Joe Bausch: Knast – Rezension
Von der Webseite des Strafvollzugarchivs übernehmen wir eine Buchbesprechung von Johannes Feest.
Es gibt nur wenige schreibende Vollzugspraktiker. Und diese wenigen beschreiben kaum jemals ihre Praxis. Das vorliegende Buch ist die Ausnahme von dieser Regel.
Joe Bausch, Knastarzt und Tatort-Star, betont, dass sein Buch „keine Autobiographie“ sei (S.15). Seine Erfahrungen aus 25 Jahren in der JVA Werl werden jedoch immer wieder von autobiographischen Einschüben unterbrochen. Und das ist gut so, denn dadurch gewinnen die Schilderungen an Tiefe und an persönlicher Glaubwürdigkeit.
Bei der Darstellung seiner Erlebnisse im Knast bedient sich der Autor unterschiedlicher Stilmittel: er beschreibt Aspekte seines Berufsalltags, er erzählt Geschichten über Gefangene, er theoretisiert und er macht Verbesserungsvorschläge.
Besonders eindrucksvoll sind die Berichte aus der Praxis des Knastarztes. Bausch betont seine Rolle als die eines „Hausarztes“ (von 910 Gefangenen und Sicherungsverwahrten). Zu dieser Rolle gehört es nicht nur, den Patienten gut zuzuhören, sondern auch „seinen Rücken auch schon mal für seine Patienten breitzumachen“ (S. 12), d.h. sich mit dem übrigen Personal und dem Anstaltsleiter auseinanderzusetzen. Aber Bausch erwähnt auch die andere Seite seiner Rolle, die der „Absicherungsmedizin“ (S. 172): hier steht der Anstaltsarzt eher im Dienste des Anstaltsleiters, wenn es gilt die Arbeitsfähigkeit, Arrestfähigkeit, Transportfähigkeit etc. der Gefangenen zu attestieren. Der Umgang mit „Simulanten“ erinnert ihn an ein Simultanschachturnier: „einer gegen achtzig. Fünfig Partien gewinne ich, fünfzehn verliere ich und fünfzehn gehen unentschieden aus. Wenn ich am Ende des Tages diesen Schnitt hinbekomme, bin ich gut“ (S. 175 f). Die aus dieser Doppelrolle entstehenden Konflikte werden jedoch nicht weiter verfolgt. Ebenso wenig die für die Knastmedizin fundamentale Tatsache, dass die Patienten keine freie Arztwahl haben.
Bausch vermittelt, wie spannend er seinen Beruf bis heute empfindet. Das kommt in den immer wieder eingestreuten Stories zum Ausdruck, die zeigen, welche Einblicke in die Welt draußen die Sprechstunde des Anstaltsarztes eröffnet. Mit ihm lernen wir den ehemaligen Kindersoldaten ebenso kennen wie die Kindsmörderin, den Mafioso, den Ausbrecherkönig und den Heiratsschwindler. Auch wenn der Autor einleitend betont, dass er seine Erfahrungen so verfremdet habe, „dass sie niemandem zuzuordnen sind“ (S.7), so sind diese Einzelschicksale doch sehr plastisch und einfühlsam beschrieben.
Problematischer ist es, wenn Bausch die Arztrolle verlässt und allgemeinere Aussagen über Verbrechen und Strafen macht. Am deutlichsten wird das in einem Kapitel, welches mit „Kleine Typologie der Verbrecher“ überschrieben ist. Hier verfällt der Autor in die Haltung einer ganz altmodischen, stereotypisierenden Kriminologie: als Praktiker erkenne man „relativ schnell, was ein Häftling auf dem Kerbholz“ habe (S.140). Jedem Verbrechertypus könne man ganz bestimmte Eigenschaften zuschreiben. Die Bankräuber seien „gewalt- und risikobereit und auch im Knast immer gut für eine Geiselnahme oder einen Ausbruch“ (S.141). „Der Betrüger“ wirke wie ein Junkie, der den nächsten Schuss braucht (S.142). Einbrecher und Diebe seien „eher vorsichtige, ängstliche, vermeidende Typen“ (S. 143). „Der Vergewaltiger fällt meist dadurch auf, dass er nur mit einer geringen oder gar nicht vorhandenen Einsichtsfähigkeit in seine Schuld aufwarten kann“ (S.144“). Nur bei den Mördern findet er das Spektrum „groß und uneinheitlich“ (S. 146). An anderer Stelle beschreibt er, wie er, zur Vorbereitung für bestimmte Bühnenrollen, viel über „Tätertypen“ gelesen habe. Das war aber wohl eher die ältere Kriminologie und nicht die durch den Labeling Approach für Zuschreibungsprozesse sensibilisierte.
Bausch hat kriminalpolitisch das Herz am rechten Fleck. Er engagiert sich für die Substitution von Schwerstabhängigen (S. 168) und er fragt sich mit Recht, warum Türken, Polen, Letten und selbst Holländer „ihre Strafen nicht zu Hause verbüßen“ dürfen (S. 210), übersieht allerdings, dass es diese Möglichkeit seit Jahren gibt (vgl. das Überstellungsübereinkommen). Er findet, dass die SV und die Maßregelvollzugskliniken „besser miteinander verzahnt werden“ sollten (S. 260) und er hält eine „angemessene Sterbebegleitung im Knast“ für „wichtig“ (S. 265). Abolitionist ist er allerdings nicht: „Ohne Gefängnisse kann eine Gesellschaft nicht auskommen“ (S. 284).
Insgesamt hat Joe Bausch ein sehr lesbares und informatives Buch geschrieben. Die Lesbarkeit beruht nicht unerheblich darauf, dass er immer wieder zu eingängigen Formeln greift. Hier ist allerdings Vorsicht und Differenzierung geboten, um die echten Weisheiten von nur scheinbaren zu trennen. Probleme habe ich, zum Beispiel, mit den folgenden Sätzen:
* „Im Knast ist alles echt“ (S.13). Wirklich? Könnte man nicht auch das Gegenteil behaupten?
* „Betrüger sind Betrüger und bleiben es auch im Knast“ (S. 157). Bei so starken Zuschreibungen bleibt den Betreffenden nicht viel anderes übrig.
* „Die Drogen kommen in der Regel über Besucher in den Knast“ (S.166). Das korrigiert er allerdings eine Seite später, indem er auf Beamte hinweist, welche sich etwas „dazuverdienen“ wollen.
* „Der Knast ist ein Spiegelbild der Gesellschaft“ (S. 209). Das übersieht den un-normalen Charakter der totalen Institution, weshalb die Angleichung an normale Lebensverhältnisse (§ 3 Abs.1 StVollzG) eine ständige Aufgabe darstellt.
Joe Bausch: Knast. Berlin: Ullstein 2012. 284 Seiten, € 19,99