La Paz, Bolivien: Kommuniqué von Henry Zegarrundo, der in U-Haft im Knast San Pedro sitzt
Ende Mai diesen Jahres wurden in Bolivien vier Anarchist_innen verhaftet. Einer von ihnen hat einen Brief geschrieben, die deutschsprachige Übersetzung übernommen von der Webseite des griechischen Übersetzungkollektivs ContraInfo.
Terror äußert sich vornehmlich durch Verfolgung, Repression und Inhaftierung für jene von uns, die die Ideologie der Angst durchbrechen. Eine Ideologie, die durch die ‘Kommunikations’-Medien bekräftigt und durch jene, die sie sklavenhaft akzeptieren – ob sie sie mit ihnen übereinstimmen oder nicht – zementiert wird.
Macht strebt nach dem SOZIALEN TOD durch Einkerkerung, trachtet nach der Verminderung des Individuums durch die MORAL DER VERNICHTUNG. Aber bis hierhin habe ich nicht eines dieser beiden durch den Staat entwickelten Phänomene durchgemacht; das einzige, was sie bisher geschafft haben, ist es, dass ich mich freier als je zuvor fühle, obwohl ich hinter dicken Wänden eingesperrt bin.
Die meiste Zeit denken wir, dass die Macht unser einziger Feind ist. Aber wir haben andere Feinde, die als AnarchistInnen getarnt sind. Solche Feinde sind jene, die Vorwürfe erfinden oder falsche Beschuldigungen auf der Grundlage von Mutmaßungen gegen jene von uns aussprechen, die eingesperrt sind. Dann veröffentlichen diese unmoralischen Gestalten Unterstützungsbotschaften und leugnen gleichzeitig, Erklärungen gegen mich ausgegeben zu haben. Solange sie weiterhin jedeN zufriedenstellen möchten, werden sie mit ihren Lügen weitermachen und sich Geschichten ausdenken, um ihre dreckigen Ärsche zu retten, die so dreckig wie ihre eigenen Existenzen sind.
Nina und ich wurden durch Renatto Vincenti (der unter den Gefangenen des 29. Mai und Mitglied der OARS (Anarchistische Organisation für die Soziale Revolution) ist) beschuldigt. Jener, der sich verpflichtete, mit den ErmittlerInnen weiterhin zu ‘kollaborieren’, wobei das schlimmste ist, dass die Funktionäre des Staates ihm blind vertrauen. Schließlich hat jedeR verzweifelt Erklärungen gewählt, die auf Annahmen beruhen; sie wurden besiegt, ohne dass sie je bekämpft wurden. Ich hoffe, dass Vico nicht in das Spiel der Angst eingetreten ist.
Ich möchte eine Sache klarstellen: Politische habe ich mich immer von hierarchischen, patriarchalen, speziesistisch und aktivistischen Organisationen (typisch für politischen Parteien) distanziert. Ich vertraue nicht auf Dogmen, Märtyrer und Helden, daher bin ich weder Teil von OARS noch von RED VERDE (Grünes Netzwerk), wie jene Mächtigen es – auf der Grundlage von dem, was Renatto in seiner Stellungnahme geäußert hat – gern glauben möchten; zumal Mitglieder der OARS auch in der RED VERDE involviert sind. Was für ein Widerspruch oder?
Ich kenne die FAI-FRI nur durch ihre Kommuniqués, die sie veröffentlichten. Gewiss wird jedoch die Schreibweise mit ‘x’ (die paritätische Schreibweise im Spanischen) als ein Beweis gegen mich verwendet werden, sobald die ErmittlerInnen dieses Kommuniqué lesen werden.
Anarchie bedeutet nicht, in unserer theoretischen Abgeschlossheit zu bleiben. Es geht darum, Freiheit in die Praxis unseres Alltags zu verwandeln. Wir müssen uns von den VerräterInnen und heimtückischen Gestalten abspalten, weil dies ansonsten bedeuten würde, den anarchistischen Kampf zu verraten und niederzuknien, zu lügen, andere zu beschuldigen, Angst auszulösen. In der Theorie bedeutet Verrat, jemanden zu betrügen, der/die etwas mit dir selbst zu tun hatte; aber – in diesem speziellen Fall – bedeutet Verrat durch Lügen dasselbe – oder vielleicht sogar schlimmeres – wie sich selbst zu betrügen, obgleich ein Diskurs aufrecht erhalten wird, der jedoch über Worte nicht hinausgeht.
Was mich glücklich macht, ist, dass mensch dort draußen Solidarität, Freiheit und Kampfgeist riechen kann, der trotz aller Inhaftierungen weitergehen muss. Es ist jetzt noch wichtiger als je zuvor, weiter zu kämpfen, zu debattieren, Nachrichten zu verbreiten, zu diskutieren und Texte zu veröffentlichen. Es ist ziemlich unangenehm zu wissen, dass sich einige distanziert haben, obwohl sie weiterhin radikale Diskurse nutzen. Aber das betrübt mich überhaupt nicht, da es allemal besser ist, wenige zu sein als eine Herde, die einfach nur den Entscheidungen von anderen folgt.
Das ist erstmal alles; Ich drücke meine Solidarität mit allen Geiseln des Staates aus und sende ihnen jede Menge Stärke, Grüße, Küsse und Umarmungen.
Das Echo der solidarischen Menschen in Peru, Ecuador und sonst wo auf der Welt hat diesen Ort erreicht.
Stärke der TIPNIS (Verteidigungskämpfe des ‘Isiboro Sécure Nationalparks und der indigenen Gebiete’)! Obwohl ich mit der Umsetzung des neunten (‘national indigenen’) Marschs nicht übereinstimme, verfolge ich täglich alles, was passiert von hier drin und hoffe, dass weise Entscheidungen getroffen werden, weil wir wissen, dass der Staat betrügen und Zwiespalt sähen wird, um seine kapitalistischen Gesetze einzuführen. Die beste Strategie, die ich sehe, ist es, genau am selben Ort des Konflikts, im Isiboro Secure selbst, zu kämpfen.
Ich danke meiner Familie und meinen FreundInnen, altbekannt und unbekannt für andere, die mir einen Besuch abstatteten. Ich wiederhole meine Grüße an all jene, die sich entschieden haben, alltägliche KämpferInnen zu sein, die in der Lage sind, Angst und Terror zu begegnen.
Henry Zegarrundo
Anti-autoritärer Anarchist
Quelle: ABC Mexico