte das auch ganz klar in einer Veröffentlichung der Betroffenen genannt werden. Auch diese Info kann für Andere wichtig sein.
Was uns sehr verwundert und im Nachgang auch geärgert hat ist der Fakt, dass nur am Rand erwähnt wurde, dass einige Betroffene ihre DNA abgeben mussten. Dies war nur der Presse oder dem Buschfunk zu entnehmen und ist für uns so nicht hinnehmbar. Gerade im Hinblick auf die zukünftige Bedeutung dieser Ermittlungsmethode halten wir das publizieren dieser Information als enorm wichtig. Wie auch bei der Frage, wer eventuell von den Bullen gesucht wird, hat die Herausgabe einer solchen Information eine schützende und warnende Funktion für Dritte.
Es kann doch nicht sein, dass wir erst einen Monat nach den HDs an den Punkt gelangen, an dem wir behaupten können, alle verifizierten Information zusammengetragen zu haben. Und dies auch nur, weil uns eine gesamte Übersicht geprüfter Fakten enorm wichtig erscheint. Dies darf unserer Meinung nach auch nicht der Standard sein.
Infos und Fakten müssen so schnell wie möglich veröffentlicht werden und für alle zugänglich sein. Zum Einen haben wir Besseres zu tun, als wochenlang irgendwie an Informationen zu gelangen, Spekulationen zu prüfen und Gerüchte zu hinterfragen. Zum Anderen hätten wir uns gerne viel früher einen Überblick erhofft, der nämlich viel weiter geht, als nur über die Details der jeweiligen HDs zu reden. Durch die koordinierte Zusammenfassung der Infos durch den EA hätten wir zwei Tage nach den eigentlichen Durchsuchungen erste Auswertungen machen können und uns über die Konsequenzen bewusst werden können. Wir finden die Nicht-Reaktionen, bzw. zu späten Übermittlungen verifizierter Infos verantwortungslos und gefährlich, denn HDs treffen meist einzelne, betroffen sind wir aber nun mal alle!
3: Reaktion und gemeinsamer Umgang
Neben der solidarischen Begleitung und Öffentlichkeitsarbeit im Zuge einer HD halten wir es für wichtig entsprechende Aktionsformen – nebst den klandestinen Reaktionen – zu finden, in denen wir unsere Solidarität gemeinsam zum Ausdruck bringen können. Um solche entwickeln zu können möchten wir hiermit wieder die Idee einer Vollversammlung ins Leben rufen, die am Abend nach einer HD stattfinden soll.
Hier gibt es Raum für Informationsaustausch, Diskussion und gemeinsame Planung mit mehr Leuten, als nur den Betroffenen. Somit kann die anstehende Mobilisierungsarbeit usw. auf mehrere Schultern verteilt, Ideen gesammelt und ein breiteres Bündnis auf die Beine gestellt werden, das dann z.B. eine anstehende Demonstration vorbereitet. Somit lassen sich Schnellschüsse verhindern und es gibt die Möglichkeit, dass Leute, die z.B. tagsüber arbeiten etc. davon mitbekommen und sich einschalten können.
Wenn wir uns über diese Plattform austauschen, Infos einholen und anstehende Reaktionen organisieren ist dies auch sicherheitstechnisch clever, denn die schon erwähnten „heiß laufenden“ Telefone bleiben somit aus. Natürlich müssten bei solch einem Treffen dann auch nicht alle Betroffene vor Ort sein, wenn sie das gerade nicht wuppen können oder wollen, jedoch müsste sichergestellt werden, dass alle Fakten zugänglich sind.
Bezogen auf die Demonstration in Kreuzberg am Abend der HD wollen wir darauf hinweisen, dass sich sicher auch einige Leute dieser nicht angeschlossen haben, weil sie keinen Bock hatten den Bullen ausgeliefert zu sein. Das besonders in Anbetracht der kurzen Vorbereitungszeit.
In allen Kiezen, in denen Durchsuchungen stattfanden gab es ein enormes Bullenaufgebot, da diese sich auch darauf vorbereiteten, dass es eine Sponti als Reaktion geben könnte. Derart durchgeführt ist eine solche Demonstration kein Zeichen von Stärke und Zusammenhalt sondern lediglich ein unbeholfener, berechenbarer Griff in die Aktionskiste, in einer Zeit in der wir nicht mit tausenden von UnterstützerInnen auf einer Demo rechnen können wie es zur Zeit des G8 in Berlin möglich war.
Natürlich ist die Wut nach solch staatlichen Angriffen enorm und ein gewisses „Jetzt erst recht“-Gefühl macht sich breit. Dennoch sollten wir mit klarem Kopf und mit so viel wie möglichen Leuten bereden, was eine mögliche Antwort sein könnte. Wenn die Dynamik fehlt und Entscheidungen nur von wenigen gefällt werden, kann auch nicht erwartet werden, dass sich alle mit der gewählten Aktionsform, wie einer Sponti, angesprochen fühlen. Den Raum müssen wir erst einmal schaffen, um staatlicher Repression konsequent, entschlossen und gemeinsam entgegen treten zu können.
Lasst uns versuchen, auf kommende HDs unsererseits bestimmter, für den Staat aber unberechenbarer zu reagieren, unsere Strukturen mit vollen Händen auszuschöpfen und einen gemeinsamen Umgang mit Repression zu pflegen.
Ein paar FreundInnen von Anna und Arthur