Gabriel Pombo da Silva: Über normale und abnormale Bürger_innen…
Nicht selten bin ich ein bisschen „neidisch“ auf die Leute, die sich als „normal“ definieren (ob nun begründet oder auch nicht) Du weisst schon: Anonyme Individuen, die ihre Nachbar_innen nie (oder fast nie) zum nachdenken bringen (weder positiv noch negativ), am Tresen in einer Bar, auf Arbeit oder in der Schlange eines INEM¹.
„Normal“ zu sein heißt in der Welt mit ihrer/seiner Lebensführung nicht aufzufallen – wie hundert Millionen anderer, die heutzutage Bürger_innen genannt werden: Gläubige oder Atheist_innen, Arbeitslose oder Arbeiter_innen, Studierte oder nicht, gesetzestreu (mehr oder weniger) mit kleinen Lastern und Gewohnheiten, Familie usw…Die Mehrheit solcher „normaler“ Menschen sind davon überzeugt, dass sie Bürger_innen mit Rechten seien, was sie dazu zwingt in den Schranken dieser Rechte zu denken.
Ihrer Überzeugung nach werden ihnen, sollten sie eines Tages ein (oder mehrere) Probleme haben, Institutionen mit ihren verschiedenen Instanzen zur Seite stehen, die sie repräsentieren und ihnen helfen…Die Wahrheit zu kennen ist eine Sache von Leben…und zu leben bedeutet in etwa öfter auch mal inne zu halten, Erfahrungen zu sammeln und sich eine Vorstellung von den ganzen Dingen zu machen. Eine Person gibt auf „normal“ zu sein sobald sie aufgibt ein_e Bürger_in zu sein. Und auf Grund des ein oder anderen Ereignis wird sie oder er zu jemandem die/der mit Konventionen, Stereotypen, Regeln usw. bricht und auch mit dem Finger auf andere zeigt…In Zeiten der Fernseh-Demokratie und egoistischem Denken wie in 1984 von George Orwell nehmen die Hohepriester_innen der Meinungsbildung die Rolle ein sagen zu können, wer „normal“, „abnormal“, „semi-normal“ usw. sei. Denen folgen die Wächter_innen der Ordnung und des Gesetzes, die wie Halbgött_innen der VERNUNFT und sichtbare Vertreter_innen des sichtbaren Systems fungieren…fast hätte ich die die Demagog_innen der „professionellen“ und repräsentativen Politik vergessen (ihr wisst schon – die Gesichter auf der Mattscheibe oder auf Werbetafeln, die Dir das Blaue vom Himmel versprechen…) und diejenigen, die den Mehrwert der Arbeit und des Kapitals akkumulieren und die Köpfe des ganzen darstellen: Bosse, Patron_innen. Chef_innen usw. …Und ich habe gesagt, dass ich nicht allzu selten neidisch auf solche „normalen“ Menschen und Persönlichkeiten bin weil sie einfach leben, sich einfach ernähren, bewegen in Beziehungen treten und mehr vögeln als ich…Ich glaube, dass für die Mehrheit der Menschen frei zu sein bedeutet solche grundsätzlichen Dinge (sich ernähren, besitzen, sich bewegen, vögeln, Beziehungen haben usw….) als gewährleistet zu sehen… was die Mehrheit dabei aber vergisst ist, dass dieses System solche Dinge aus verschiedenen Gründen nicht gewährleisten kann…Sicherlich bedeutet Freiheit aber viel mehr als solche Sachen, die sogar ich in Gefangenschaft und meiner ganzen „Abnormalität“ genieße (auch wenn in viel geringerem Maße)…Was für mich immer ein Geheimnis bleiben wird ist wie es möglich sein kann, dass wenige über den Großteil der Menschheit regieren und sie beherrschen kann. Ich wäre auch gerne „normal“ um mich nicht immer anstrengen zu müssen diese „Gesamtheit der Dinge“ zu bekämpfen und mich dabei wie Don Quichotte in einem Land voller Ungerechtigkeit und Bösem zu fühlen…Sicher benutzen die Verteidiger_innen und Vertreter_innen dieses Systems Adjektive wie „Verbrecher_in“, „System-Gegner_in“ usw. für Menschen wie mich…und um ihr System (ökonomisch – politisch – asozial und unmoralisch) vor Monstern wie mir zu schützen haben sie Lagerstätten, die sie „Zentren“ nennen eingerichtet.
Vielleicht sollte ich zur Erklärung anführen, dass ich seit ich 16 Jahre alt bin ich mich immer innerhalb solcher „Zentren“ aufgehalten habe (für Jugendliche, Erwachsene, gefährliche, weniger gefährliche, usw….) und meinen „Werdegang“ dem Staat verdanke. In einer logischen Folge brauchen sich der Staat und seine Institutionen genauso wie seine „Zentren“ nicht wundern oder davon schockiert sein, dass ein_e Verbrecher_in, Terrorist_in oder Monster ist, wer davon träumt einen Eintopf aus in kleine Stücke geschnittener Leber von Beamt_innen machen zu wollen…oder? Ich habe nicht vor für diese Überlegungen eine pädagogische und/oder philosophische Rechtfertigung zu suchen…Ich schreibe weil es für mich an dem Ort, an dem sie mich halten, der einzige Weg ist das Schweigen und die Einsamkeit dieses Ortes aufzubrechen. Seltsamerweise ist Geselligkeit eine Frage des Charakters und nicht eine besondere Fähigkeit derer, die in „gesellschaft“ leben – umgeben von „Bürger_innen“…
Gabriel, Aachen – Februar 2009
¹INEM: spanisches Arbeitsamt