Hungerstreik der Lebenslänglichen in Italien

Am 1. Dezember beginnt in Italien ein Hungerstreik der zu Lebenslänglich verurteilten Inhaftierten. Ihren Kampf gilt es mit allen Mitteln zu unterstützen.
Unterstützt die in Italien zu Lebenslänglich Verurteilten im Kampf – gegen Lebenslänglich und alle Knäste
!

“…What does it feel liketo be condemned to life in prison?
Well, imagine that all your worse fearsbe brought together.”

(ein zu Lebenslänglich verurteilter italienischer Gefangener)

Der 1. Dezember 2008 ist ein Termin, den sich einige von uns im Kalender dick angestrichen haben: An diesem Tag werden in Italien die zu Lebenslänglich Verurteilten anfangen zu kämpfen.

Damit wollen wir nicht sagen, dass ihre Leben keine täglichen Kämpfe wären – innerhalb italienischer Knäste, ohne jegliche Hoffnung auf Zukunft; denn für sie gibt es keine Zukunft. Wenn in Italien über Lebenslänglich gesprochen wird bedeutet das im wahrsten Sinne des Wortes: Lebenslänglich.

Verschiedene zu diesem Verurteilte haben beschlossen an diesem Datum einen öffentlichen Kampf zu beginnen. Bis Mitte 2009 wird es deshalb einen gestaffelten Hungerstreik geben. Das bedeutet, dass jede Woche eine andere Region sich beteiligen und in den Hungerstreik treten wird. In der Woche nach dem 1. Dezember werden alle Beteiligten den Hungerstreik gemeinsam beginnen.

Wogegen kämpfen die Gefangenen?

“Nicht alle Leute wissen, was lebenslängliche Strafe wirklich bedeutet. Mensch denkt, dass sie nicht anderes als andere Strafen sei, die oder der Verurteilte also nach einer mehr oder minder langen Zeit wieder aus dem Knast entlassen wird. Vielleicht war das einmal der Fall. Heutzutage jedoch, in einem Land, in dem ein Notstand auf den nächsten folgt, wo die Ängste der Leute immer lebendig gehalten werden, in einem Land, in dem Du, falls Du in der Politik Karriere machen willst Dir nur ein einziger Weg bleibt und zwar derjenige, neue Krankheiten und neue Behandlungen zu erfinden, was nichts anderes ist, als “die Angst in der Bevölkerung zu schüren und die Behandlung in der Notstandsgesetzgebung zu suchen”. Der zu Lebenslänglich Verurteilte hat keine Chance!” (Auszug aus einem Brief von Alfredo Sole, Lebenslänglich Gefangener in Livorno).

Wenn mensch in Italien zu Lebenslänglich verurteilt wird (und mensch kann mehrmals zu Lebenslänglich verurteilt werden – eine der vielen Abscheulichkeiten des Strafgesetzbuches), heißt dies, dass sie oder er nicht mehr in der Lage sein wird, Zugang zu “strafmildernden Maßnahmen” zu bekommen: keinen offenen Vollzug, keine Bewährung, nichts. Das war einfach. Das heißt, dass der Staat dein komplettes Leben einsperrt und zwar für immer.
Innerhalb der Europäischen Union existiert die lebenslange Haftstrafe theoretisch nicht mehr, da alle Länder die Möglichkeit vorsehen, eine Revision des Urteils und die Anwendung der Bewährungsstrafe, sobald eine bestimmte Knastzeit der/des Gefangenen vorüber ist, zu realisieren. Das ist generell als “lebenslängliche Strafe unter periodischer Revision” beschrieben.
Die hierfür vorgesehene Zeit ist von Land zu Land unterschiedlich. Sie beträgt 26 Jahre in Italien, 20/25 in England, 20 in Griechenland, 15 in Frankreich, Deutschland, Österreich und der Schweiz, 12 in Dänemark und sieben in Irland (wobei diese Länder größtenteils gleichzeitig ähnliche Behinderungen gegen eine solche Revision vorsehen, vor allem bei sogenannten “unbeugsamen Gefangenen”).
Sicherlich, immer noch ein unglaublich unmenschlicher Akt der Gewalt; allerdings ein kleines Licht in der Ferne.
In Italien wurde beschlossen alle Lichter auszuknipsen.
Diejenigen die aufgrund Verbrechen, die wegen § 41bis verurteilt wurden (§41bis: Artikel des italienischen Strafgesetzbuchs, welcher dem Justizminister die Aufhebung der normalen Strafvollzugsordnung für die Verurteilten erlaubt, im Falle von organisierter Kriminalität, Terrorismus oder Knastrevolten), denjenigen, deren Verbrechen als inkompatibel mit den vom Gesetz vorgesehenen “Begünstigungen” gesehen werden oder die, welche eine Kooperation mit den Behörden verweigern.
Das ist der Moment in dem der Staat wirklich zeigt, was er mit seinem Gelaber von sogenannter Resozialisierung, Umerziehung, Wiedereingliederung in die Gesellschaft meint.
Wenn mensch über lebenslängliche Freiheitsstrafe redet kommen alle leeren Versprechungen und Widersprüche zum Vorschein: die Ziele des Staates sind nicht die oben genannten, sondern viel mehr eine mittelalterliche Bestrafung moderner Form: Anstatt physischer Folter (die sowieso in der alltäglichen Knastrealität geschieht – unabhängig Deiner Verurteilung), wurde etwas gefunden, das der Öffentlichkeit um einiges besser verkauft werden kann, indem ein Menschenleben für die Ewigkeit eingefangen und jeglicher Möglichkeit der Hoffnung beraubt wird.
Der Staat lässt seine Maske fallen.

Wofür kämpfen die Gefangenen?

In ihren Worten: ”Gegen Lebenslänglich: Denn die Hoffnung irgendwann wieder freizukommen ist notwendig, um die Strafe nicht zu einem psychologischen und sozialen Tod werden zu lassen; Um §3 der Menschenrechtskonventionen aus dem Jahr 1948 gerecht zu werden: Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“

Sicherlich, als Anarchist_innen sehen wir unsere Hauptaufgabe nicht darin für “Rechte” zu kämpfen. Allerdings ist unser Ziel auch Öffentlichkeit zu schaffen und Solidarität zu verbreiten, sobald soziale, selbstorganisierte Kämpfe ausbrechen und Leute sich gegen die gegenwärtigen Bedingungen erheben und nach Befreiung streben: In diesem Sinne sehen wir unsere Rolle in einem solchen Kampf, ihn nach außen zu tragen, wo wir auf viel weniger Grenzen treffen als diejenigen, die gerade eingesperrt sind und wir den Kampf der Gefangenen zu unserem machen und uns nicht auf formelle Forderungen beschränken.
Ergänzend hierzu: Auch innerhalb eines “vermittelnden” Kampfes, besitzt jedes Individuum die Möglichkeit, Affinitäten mit ähnlichen zu entwickeln und ihren/seinen Kampf wie auch die Weltanschauung weiter zu entwickeln.
Dass wir verstehen, wenn Gefangene solche Forderungen, welche nicht besonders revolutionär für viele klingen, aufstellen, haben wir schon in unserem Text über den Hungerstreik in deutschen Gefängnissen im letzten August erklärt (in der Entfesselt September/Oktober oder auf unserer Website zu finden).

Wir sind überzeugt, dass die Rolle der Anarchist_innen und anderer Rebell_innen in der Radikalisierung der sozialen Kämpfe liegt sobald sie stattfinden und zwar soweit wie wir es vermögen sie zur Eskalation zu bringen.

Eine erste Kampferfahrung?

Die italienischen Knäste haben ein hohes Ausmaß an Kämpfen über viele Jahre erlebt, besonders während der 70er Jahre wie auch Anfang der 80er.
Allerdings haben verschiedene Faktoren zum Zusammenbrechen der Solidarität innerhalb der Mauern beigetragen: Staattlich geplante Verteilung härterer Drogen, Individualisierung, Abschwören, Lossagen (Distanzierungen), Einschüchterung von rebellischen Gefangenen durch die Anwendung von “strafmildernden Maßnahmen” nach guter Führung, psychologische Kontrolle durch Expert_innen und vielem anderen.
Dies ist eigentlich eine Entwicklung, die in ähnlicher Weise in anderen Ländern von statten gegangen ist (wobei wir uns hier vor allem auf die “westlichen” Ländern beziehen).Dementsprechend haben die Kämpfe in den letzten Jahren abgenommen oder wurden meistens der Unterstützung bestimmter Gefangener gewidmet.

Vor einem Jahr haben die Gefangenen beschlossen, dass sie die Schnauze voll davon haben.Zu diesem Zeitpunkt haben die Lebenslänglichen sich gegen ihre Situation erhoben und den Knast an sich kritisiert indem sie einen unbegrenzten Hungerstreik durchführten bis wenigsten einige ihrer Forderungen umgesetzt sein würden. Diese Forderungen waren nichts besonderes, da sie “nur” eine Diskussion über die Abschaffung der lebenslänglichen Freiheitsstrafe im Parlament wollten. Allerdings hatten der italienische Staat und seine richterlichen Behörden überhaupt keinen Bock drauf und die Lebenslänglichen haben sich entschieden nach ungefähr zwei Wochen aufzugeben.
Viele Gefangene glaubten, dass Journalist_innen, verständnisvolle Politiker_innen und demokratische Richter_innen wenigstens ein gutes Wort für sie einlegen würden.
Dies klingt für uns aber eher wie ein sogenannter “unlösbarer Widerspruch”: Gefangene sind nur dann wertvoll für die Presse, wenn sie über die Zerschlagung der Kriminalität und ihre grausame Protagonist_innen schreiben können; Gefangene sind nur dann wertvoll für die Politiker_innen, wenn sie sie als Sündenböcke benutzen können, um ihre Politik der sozialen Kontrolle rechtfertigen zu können. Eine soziale Kontrolle die angeblich auf dem “gigantischen” Anstieg der Kriminalität basiert, obwohl diese abnimmt. Gefangene sind nur nützlich für demokratische Richter_innen, weil letztgenannte nur durch sie legitimiert werden.
Am Ende bestätigt sich, was Anarchist_innen und andere Leute, die gegen eine solche Gesellschaft stellen, von Anfang an gesagt haben: Solchen Aasgeiern soll mensch nicht den Glauben schenken, sondern lieber all jenen, welche an ihrer Seite mitkämpfen und keine anderen Interessen haben, als Beziehungen im Kampf zu entwickeln, um die gegenwärtige Gesellschaft umzuwerfen.

Ein paar Worte über die Lage in Deutschland…

Im August diesen Jahres haben sich die Gefangenen in Deutschland entschieden, einen Kampf gegen ihre Situation wie auch Knast im allgemeinen zu unternehmen.
Nach vielen Jahren des Schweigens ist ein selbstorganisierter Kampf von drinnen entstanden, der vom Gefangenenverein Iv.I. und anarchistischen Individuen vorangetrieben wurde: Eine Woche kollektiver Hungerstreik gegen ihre Situation und die Knastrealität.
Von draußen versuchten einige Leute ihre Solidarität auf unterschiedliche Art und Weise zu zeigen.

Eine Situation, die potenziell Bruchsituation innerhalb deutscher Gefängnisse geworden ist wo Apathie und konformes Verhalten den wenigen Ausnahmen gegenübersteht.
Um zu zeigen, dass dies kein einmaliges Ereignis war rufen Gefangene in Deutschland auch zur Unterstützung des italienischen Streiks mittels eines Hungerstreiks an den ersten drei Dezembertagen auf: Die internationale Solidarität darf nämlich kein leeres Versprechen bleiben.

Mit den Worten von Gabriel Pombo da Silva, spanischer Anarchist der seit vier Jahren in Aachen eingeknastet ist:
“…Die abgestuften deutschen Gefängnisse (nach Spanien exportiert zu Beginn der 80er Jahre) haben eine bestimmte Funktion: die Gefangenen zu klassifizieren, disziplinieren und von einander zu trennen durch räumliche Verstreuung, Isolierung und Individualisierung. In einem „Raum“. in dem die Individuen sich nicht kennen und sich nicht als gleichwertig anerkennen, kann ein Gefühl von Gemeinschaft schwerlich entstehen. Das ruft eher Gleichgültigkeit, Konkurrenz und Egoismus hervor.
Deshalb trennt man in deutschen Gefängnissen (die auf internationaler Ebene immer mehr kopiert werden) von Haftbeginn an die Kumpel_innen und Freund_innen (Dispersion) und im Gefängnis studieren und sieben sie das durch, was sie „psychologisches Profil“ des/der Gefangenen nennen, um darüber zu wachen, dass sie keinerlei Zusammengehörigkeitsgefühl entwickeln können, dass für die Institution problematisch werden könnte.
Aus all diesen Gründen (und noch mehr) wollen wir (eine gewisse Gruppe von Gefangenen) mit Hungerstreik einen gemeinsamen Kampfraum schaffen, der diese Atomisierung und Isolierung überwindet.
….
Gleichzeitig stellen die Kamerad_innen der Vereinigung Iv.I. ein spezielles Dossier zusammen über Vorschläge und den Zusammenhang des deutschen Gefängnissystems.
Wir glauben, dass es wichtig ist diese Entwürfe zu verbreiten, um der Diskussion und Auseinandersetzung auf internationaler Ebene Nahrung zu geben….”

Wenn Gefangene in ihrer Situation in der Lage sind Solidarität auszuüben dann bleiben uns hier draußen nicht viele Ausreden nicht zu handeln.

Was bedeutet das Wort Solidarität?

Letztes Jahr waren die einzigen, welche den Kampf der italienischen Gefangenen – neben deren Angehörigen – aktiv unterstützt haben, die Anarchist_innen.
Dieses Jahr verlassen sich die Lebenslänglichen aufgrund der geringen Wahrnehmung in der Öffentlichkeit nicht weiter auf leere Versprechungen sondern haben zu einem Kampf aufgerufen dem sich all jene anschließen sollen, die die lebenslängliche Freiheitsstrafe verabscheuen, Knäste als Monster betrachten und sich deshalb solidarisch fühlen einen Kampf mit den Mitteln zu unterstützen, welche ihnen am geeignetsten und nächsten erscheinen.Einige Leute werden auch einen Hungerstreik unternehmen, genauso wie letztes Jahr, wo viele Gefangene aus anderen Ländern sich solidarisch gezeigt haben: Dieses Jahr gab es schon einige Aufrufe zur Solidarität seitens spanischer Gefangener wie auch aus anderen Ländern.
Einige Angehörige haben mitgemacht und werden sich auch diesmal beteiligen genauso wie andere nicht-lebenslänglich Gefangene, mitfühlende Einzelpersonen und und und.
Aber muss der Hungerstreik nicht als das einzige Mittel der Unterstützung gelten und darf es auch gar nicht. Alles, was Aufmerksamkeit und Druck auf die Behörden erzeugen kann um unserer Unzufriedenheit mit dieser Situation und unserer aktiven Solidarität mit diesem Kampf Ausdruck zu verleihen, ist seitens der Gefangenen als berechtigt und willkommen gesehen.
In Berlin wird es eine Infoveranstaltung am 15. Dezember geben, sowie im späteren Verlauf des Protests eine Kundgebung vor der italienischen Botschaft.
Achtet auf Ankündigungen und – vor allem – schafft eure eigenen Momente der aktiven Solidarität!
Wie es Carmelo Musumeci, in Spoleto eingeknastet, auf den Punkt gebracht hat: “Derjenige, der nicht kämpft, ist ein nutzloser Mensch und betraut noch schlimmere Menschen mit seinem Schicksal”.
Wir können eine solche augenscheinliche Wahrheit nur unterstreichen.

Aktive Solidarität mit dem Kampf italienische rund weltweiter Gefangener!
Gegen Lebenslänglich, gegen ein Leben innerhalb einer Knastgesellschaft!

Eine Broschüre mit Aufrufen und Grußworten für den Hungerstreik gibt zum download als pdf und auch als Druckvorlage.

ABC Berlin

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