kleine moleküle, großer effekt?
Im Autonomen Blättchen Nr. 14 erschien ein Artikel
über dna-entnahmen und die notwendigkeit solidarischen widerstandes
… warum dieser text?
Aktuell können wir im Internet verschiedene Fälle finden, in denen Menschen in Zusammenhang mit Ermittlungen im „linksradikalen Spektrum“ aufgefordert werden, ihre DNA abzugeben.
Am 22. Mai diesen Jahres wurden Wohnungen und Räumlichkeiten in Berlin, Magdeburg und Stuttgart durchsucht – ermittelt wird in einem § 129-Verfahren gegen angebliche Mitglieder der Revolutionären Aktionszellen (RAZ), laut Bundesanwaltschaft eine Nachfolgeorganisation der militanten gruppe. Neun Personen wurden aufgefordert, ihre DNA abzugeben.
Bezüglich der Brandstiftung gegen 42 Bundeswehrfahrzeuge in Dresden 2009 lud das Landeskriminalamt Sachsen im November 2012 eine Person zur Speichelprobe zwecks Feststellung der DNA vor. Wenn der Betroffene nicht bis Monatsende erscheine, werde man eine richterliche Anordnung zur DNA-Entnahme einholen.
Im September 2012 kam es während dem anti-militaristischen Camp gegen das GÜZ (Gefechts-Übungs-Zentrum) in der Altmark zur Festnahme von fünf Personen, denen eine Aktion mit Farbe auf eine Ingenieurfirma, die an der Planung der Kriegs-Übungsstadt „Schnöggersburg“ auf dem GÜZ beteiligt ist, vorgeworfen wird. Der Fahrzeughalter (der nicht unter den Festgenommenen war) wird der Beihilfe beschuldigt. Gegen ihn läuft ein weiteres Verfahren nach §109e (Sabotage an Wehrmitteln), in dessen Zuge ihm eine versuchte Straftat auf dem Gelände des GÜZ vorgeworfen
wird.
Die fünf wegen angeblicher Sachbeschädigung Festgenommenen werden nun auch im Verfahren nach §109e beschuldigt. Hierüber soll die von ihnen sowie vom Fahrzeughalter durch die Staatsanwaltschaft geforderte Abnahme von DNA gerechtfertigt werden.
(siehe: http://www.abc-berlin.net/zu-staatlich-gefor-
derten-dna-abgaben-bei-ermittlungsverfahren)
Am 27. Juli dieses Jahres fand ein Brandanschlag auf die Bundeswehrkaserne in Havelberg in der Altmark statt, bei dem 16 Bundeswehrfahrzeuge teilweise komplett zerstört wurden. Daraufhin wurde auf dem Gelände des im gleichen Zeitraum stattfindenden zweiten antimilitaristischen Camps gegen das GÜZ ein Auto beschlagnahmt, welches die Ermittlungsbehörden in angeblichem Zusammenhang mit dem Anschlag sehen. Der Staatsschutz erklärte, das Auto bleibe vorerst beschlagnahmt, um darin vorgefundene Spuren mit denen am „Tatort“ abzugleichen. Ermittelt wird auch in Hinblick auf Zusammenhänge mit anderen Anschlägen auf Bundeswehrfahrzeuge.
(siehe https://linksunten.indymedia.org/en/
node/92202)
Wir wissen, dass diese Fälle nur Beispiele sind: Es ergehen weit mehr Aufforderungen zu DNA-Entnahmen als die, von denen wir erfahren und das Einsammeln von DNA-Spuren an „Tatorten“ ist zur gängigen Ermittlungsmethode geworden. In Deutschland wurde die erste DNA-Datenbank 1998 eingerichtet, aber auch in anderen Ländern stellen DNA-Datenbanken ein immer wichtigeres Kontroll- und Repressionsinstrument in den Händen der Nationalstaaten dar.
Wir sehen dies als Anlass dazu, uns damit zu beschäftigen, welche Relevanz DNA-Entnahmen und -Speicherungen für uns und unsere politischen Praxen haben. Wir finden es unerlässlich, uns mit Fragen nach Widerstandsmöglichkeiten und Solidarität auseinanderzusetzen.
Uns ist dabei bewusst, dass die DNA-Entnahmen in politischen Ermittlungsverfahren Teil der generellen DNA-Sammel- und Speicherwut sind. Wir wissen, dass diese nicht nur uns als Anarchist_innen, Autonome, Aktivist_innen, Linksradikale… trifft, sondern vor allem auch (konstruierte) Personengruppen, die dem so genannten Bereich der Kleinkriminalität zugeordnet werden. Es geht um die Kontrolle von und die Repression gegen Personen und vermeintliche Gruppen, deren Handeln unerwünscht ist, weil es eine potenzielle Bedrohung für die bestehenden Verhältnisse darstellt. Egal ob die Personen und Gruppen diese bewusst oder unbewusst gefährden.
Unsere eigene (potenzielle) Betroffenheit von DNA-Entnahmen in den gesellschaftlichen Kontext zu stellen, bestärkt uns darin, uns mit der Thematik zu befassen und nach einem offensiven Umgang zu suchen.
dna? – von säuren…
Speichel, Schuppen, Blut, aber auch kleinste Mengen von Hautabrieb – unvermeidliche Spuren, die unsere Körper überall hinterlassen, wo wir uns aufhalten oder bewegen. In jeder Zelle, aus denen sich diese Spuren zusammensetzen, befinden sich mikroskopisch kleine Moleküle, die genetische Informationen enthalten. Diese Moleküle werden Desoxyrobinukleinsäure; kurz DNA (manchmal auch DNS; S für Säure, A fürs englische Wort „acid“) genannt. Die Wahrscheinlichkeit, dass zwei nicht verwandte Menschen die gleichen DNA-Daten besitzen, geht gegen null, weshalb DNA-Spuren – wenn sie beim Einsammeln nicht verunreinigt oder vermischt werden – zur angeblich eindeutigen Identifizierung von Personen genutzt werden können. Ausnahme sind dabei eineiige Zwillinge, die identische Erbinformationen haben. Relativ leicht kann durch DNA das genetische Geschlecht zugeordnet werden (in der Logik eindeutiger Zweigeschlechlichkeit gedacht). Die Analyse anderer „Charakteristika“ einer Person wie zum Beispiel bestimmte körperliche Eigenschaften oder Krankheiten, ist in Deutschland in polizeilichen Ermittlungen bislang nicht erlaubt. In anderen Ländern werden aber bereits anhand von DNA-Analysen Wahrscheinlichkeitsaussagen über die „Gruppenzugehörigkeit“ einer „verdächtigen“ Person getroffen.
Dabei ist auch zehn Jahre nach der Entschlüsselung der menschlichen DNA ungewiss, welche Informationen sie überhaupt beinhaltet und wie diese ausgelesen werden können. Die Bedeutung und Funktion der DNA ist wissenschaftlich noch lange nicht geklärt, vielmehr wird immer unklarer was „die Gene“ überhaupt sein sollen. Dennoch wird weiterhin so getan, als sei Wissenschaft der Maßstab einer vermeintlich feststellbaren Wahrheit und außerdem objektiv. Dabei haben die modernen Naturwissenschaften schon immer Herrschaft und Unterdrückung legitimiert, zum Beispiel durch die angeblich biologisch feststellbare Einteilung von Menschen.
Heute sind es nicht mehr „Rassen“, sondern „Gruppen“, „Populationen“, „Minderheiten“, „Ethnien“ und die „Abstammung“, nach denen Menschen sortiert werden. Dahinter steht nicht mehr eine Ideologie des Blutes und der Reinheit, sondern die Ideologie der Gene.
… und spuren
Ermittlungsbehörden machen sich bei ihrer Arbeit nicht die Mühe, die DNA komplett auszulesen. Stattdessen wird nur eine bestimmte Zahl an festgelegten Markern ausgelesen, die ein genetisches Profil ergeben.
Im Unterschied zur Identifizierung über Fingerabdrücke aber ist eine Identifizierung über DNA-Spuren viel umfassender, weil diese zwar vermindert, kaum aber komplett vermieden werden können. Außerdem können die Spuren, einmal an einem Tatort eingesammelt, noch lange Zeit später ausgewertet werden. Immer wieder werden Fälle anhand von vor Jahrzehnten eingesammelter DNA-Spuren neu aufgerollt, beispielsweise der Fall des 1977 vom RAF-Kommando Ulrike Meinhof erschossenen Generalbundesanwaltes Buback. Den „Tathergang“ konnten die DNA-Analysen jedoch auch in diesem Fall nicht klären.
Im Zuge von Ermittlungen wird nämlich kaum berücksichtigt, wie DNA-Spuren an einen Ort gelangt sind. Das Vorfinden von bestimmten DNA-Spuren an einem Ort lässt immerhin auch nur den Rückschluss darauf zu, dass die DNA einer bestimmten Person auf die eine oder andere Weise zu dem einen oder anderen Zeitpunkt dorthin gelangt ist. Zudem besteht die „Schwierigkeit“ der Vermischung verschiedener DNA miteinander und die der Verunreinigung eingesammelter Proben. Der Aufsehen erregende Fall des „Phantoms von Heilbronn“ hat die Anfälligkeit für Fehler und falsche Rückschlüsse bei DNA-Analysen besonders deutlich gezeigt. Jahrelang wurde nach einer Person gefahndet, deren DNA in Zusammenhang mit 40 verschiedenen „Straftaten“ (darunter auch der in Zusammenhang mit dem NSU stehende Mord an einer Bullin in Heilbronn 2007) an unterschiedlichen Orten gefunden worden war. Die gesuchte Person hatte in einer Fabrik Wattestäbchen verpackt, die zur Abnahme von DNA verwendet worden waren. Ein Zehntel aller „Spur-Spur-Treffer“ (das heißt der_die selbe „Spurenverursacher_in“ sei an verschiedenen „Tatorten“ nachweisbar) gehen auf Verunreinigungen durch Kriminaltechniker_innen zurück. DNA-Funde zum eindeutigen Beweis zu erklären, müsste somit alles in allem auch aus Ermittlungssicht in Frage gestellt werden.
Im Zuge von Ermittlungen sammeln die Bullen an „Tatorten“ alles ein, dessen sie habhaft werden können und das irgendwie der „Spurenermittlung“ dienen kann, um die DNA-Datenbank zu füttern. Zur Auswertung der an einem Ort eingesammelten DNA-Spuren brauchen die Bullen eine Vergleichsprobe. Diese versuchen sie entweder direkt nach einer Festnahme oder durch Vorladung zu einer DNA-Abgabe zu beschaffen. Wir wissen aber auch, dass die DNA der betroffenen Person(en) manchmal am Arbeitsplatz oder bei Hausdurchsuchungen von persönlichen Gegenständen (Zahnbürsten, Klamotten usw.) eingesammelt werden. Das „Bündnis für die Einstellung der §129(a)-Verfahren“ berichtet in seiner Publikation „Zu den Verfahren und dem Prozess wegen Mitgliedschaft in der militanten gruppe (mg)“: „Übrigens wurden mindestens einmal von observierten mg-Beschuldigten nach Kneipenbesuchen deren Gläser durch die observierenden BKA-Beamten beschlagnahmt, um DNA von den Beschuldigten zu bekommen.“
siehe: Bündnis für die Einstellung der §129(a)-Verfahren: Das zarte Pflänzchen der Solidarität gegossen, edition assemblage 2011, S. 66)
Es ist auch schon vorgekommen, dass Verwandte aufgefordert wurden, Proben abzugeben, weil deren DNA ähnlich sei.
wohin geht der trend?
Das BKA (Bundeskriminalamt) rühmt sich auf seiner Homepage damit, mit Ablauf des zweiten Quartals 2013 bereits 1.023.067 Datensätze in der deutschen DNA-Analyse-Datei gespeichert zu haben. Jeden Monat würde die Datei um ca. 8600 neue Datensätze ergänzt. Seit Errichtung der Datei 1998 könnten 156 327 Treffer verzeichnet werden. In 32 482 Fällen handele es sich dabei um „Spur-Spur-Treffer“, in 123 845 Fällen habe eine „Tatortspur“ einer Person zugeordnet werden können, womit „vermutlich eine Tat aufgeklärt“ worden sei.
In 56 Ländern wurden bereits DNA-Datenbanken angelegt; in einigen von ihnen wird die flächendeckende Speicherung der DNAs aller Neugeborenen angestrebt oder bereits umgesetzt. In Schweden beispielsweise werden bereits seit 1975 Blutproben (und somit auch die DNAs) aller Neugeborenen entnommen; derzeit wird in der Politik verhandelt, ob sowohl die Sozialämter, als auch die Strafbehörden uneingeschränkten Zugriff auf diese Daten bekommen sollen. Auch die internationale Vernetzung der Datenbanken zum Austausch der gesammelten Daten wird immer weiter ausgebaut; eine EU-weite Vernetzung besteht bereits. Treffer im Abgleich von „Tatortspuren“ mit den gespeicherten Daten zu erzielen, wird umso wahrscheinlicher, je mehr Daten gespeichert werden. Die logische Konsequenz daraus ist, die Speicherung der DNA-Profile der gesamten Bevölkerung anzustreben.
Es sind privatwirtschaftliche Labore, die ihre Expertise im Bereich der DNA-Analyse an Staaten auf der ganzen Welt verkaufen und ihnen die Errichtung riesiger DNA-Datenbanken empfehlen. Hier verbinden sich Kontrollgesellschaft und kapitalistisches Gewinnstreben. In Deutschland sind auch die Universitäten in das Geschäft mit den Daten involviert. Das Institut für Rechtsmedizin der Uni Münster beispielsweise finanziert sich weitgehend durch DNA-Analyse-Aufträge des BKAs.
dna-nachweise als rezept gegen sexualisierte gewalt…?
Die Einführung der ersten DNA-Datenbank in Deutschland wurde in der Öffentlichkeit vor allem damit begründet, es handle sich hierbei um eine wirksame Maßnahme gegen „Sexualstraftaten“. Vielmehr handelt es sich bei dieser Argumentation um eine weitere Instrumentalisierung Betroffener sexualisierter Gewalt, die nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal für die Legitimation repressiver Vorstöße herhalten sollten. Im Fokus steht der unbekannte Wiederholungstäter, der „Triebtäter“, der nicht der Realität sexualisierter Gewalt entspricht – in den meisten Fällen sind die Täter_innen den Betroffenen ohnehin bekannt. Bei weniger als 1% der „Ermittlungserfolge“ über DNA-Treffer handelt es sich um „Sexualstraftaten“. Hinzu kommt, dass die Definition dessen, was als „Sexualstraftat“ gilt, äußerst begrenzt ist und die Wahrnehmung der Betroffenen sowie die gesellschaftlichen Ursachen sexualisierter Gewalt außer Acht lässt.
Wir wissen, dass sexualisierte Gewalt nur bekämpft werden kann, indem wir uns gegen diese Gesellschaft und ihre Herrschafts- und Unterdrückungsstrukturen stellen. Innerhalb dieser wird es nie – ganz gleich welche wissenschaftlichen Methoden herangezogen werden – darum gehen, die bestehenden sexistischen Gewaltverhältnisse zu überwinden.
mehr dna, weniger angst?
Wie zur Umsetzung aller repressiven Maßnahmen, so wird auch zur Ausweitung von DNA-Entnahme und Speicherung auf die Angst der Menschen gesetzt. Die Angst vor „Verbrechern“, vor aufständischen Jugendlichen, die Angst vor Flüchtlingen und die vor „Terrorist_innen“… Ängste, die eine Gesellschaft wie diese überhaupt erst hervorbringt.
Die meisten in der deutschen DNA-Datenbank gespeicherten DNA stehen in Zusammenhang mit Diebstahl-“Delikten“. Es geht darum, die kapitalistische Eigentumsordnung zu sichern. Diebstahl wird von relativ vielen Menschen in unterschiedlichem Maße praktiziert. Der Versuch, diese Praxis mittels DNA-Entnahmen und -Speicherung zu kontrollieren und die Angst vorm Erwischt-Werden zu vergrößern, zeigt uns, wie sehr sie den bestehenden Verhältnissen entgegensteht und diese potenziell bedroht.
DNA-Entnahmen dienen auch der sozialen Kontrolle: So sammelten die Londoner Bullen 2008 im Zuge einer „Langzeit-Kriminalitätspräventionsstrategie“ in einem prekarisierten Stadtteil 386 DNA-Proben von unter 18-Jährigen ein. Hier geht es auch um die „präventive“ psychologische Wirkung. DNA-Proben, zum eindeutigen Beweismittel stilisiert, symbolisieren die Unausweichlichkeit gegenüber den Kontrollinstrumenten dieser Gesellschaft.
DNA wird auch in Zusammenhang mit Flucht- und Migrationsbewegungen entnommen und gespeichert. Schon 1997 beschloss die deutsche Innenministerkonferenz den Einsatz von DNA-Analysen in Asylangelegenheiten. DNA-Zwangstets werden bei der geplanten Abschiebung von Menschen zur Bestimmung ihrer vermeintlichen „Abstammung“ durchgeführt. Mit der Speicherung unzähliger Daten im internationalen Schengener Informationssystem wurde ein riesiger Kontroll- und Repressionsapparat erschaffen, der mit der Ergänzung um DNA-Daten immer monströsere Ausmaße annimmt.
Auch die (auf bestimmte Umkreise begrenzten) bereits praktizierten DNA-Massentests zur „Verbrechensaufklärung“ zeigen, wie groß die psychologische Wirkung dieses repressiven Instrumentariums ist: Wenige waren es, die den Aufforderungen zur „freiwilligen“ Abgabe ihrer DNA nicht nachkamen. Wer seine DNA nicht „freiwillig“ abgibt, macht sich verdächtig. Der soziale Druck ist hoch, die Repression wird zum Selbstläufer, weil sie von den Menschen verinnerlicht und gegeneinander eingesetzt wird.
Und schließlich hat die sich ausweitende Praxis von DNA-Entnahmen und -Analysen auch für uns, die wir für eine Welt frei von Herrschaft und für eine emanzipatorische Gesellschaft kämpfen, den Sinn und Zweck, Angst zu machen, uns kontrollier- und ermittelbar zu machen, um uns schließlich unserer Handlungsfähigkeit zu berauben. Wir denken, dass DNA-Entnahmen und -Speicherung eine Realität sind, mit der wir umgehen müssen, die es gilt, in unserem Handeln mitzudenken. Aber wir werden uns nicht durch diese Realität lähmen lassen!
was tun, wenn das wattestäbchen winkt?
Wir denken: Vorsicht ist besser als Nachsehen. Es ist wichtig, bei dem was wir tun, auf unsere Sicherheit zu achten. DNA-Spurensicherung und -Entnahme sind zu gängigen Ermittlungsmethoden geworden. Schon bei Aktionen, deren Risikolevel eher niedrigschwellig erscheinen mag, lässt sich nicht ausschließen, dass sich die Bullen auf die Suche nach DNA begeben. Wir wollen uns dieser Tatsache nicht ohnmächtig gegenüber sehen, sondern einen kühlen Kopf bewahren und genau überlegen: Wie können Spuren verringert werden? – Gänzlich vermeiden lassen sich DNA-Spuren nicht, aber zum Beispiel das Hinterlassen von Gegenständen, Kleidungsstücken oder auch Kippen kann die Suche nach DNA für die Bullen zum gemütlichen „Sammelspaziergang“ machen.
Eine 100%ige Sicherheit vor Repression gibt es nie. Wir können uns nur bewusst machen, welche Risiken wir eingehen und wie wir sie soweit wie möglich reduzieren können, ohne uns dabei die Art und Weise unseres Handelns vorschreiben zu lassen.
Aber Repression hat auch mit Willkür zu tun; wir sind weder fehlerfrei noch schuld daran, wenn wir geschnappt werden, wenn sie DNA einsammeln an Orten, an denen wir uns aufgehalten haben, wenn sie uns zwingen wollen, unsere DNA abzugeben.
Was wir tun können ist, zu überlegen, wie wir mit der allgegenwärtigen Drohung von Repression umgehen wollen und welcher Handlungsspielraum uns bleibt, wenn es uns erwischt.
Wir finden es wichtig, DNA-Proben nicht freiwillig abzugeben. Uns ist klar, dass „Freiwilligkeit“ in Zusammenhang mit Repression ein absurder Begriff ist: Oft werden DNA-Entnahmen von den Bullen ohne richterlichen Beschluss durchgeführt, wer sich widerständig zeigt, der_dem wird mit hohen Geld- und Haftstrafen gedroht. Es ist deshalb wichtig, uns schon im Voraus klar zu machen, dass Drohungen uns einschüchtern sollen und eine Weigerung Erfolg haben kann. In einigen Fällen konnten auch Anwält_innen die Entnahme von DNA verhindern, hinauszögern oder nachträglich die Löschung der gespeicherten Daten erwirken.
entgegen der handlungsunfähigkeit – für eine solidarische praxis!
Wenn eine Gesellschaft die massenhafte Speicherung von DNA praktiziert, sind alle in dieser Gesellschaft lebenden Personen davon betroffen. Es gibt kein „sicheres Außen“. Es ist wichtig, sich gegenseitig über die Möglichkeit der Verweigerung zu informieren, sich den Rücken zu stärken und solidarisch mit von Repression direkt Betroffenen zu handeln.
Wir möchten eine geteilte politische Praxis stark machen, nämlich die der kollektiven Verweigerung und der Solidarität mit allen, die zur DNA-Entnahme aufgefordert werden und diese verweigern. Uns geht es nicht „nur“ um DNA-Entnahmen, sondern wir richten uns gegen jede Art von (Vorrats)Datenspeicherung.
Wir möchten, dass überhaupt keine DNA-Daten gespeichert werden, von niemandem, und wir lehnen die Unterscheidung zwischen „guten“ und „schlechten“ Betroffenen ab.
Es scheint heute geradezu antiquiert und fast unmöglich, sich herkömmlichen ED-Behandlungen (Fingerabdrücke, Fotos) zu verweigern, wo diese nun schon systematisch auf Personalausweisen und Reisepässen gespeichert werden. Wir wissen, dass wir mit einer Politik der Verweigerung eigentlich immer schon zu spät dran sein werden. Gesetze sind beschlossen, ihre Umsetzung und Ausweitung auf immer mehr Lebensbereiche werden uns in den nächsten Jahren beschäftigen. Aber gerade vor diesem Hintergrund finden wir es notwendig, uns heute der DNA-Entnahme kollektiv zu verweigern und uns gemeinsam und so breit wie möglich gegen die Erstellung und Ausweitung von DNA-Datenbänken zu organisieren. Wir finden es wichtig, die alltäglichen kleinen Kompromisse, die die meisten von uns mit der Herausgabe von personenbezogenen Daten eingehen, aus der stillen, individualisierten Resignation zu holen und die Verweigerung von DNA-Entnahmen in den Kontext einer globalen Kritik der kapitalistisch verfassten Kontrollgesellschaft zu stellen. Denn diese wird niemals und in keiner Weise mit unseren Zielen einer emanzipatorischen politischen Praxis und eines selbstbestimmten Lebens vereinbar sein.
Europaweit haben sich schon viele Menschen einer angeordneten DNA-Entnahme verweigert oder entzogen, manche haben im Nachhinein vor Gericht dafür Recht bekommen. Wir wollen hier kurz auf Beispiele eingehen, in denen Betroffene einen offensiven Umgang mit angeordneten DNA-Entnahmen praktizierten beziehungsweise praktizieren.
Anfang 2011 ordnete die Staatsanwaltschaft Göttingen eine DNA-Entnahme bei einem jungen Antifaschisten an, weil sie den Verdacht hegte, dieser habe auf einer Solidaritätsdemonstration gegen staatliche Repression einen Silvesterböller gezündet. Der Betroffene tauchte unter und entzog sich so dem staatlichen Zugriff, woraufhin er zur bundesweiten Fahndung ausgeschrieben wurde. Viele Menschen zeigten sich solidarisch mit ihm und seinem Handeln. Der Druck der Repression war allerdings so hoch, dass er sich entschloss, zwei Wochen später bei einer Solidaritätsdemonstration für ihn wieder aufzutauchen. Die DNA-Entnahme wurde schließlich durchgesetzt.
(siehe http://www.inventati.org/ali und http://mons-
tersofgoe.de/2010/12/21/staatsanwaltschaft-will-
dna-probe-erzwingen)
Die in Zusammenhang mit der Brandstiftung gegen die Bundeswehrfahrzeuge in Dresden (2009) geforderte DNA-Abgabe eines Beschuldigten wurde hingegen – trotz anderweitiger Drohungen – bisher nicht durchgesetzt. Der Beschuldigte erschien nicht zur Abgabe, seitdem hat er nichts mehr von den Ermittlungsbehörden gehört. Das lässt darauf schließen, dass offensichtlich kein richterlicher Beschluss zur DNA-Entnahme erwirkt werden konnte.
Auch die Beschuldigten im aktuellen §129-Verfahren gegen angebliche Mitglieder der RAZ nehmen eine offensive Verweigerungshaltung ein und stellen die gegen sie gerichtete Repression in ihrer Erklärung „Wir werden unsere DNA nicht freiwillig abgeben!“ in einen breiteren Kontext: „Momentan davon betroffen sind Einzelne – doch wir lassen uns nicht spalten und lehnen diese ‚freiwillige‘ DNA-Abgabe ebenso wie jedes weitere Eingehen auf Angebote und Einschüchterungsversuche der Repressionsorgane kollektiv ab.“
(siehe: http://soligruppe.blogsport.eu)
Wir wissen, dass offensive Verweigerungsstrategien nicht immer leicht um- und durchsetzbar sind. Umso wichtiger finden wir es, solidarisch an der Seite der Betroffenen zu sein. Nur so können wir gemeinsam den Handlungsspielraum widerständigen Verhaltens ausloten.
Denn dafür bedarf es Gefährt_innen, die Perspektiven und Kämpfe teilen, die wissen, dass es wichtig ist, sich aufeinander zu beziehen – gerade dann, wenn die Repression versucht, Angst zu machen und zu spalten. Gefährt_innen, die sich nicht alleine lassen mit dem Druck der Repression, die zusammen überlegen, wie eine entschlossene Verweigerungshaltung aussehen kann und was nötig ist, um sie umzusetzen.
Gefährt_innen, die miteinander diskutieren und Pläne schmieden. Gefährt_innen, die sich gegenseitig Mut machen, die nach solidarischen Anwält_innen suchen und sich um Geld kümmern, wenn es gebraucht wird. Gefährt_innen, die aufeinander vertrauen. Gefährt_innen, die nach Wegen suchen, wie die gemeinsamen Kämpfe – entgegen aller Repression – gemeinsam fortgesetzt werden können. Gefährt_innen, die Flugblätter und Texte schreiben, Plakate kleben, Transparente malen, auf die Straße gehen.
Gefährt_innen, die an die denken, die nicht da sein können. Die nach Möglichkeiten suchen, trotzdem zusammen zu sein. Gefährt_innen, die sich offensiv gegen die Institutionen staatlicher Repression und Kontrolle wenden. Gefährt_innen, deren Solidarität sich darin ausdrückt, das anzugreifen, was Ursache der Repression ist: die gegenwärtige Gesellschaft, ihre Macht- und Herrschaftsstrukturen!
einige Gefährt_innen in Solidarität