John Bowden: Rückkehr des Widerstands
Was blieb von den Knastrevolten innerhalb des britischen Knastsystems? Wo sind jetzt die offenen Zeichen von kollektivem Zorn und Solidarität, die damals die Aufstände und Knastkämpfe in den 60er, 70er und 80er Jahren genährt und die ikonischen Bilder von Hull 1976 und Strangeways 1990 geschafft haben? Was ist mit dem Geist der Revolte passiert, der periodisch das britische Knastsystem für Langstrafler durcheinander gewirbelt hat und eine Philosophie der Selbstermächtigung und Solidarität erzeugt hat. Eine Philosophie, die den Kampf der Gefangenen an die Spitze des universellen Kampfes für Menschenrechte und auch der sozialen Revolution gesetzt hat?
Ist das britische Knastsystem ansprechbar und zugänglich für die Rechte der Gefangenen geworden, dass Revolte und Protest unnötig und überflüssig geworden sind? Ich denke nicht. Tatsache ist, dass britische Knäste jetzt sogar mehr überfüllt sind als je zuvor und Gefangene unter Bedingungen und einem Regime geradezu eingelagert werden, welches wahrscheinlich noch schlimmer als vor 20 Jahren ist. Die Hoffnungslosigkeit und das Elend, welche von diesen Bedingungen erzeugt werden, reflektieren sich in den unaufhaltsam steigenden Zahl von Selbstverletzungen und Suiziden, dazu noch die immer länger werdenden Strafen. Und wie nie zuvor ist die Behandlung der Gefangenen mehr und mehr beeinflusst durch ein politisches Klima und eine manipulierte öffentliche Meinung, die eine stärkere Repression und Rache einfordert. Dennoch scheint es nirgendwo einen Geist der Solidarität und des organisierten Widerstands unter den Gefangenen zu geben, welcher vor 20 Jahren so deutlich war, nirgendwo ist die Bereitschaft sich zur Wehr zu setzen und wortwörtlich die Dächer im Protest zu erheben. Anstelle von Herausforderung scheint es nur passive Duldung und Akzeptanz der Bedingungen und Formen der Behandlung zu geben, die früher Ungehorsam und Revolten ausgelöst hätten.
Schweigen im Angesicht einer intolerablen Unterdrückung ist ein beunruhigendes Phänomen; unter Bedingungen von extremer Grausamkeit ist der Wille zu widerstehen grundsätzlich menschlich und charakteristisch für den gesunden und unberührten menschlichen Geist, einzigartig für unsere Spezies.
Wieso wurde der Kampfgeist, der damals anscheinend das Verhalten der Langzeitgefangenen vor allem gegenüber dem Knastsystem charakterisierte, von Konformität und Unterwerfung ersetzt?
Durch die Organisierung der Möglichkeiten der Kontrolle, der Gefängnisarchitektur und des Design hat sich das Knastsystem seit dem letzten großen Aufstand von Stangeways im Jahr 1990 bedeutungsvoll weiterentwickelt. Vor der Revolte in Strangeways wurde der physikalische Raum in den meisten großen Knästen mehr oder weniger von den Gefangenen selbst kontrolliert und eine genaue Prüfung sowie strenge Überwachung seitens der Schließer war schwer. Außer die Abteilungen für Bestrafung und Segretation wurde der größte Teil der Gefangenen in größeren Abteilungen untergebracht, wo sie sich frei bewegen durften und damit einen bestimmten Grad von Autonomie erschaffen konnten; ein gesamter Überblick und Überwachung war unmöglich und die Kontrolle oft dünn. In dem Fall, dass sich Proteste entfachen konnten, war es möglich, dass diese sich grenzenlos ausbreiten konnten. Dabei wurde eine Eigendynamik geschaffen, welche den größten Teil des Knastes erreichte. Eine große Gruppensolidarität war eine normale Eigenschaft des Lebens der Langstrafler und reflektierte sich in der Balance der institutionelle Macht, welche diktierte, dass Kooperation sowie guter Wille der Gefangenen eine vitale und nötige Voraussetzung der relativen Kontrolle ist.
Ein Wechsel in der physikalischen Architektur der Knäste wurde zur entscheidenden Komponente in der Strategie des Staates, wodurch versucht wurde breite Proteste zu unterbinden und die Kontrolle des physikalischen Raumes zurückzuerobern. Die neue Generation der Gefängnisarchitektur und die tiefgreifende Neugestaltung der Hafträume begann Anfang der 90er Jahre, durch zweckoptimierte Kleingruppenkontrolle innerhalb der Abteilungen wurde die Kontrolle über den Raum der Gefangenen zurückerobert.
In Schottland, wo blutige Revolten das Knastsystem zwischen den 70er und 80er Jahren erschüttert haben, veränderte ein massives Umbauprogramm die alten Großräume und Galerien in neue „Superabteilungen”, in welchen der Raum geteilt und nochmals geteilt wurde in kleinere in sich selbst geschlossene Einheiten mit bis zu 50 Gefangenen, alle gut überwacht und observiert in kleinen, kontrollierbaren Gruppen. Eine solche Trennung und Konzentrierung von Gefangenen innerhalb kleiner Gruppen unter fast mikroskopischer Überwachung verhindert effektiv und untergräbt das Potenzial von größeren Aufständen durch eine schnelle Identifikation und die Ausmerzung von „Rädelsführern” und der Kontrolle und Isolierung des Konfliktes, wenn er noch im Entstehungsprozess ist. Durch die Transformation des physikalischen Raums und des Designs der Knästen hat die institutionelle Macht die Situation zugunsten der Schließer umgestaltet und das Gespenst der massenhaften Aufstände beseitigt.
An und für sich ist es nicht möglich durch den Aufbau von Kontrollmethoden innerhalb der physikalischen Struktur des Knastes die Möglichkeit und Existenz der Rebellion komplett abzuschaffen, und wenn wir die Gründe für einen solchen radikalen Rückgang der Knastkämpfe verstehen wollen bleibt der gesamte soziale sowie kulturelle Umstand genauso relevant.
Der Begriff „Millenium Prisoner” wird oft als abwertende Beschreibung von den Gefangenen selbst verwendet, um die gegenwärtige Generation von Gefangenen zu beschreiben, welche sich anscheinend auf die institutionellen Interessen des Knastsystems eingestimmt hat und gar keine Erinnerung mehr an die Zeit besitzt, als die Gefangenenkultur von einem Geist und einer Haltung des Widerstands inspiriert war. Das ist aber nicht nur ein Generationsphänomen, sondern außerdem ein soziales und politisches und es spiegelt einen grundsätzlichen Wechsel innerhalb der Natur der breiten Gemeinschaft der Arbeiterklasse, wovon die meisten Gefangenen beeinflusst werden, wieder. Im Großen und Ganzen waren die Gefangenen, welche während der turbulentesten Dekaden der Knastproteste revoltiert haben, in den 60er, 70er und 80er Jahren, Produkte von eng miteinander verbundenen Gemeinschaften der Arbeiterklasse, geprägt von starken Traditionen der gewerkschaftlichen Organisierung und Militanz. Solidarität und gegenseitige Unterstützung waren das Lebenselixier dieser Gemeinschaften und inspirierten auch die Instinkte derjenigen, die sich auf der falschen Seite des Gesetzes befanden. Die Generation von Gefangenen, die in Pankhurst im Jahr 1969, in Hull im Jahr 1976 und in Strangeways im Jahr 1990 randaliert und gekämpft haben, wurde genährt von Gemeinschaften, die noch das Klassenbewusstsein und eine “sie und wir” Haltung inne hatten, sowie ein Verständnis, dass Zusammenhalt und Solidarität auszuüben der effektivste Weg zur Sicherung der kollektiven Vorteile und Rechten war.
Während den 80er und 90er Jahren riss der thatcheristische Angriff das Herz und die Seele aus der Gemeinschaft der Arbeiterklasse heraus und veränderte sie dadurch in eine Wüste von Depression, Hoffnungslosigkeit und Niederlage, und züchtete damit eine Generation von jungen Menschen, vollgesogen mit Zynismus, Entfremdung und ohne Erinnerung an eine Zeit in der Prinzipien wie Solidarität, Gemeinschaft und gegenseitige Hilfe die Identität der Arbeiterklasse ausgemacht haben, heran. Selbst die proletarischen Formen der Eigentumsverbrechen, die irgendwie eine elementäre Form des Klassenkampfes dargestellt haben, machten den Weg frei für bösartigen unternehmerisch denkende Drogenverbrechen, die auf grobe kapitalistische Prinzipien und eine Verachtung für arme Gemeinschaften, sowie auf ihre AnwohnerInnen, zurückgreift. Der Drogenhandel ist eine rein kapitalistisches Form des Verbrechens, mit massiven Gewinnen für wenige, sowie riesiger Misere für viele, dazu kommt das Untergraben der Werte und Regeln der alte kriminellen Brüderschaft – keinen Verrat ausüben, sich der Autorität zur Wehr setzen und niemals „eine/n der unseren” schädigen. Die modernen DrogendealerInnen sind in ihrer Mentalität und ihrem Verhalten die absolute Antithese der Schurken der Arbeiterklassen und ihr Weg oder ihre Strategie die Knastzeit zu überstehen ist auch total anders. Absprachen und Kooperation mit der Knastleitung haben den Platz des Widerstands und der Trotzhaltung eingenommen, sowie des Kampfgeistes, welcher ab und zu eine angenehme Vision des positiven Wechsels und der Reform verursacht hatte. Aus den Flammen der Revolten wie in Strangeways entstanden Manifeste der radikalen Reform, die das Verständnis und die Notwendigkeit ausgesprochen haben, dass Gefangene ein Anrecht auf Menschenrechte wie alle anderen Menschen verdienen. Heutzutage sieht es so aus, als ob solche Arten von großmütigen Anstrengungen den Platz für eine Stimmung von Niederlage und Konformität freigemacht hätten.
Als Mikrokosmen der Gesellschaft spiegeln Knäste die sozialen Bedingungen und Lebensrealitäten der Armen wieder, oft auf eine viel extremere Art und Weise, sowie das Niveau der politischen Aktivitäten und des Kampfes dieser Gruppe. Wenn die Armen unterworfen und nicht organisiert sind, sowie unter Kontrolle gebracht wurden, denn ist dies im Knast ebenso. Die Reproduktion einer Junkiekultur unter den Gefangenen spiegelt eindrücklich wieder, was für ein Trend sich unter den Ärmsten und der Arbeiterklassen und den Bezirken draußen durchgesetzt hat.
Welche sind nun die Chancen für eine Herausforderung des Widerstand und der Militanz unter den großen Gruppen der Gefangenen, sowie der Neudefinierung der gegenwärtigen Beziehung mit dem Knast? Der unaufhaltsame Weg in Richtung des sich immer mehr ausweitenden Wegsperrens und der Bau von virtuellen Strafkolonien in der Form von „Titanknästen” wird wahrscheinlich zur Einmauerung von großen Teilen der Armen und der unterprivilegierten Bevölkerung innerhalb dieser Fabriken der Repression führen. Früher oder später wird solch eine Repression, egal wie entwickelt und gut organisiert sie sein wird, auf Widerstand treffen. Es gab immer eine zyklische Abfolge von Protest, Revolte und Widerstand, im Knast und draußen, und Perioden der Ruhe und absoluter sozialer Kontrolle sind immer anfällig zu zerbrechen und außerdem stark abhängig vom Verhältnis der Menschen zu ihrer Knechtschaft, im Gegensatz zur einer Kontrolle, die nur auf Gewalt und Zwang basiert. Wie der südafrikanische „Black Consciousness“-Aktivist Steve Biko einmal gesagt hat: „die größte Waffe in den Händen der Unterdrücker bleiben das Gedächtnis der Unterdrückten selbst”. Die, welche das Knastsystem kontrollieren setzen einen guten Knast mit einem unter Kontrolle stehenden Knast gleich. Der Hauptfunktion des Knastes bleibt das effiziente Einsperren und die Aufrechterhaltung einer absoluten Kontrolle über die Gefangenen. Themen wie Menschenrechte oder der Respekt der angeborenen menschlichen Würde der Gefangenen kommen nicht vor in der Mentalität derjenigen, die Bestrafen. Auf dieser Ebene wurden sie nie Boden nachgegeben, außer wenn die Gefangenen es selber auf die Agenda gesetzt haben. Es gibt eine direkte Beziehung zwischen der limitierten Liberalisierung des Knastsregimes innerhalb der britischen Knäste für Langstrafler während der Zeit der 70er und 80er Jahre und den Protesten und Demonstrationen dieser Zeit, welche das System dazu gebracht haben an Boden nachzugeben. Niemals wurde eine bedeutende Reform des Knastsystem durchgesetzt, außer von den Gefangenen selbst, gewöhnlicherweise als direktes Ergebnis einer kollektiven direkten Aktion. Die progressive Aushöhlung solcher Reformen während der letzten 20 Jahre ist das direkte Ergebnis und die Konsequenz des Wechsels innerhalb der Gefangenenkultur und die Abnahme des kollektiven Kampfes unter den Gefangenen. Außer wenn der Geist zum Kampf wieder entdeckt wird, wird nichts die alptraumhafte Vision der kommenden Knastwelt verhindern: das massenhafte Einsperren der sozialen Probleme und armer Menschen innerhalb riesiger privat-kontrollierter Knäste, in denen Menschenrechte komplett bei Seite gelassen werden für die Interessen des Profits und der totalen und absoluten Kontrolle über die Gefangenen. Es ist vielleicht in unserem allgemeinen Interesse, dass wir letztendlich das Wiederkommen einer entschlossenen und unkontrollierbaren Knastbevölkerung sehen.
John Bowden
6729
HM Prison Glenochil
King O’Muir Road
Tullibody
Clackmannanshire
FK10 3AD
UK