Entstaatlichung des Strafvollzugs
Der Berliner Senat macht den Weg frei für die Teilprivatisierung der geplanten Strafvollzugsanstalt in Großbeeren
von Christian Linde – erschienen im MieterEcho 330/Oktober 2008
Die von der rot-roten Koalition angestrebte Teilprivatisierung des Strafvollzugs in Berlin nimmt konkrete Züge an. Der öffentlichen Hand soll das Modellprojekt „Public-Private-Partnership“ im Strafvollzug Einsparungen und der Gefängnisindustrie Gewinne bringen. Welche Optionen die Verfassungs- und Rechtslage zulassen, sollen nun Studien ermitteln. Vorbild ist das Land Hessen. Für den schrittweisen Rückzug des Staats aus seinen Kernaufgaben stehen als Kooperationspartner auch Dienstleister aus dem militärisch-industriellen Bereich bereit.
Der Strafvollzug in Berlin steht, wie im übrigen Bundesgebiet, vor anhaltenden und massiven Kapazitäts- und Finanzierungsproblemen. Die Anstalten sind vielfach veraltet und überbelegt, die sozialen Spannungen unter den Gefangenen verschärfen sich, das Personal ist zunehmend überlastet und die Finanzmittel werden immer knapper. Die Bundesländer binden deshalb verstärkt private Dienstleister in den Strafvollzug ein. Die Kooperationsmodelle reichen von der Konzeption, dem Bau, der Finanzierung von Haftanstalten bis zur kompletten Führung der Anstalt – einschließlich der Bewachung und des Transports der Gefangenen. Dabei werden Teilleistungen entsprechend des individuellen Bedarfs zu Service-Paketen zusammengestellt.
Private Berater organisieren Konzept zur Entstaatlichung
Der Senat hat nun den Startschuss dafür gegeben, dass auch in Berlin Bereiche der Strafrechtspflege privatisiert werden können. Insgesamt 500.000 Euro hat Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD) beim Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses beantragt, um durch Gutachten prüfen zu lassen, welche Optionen für die Vergabe bisheriger staatlicher Aufgaben an private Unternehmen bei Inbetriebnahme des Großgefängnisses in Heidering im brandenburgischen Großbeeren durch die Rechts- und Verfassungslage gedeckt sind. Denn große Teile des 2012 ‚ans Netz gehenden’ 118 Millionen Euro teuren Gefängnisses, in dem 650 Gefangene untergebracht werden, sollen unter private Regie gestellt werden. In einem Bericht an das Abgeordnetenhaus heißt es dazu: „Es ist unter inhaltlichen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu gewährleisten, dass diese Form der Aufgabenerledigung den Anforderungen des Justizvollzuges entspricht.“ Dazu sollen mindestens das Gebäudemanagement, die Wäscheversorgung, der Einkauf und vor allem auch die berufliche Weiterqualifizierung der Gefangenen gehören. Ziel der neuen Justizvollzugsanstalt (JVA) ist es, dass 75% der Strafgefangenen arbeiten soll. Zum Vergleich: In der JVA Tegel liegt der Anteil bei 60% und bundesweit arbeiten durchschnittlich 50% der Strafgefangenen. Die hoheitlichen Aufgaben, wie das Einschließen und die Bewachung, sollen weiter von Justizbediensteten übernommen werden. Dass die Ausgestaltung der zukünftigen Arbeitsteilung zwischen Staat und privaten Unternehmen extern geplant werden soll, begründet der Senat mit einem Mangel an eigenen Experten: „Die Senatsverwaltung für Justiz bedarf neben dem rechtlichen und fachspezifischen Sachverstand, der durch die Mitarbeiter der Senatsverwaltungen für Justiz, Finanzen und Stadtentwicklungsverwaltung bereitgehalten wird, Beratungen durch private Dienstleister.“
Effizienz hat Priorität
Aufgabe der Beratungsfirmen wird es unter anderem sein, Prognosen über die Effizienzvorteile einer Teilprivatisierung abzugeben. „Grundlage der Berechnungen der Honorarleistungen bilden dabei ein derzeit marktüblicher Durchschnittstagessatz von 2500 Euro bis 3000 Euro (netto)“, erklärte die Justizsenatorin die veranschlagte Kosten gegenüber dem Abgeordnetenhaus. Für 2009 ist eine Machbarkeitsstudie geplant. Kosten: 150.000 Euro. 2010 müsse das Vergabeverfahren mit externer Unterstützung vorbereitet werden. Der Preis: 100.000 Euro. Für die Übernahme des Teilbetriebs durch den privaten Betreiber fallen 2011 rund 150.000 Euro an finanziellen Aufwendungen an. Die Ausgaben für die Gutachten zur „wirtschaftlichen Zwischenauswertung“ des Projekts ab 2012 belaufen sich auf 100.000 Euro. Ob es bei den veranschlagten Aufwendungen bei der Konzeptarbeit bleibt, ist allerdings abzuwarten. Bereits die ursprünglich geplanten Kosten für den Gefängnisbau selbst in Höhe von 97 Millionen Euro mussten auf aktuell 118,5 Millionen Euro korrigiert werden.
Empfehlungen der „Expertenkommission Staatsaufgabenkritik“
Zurück geht der Plan einer Teilprivatisierung des Strafvollzugs in Berlin auf Vorschläge der sogenannten „Scholz-Kommission“. Diese war von der großen Koalition aus CDU und SPD im März 2000 eingesetzt worden. „Die Expertenkommission hat den Auftrag, strukturelle Veränderungen der Berliner Verwaltung vorzuschlagen, die dem neuen Bild staatlicher und kommunaler Tätigkeiten entsprechen. Insbesondere soll dabei begutachtet werden, ob Aufgaben weiter und im bisherigen Umfang wahrgenommen werden sollen und wie der Wettbewerb nach den Regelungen des Verwaltungsreform-Grundsätze-Gesetzes und der Landeshaushaltsordnung als Motor für den Fortschritt, für Kostensenkung und Qualitätsverbesserung genutzt werden kann. Die Kommission soll auch Vorschläge machen, wie ein wirkungsvoller Beitrag zur Haushaltskonsolidierung durch Abbau von Ausgaben des Landes Berlin zu erreichen ist“, lautete deren Arbeitsauftrag. Unter dem Vorsitz von Rupert Scholz (CDU), ehemaliger Bundesverteidigungsminister und Staatsrechtler, hatte die „Expertenkommission Staatsaufgabenkritik“ in ihrem Abschlussbericht vom 23. November 2001 für den Bereich Justiz festgestellt: „Privatisierungsvorhaben im Strafvollzug müssen unter verschiedenen Aspekten bewertet werden. Die Kommission stellt hierbei die Erfolgsfaktoren Effizienz, Effektivität und die vollzugliche Praktikabilität in den Vordergrund.“ Unter der Überschrift „Realisierung eines praktikablen Private-Public-Partnership im Bereich des Justizvollzugs“ wird der Senat aufgefordert, „die sich in Planung befindliche Justizvollzugsanstalt Heidering in Großbeeren und das geplante Vollzugskrankenhaus am Standort Plötzensee auf der Grundlage der von der Arbeitsgruppe ,Modellprojekte zur Privatisierung im Strafvollzug‘ (Hessen) entwickelten Leitlinien als Private-Public-Partnership in Betrieb zu nehmen“.
Justizvollzugsanstalten als neues Geschäftsfeld
Das hessische Justizministerium hatte 1999 eine aus Justizexperten, Wissenschaftlern und Politikern zusammengesetzte Arbeitsgruppe beauftragt, die rechtlichen und tatsächlichen Rahmenbedingungen eines solchen Projekts zu überprüfen und entsprechende Lösungsvorschläge zu unterbreiten. In einem Papier dazu heißt es: „Der Planung und Errichtung von Haftanstalten durch Private stehen keine verfassungs- oder verwaltungsrechtlichen Grundsätze entgegen. Der Staat kann seinen Vollzugsaufgaben auch dann voll Rechnung tragen, wenn er ein privat errichtetes Gebäude nicht als Eigentümer übernimmt, sondern lediglich mietet oder pachtet. Eine Privatisierung im Strafvollzug ist auf der Grundlage des geltenden Rechts ohne Änderung des Strafvollzug-Gesetzes möglich, soweit sich die Tätigkeit der Privaten auf Dienst- und Serviceleistungen im weiteren Sinne ohne Eingriffsbefugnisse gegenüber Gefangenen beschränkt.“ Danach seien große Teile des Hausmanagements, der Verwaltung, des Versorgungs- und Betreuungsmanagements, Teile des Bewachungs- und Kontrollmanagements, aber auch personenbezogene Kontrollmaßnahmen wie Anwesenheits- und Bewegungskontrollen, allgemeine Beaufsichtigungsmaßnahmen und auch reine Dienstleistungen im Sicherheitsbereich „einer Privatisierung zugänglich“.
Im März 2004 wurde im hessischen Hünfeld der Grundstein zum Bau der ersten teilprivatisierten Justizvollzugsanstalt in Deutschland gelegt. Im Januar 2006 wurde der Betrieb aufgenommen. In der JVA sind 115 staatliche Bedienstete und 102 Mitarbeiter der Serco GmbH beschäftigt. Die Firma Serco erhielt den Zuschlag nach vorheriger europaweiter Ausschreibung.
Der Akteur Serco
Die Serco GmbH ist eine Tochtergesellschaft des weltweit agierenden britischen Konzerns Serco Group plc. Das börsennotierte Unternehmen wurde 1929 gegründet. Hauptgeschäftsfeld ist die Übernahme von öffentlichen Dienstleistungen. Dies erfolgt im Rahmen Öffentlich-Privater-Partnerschaften mit Behörden aus den Bereichen Justiz und Sicherheit, Schulen und Hochschulen, Gesundheit, Verkehr, Verteidigung, Luft- und Raumfahrt. Im Bereich der Bundeswehr machte sich das Unternehmen in den letzten Jahren einen Namen als Auftragnehmer für den Betrieb des Gefechtsübungszentrums des Heeres in der Altmark. Die Firma ist Auftragnehmer des Bundesverteidigungsministeriums und der NATO und seit ihrer Gründung im Jahr 1961 Partner des heutigen Waffensystemkommandos der Luftwaffe für die Luftraumüberwachungssysteme. Der Konzern ist in 36 Ländern mit 46.000 Mitarbeitern tätig. In Großbritannien betreibt die Serco fünf Justizvollzugsanstalten sowie Jugend- und Abschiebehaftanstalten. Bei Umsatz, Ergebnis und Mitarbeiterzahl verzeichnet Serco jährliche Zuwachsraten von durchschnittlich über 20%. Die deutsche Serco GmbH hat ihren Sitz in Bonn. Das Unternehmen beschäftigt mehr als 1100 Mitarbeiter an 35 Standorten.
Weltsozialbericht warnt vor Privatisierung
Die Privatisierungsquote im hessischen Hünfeld beträgt rund 45%. Der Vertrag mit dem privaten Partner hat eine Laufzeit von fünf Jahren mit einer zweijährigen Verlängerungsoption. Als ein Hauptargument für die Teilprivatisierung der JVA Hünfeld wurde seinerzeit eine mögliche Einsparung bei den Betriebskosten angeführt. Mit der Teilprivatisierung könnten ca. 15% der Betriebskosten eingespart werden. Die Realität sieht zurzeit (Stand 2008) jedoch anders aus. Tatsächlich ist nach Angaben des hessischen Justizministeriums ein Haftplatz in der JVA Hünfeld (83,18 Euro pro Tag) im Vergleich teurer ist als in der staatlichen JVA Darmstadt (79,28 Euro pro Tag). Erste Angaben über die Kostenkalkulationen und Wirtschaftlichkeitsberechnungen für Berlin sollen Ende des Jahres vorliegen. Erst danach will das Parlament endgültig entscheiden, in welcher Form Großbeeren betrieben werden soll. Interesse hat bereits die deutsche Sektion des französischen Baukonzerns Vinci angemeldet, der bereits in England Modelle von privat betriebenen Gefängnissen realisiert hat.
Vielleicht hilft den Berliner Abgeordneten bei der Entscheidungsfindung ein Blick in den von 28 Nichtregierungsorganisationen (NGO) vorgelegten Weltsozialbericht von 2004. Dort wurde festgestellt, dass „die Privatisierung in Form von Kommerzialisierung zur durchgehenden Verschlechterung der Lebensverhältnisse und Lebensqualität führt“. Beispiele im Bereich des Justizvollzugs gab es dazu – aus England.