Marco Camenisch: Zum Tod von Samuel im Knast Regensdorf, August 2012
Zum Tod von Samuel Luis Nicola, 31 Jahre
Die Nachricht ging allgemeiner in der 9h-Pause um. Luis, besser als “El Faraon” bekannt, ist tot. Zuerst Unglauben, dann auch Wut, und große, denn sofort ist allen klar, dass Luis nicht “gestorben ist” sondern man hat ihn sterben lassen!
Seit einer Woche beklagte er sich über Bauchschmerzen aber wie immer wurde er beim Arztbesuch mit der üblichen Süffisanz abgefertigit. Seit einigen Tagen ass er nicht mehr, und sagte er könne auch nichts mehr trinken. Dann wurde ihm am 9. August schlecht, und zwar so stark, dass er von einem anderen Gefangenen bis zum Arztdienst begleitet werden musste. Und wiederum begnügte sich der Arzt damit ihm ein Medi zu verabreichen und ihn auf die Zelle zu schicken. Dass es ihm schlecht ging war klar, man sah es ihm klar und deutlich an. Donnerstagnacht geht es ihm wieder schlecht, seine Zellennachbarn hören ihn um Hilfe rufen und hören ihn sagen, er sei am Sterben. Später ruft er von seiner Zelle aus den Nachtwärter um Hilfe. Die Antwort: er müsse den nächsten Morgen abwarten. Am nächsten Morgen finden sie ihn tot in seiner Zelle.
El Faraon war fit, rauchte nicht, nahm keine Drogen und aß auch kein Fleisch. Seit einer Woche beklagte er sich über Bauchschmerzen. Er war ein fröhlicher Junge, schagfertig und hatte immer ein Lächeln bereit. Seit 2010 war er in Regensdorf eingesperrt, wo donnerstags seine Strafe von seinen Kerkermeistern in eine Todesstrafe umgewandelt wurde.
Am Tag danach benahmen sich die Gefängniswärter, als sei nichts geschehen, und leider war seitens verschiedener Gefangenen dieselbe Reaktion festzustellen. Die Direktion liess in den Abteilen eine Todesanzeige aufhängen, wo sie mit dem heuchlerischen Bedauern auch gleich ankündigt, es werde eine Autopsie und eine Ermittlung der Staatsanwaltschaft zur Feststellung der Todesursache geben, was eigentlich schon zum Voraus der Versuch heißt, die Todesursachen Luis selbst anzulasten. Aber hier ist klar, wieso Luis gestorben ist: ihm wurde die Hilfe verweigert, man liess ihn sterben. Auf dieser Seite der Mauern ist man nicht so naiv um nicht zu wissen, dass auch im Falle von Ermittlungen die Institutionen sich gefälligst gegenseitig beistehen werden.
Unter Gefangenen, vor allem jenen, die Luis näher standen aber nicht nur, wurde über den Vorfall diskutiert und darüber wie man darauf antworten soll. Dass das, was El Faraon geschehen ist kein Unfall ist, sondern eine Situation, in der man sich jederzeit selbst befinden könnte, ist allen bewusst. Es ist ja auch nicht das erste Mal, dass derartiges geschieht. Was drinnen am stärksten zutage getreten ist, ist der Wille, dass dieser Vorfall nach aussen dringt, damit er Folgen habe und nicht, wie in allen anderen von den Gefängniswärtern gefällten Todesurteilen, es schon wieder als Schicksal durchgeht, im Stil „dumm gelaufen“. Deswegen bitten wir um Verbreitung dieser Nachricht und Aufmerksamkeit darüber, dass dieser Tod nicht einmal wieder vertuscht und vergessen wird, jenem Vergessen überlassen wird, das der Gefänisinstitution eigen ist.
Regensdorf, 10.8.12
Niederschrift Aushang Todesmitteilung der Direktion (Gott sei ihrer Seele gnädig) in den Abteilen der STA (Strafanstalt) Pöschwies, von Marco Camenisch, Abk. Und datenschutzrechtliche Kürzel vom Niederschreibenden:
„Bodypacker*“ = die Waren in ihren Körper packen, oral/Magen, vaginal oder anal
„Zelle für * in der Arrestabteilung“ = Ausschisszelle, wo dem „Klienten“ ein Abführmittel verpasst werden kann und wo er im Falle der Verweigerung jedenfalls so lange verbleibt, bis alles vorgängig Eingenommene ausgeschissen wird. Wie mir von einschlägig erfahrenen Gefangenen beschrieben wurde, muss jeder Stuhlgang vorgängig angemeldet werden und dnan in einem eigens dafür beschaffenen Behälter und flankiert von zwei „Betreuern“ stattfinden. Es ist mir nicht bekannt, welche/s Abführmittel mit welcher Gefährlichkeit und ob/wann unter ärztlicher Aufsicht, vor allem im Zusammenhang mit eventuellen harten Drogen (Kokain, Heroin, Anabolika), Verpackungsmaterialien oder Allergien, zum Einsatz gelangen, eben sowenig sind mir zur Zeit weitere Details ausser den unten und in der Presse erschienen bekannt. Gemäss Tagi war die Urinprobe auf Koks positiv, aber der Tod soll, im Gegensatz zur Info im Aushang (wahrscheinlich die richtige), am Morgen vor der Essensabgabe stattgefunden haben.
Strafanstalt Pöschwies
Direktion
Hinschied von XY
geb. *.* 1973
Geschätzte Insassen,
Wir haben die traurige Pflicht, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Herr XY gestern Nachmittag in der Zelle für mutmassliche Bodypacker der Arrestabteilung verstorben ist. Herr X war im Erweiterungsbau, Haus B untergebracht. Seine Strafe wäre am 18.7.2007 abgelaufen.
Herr X wurde am 11.7.2007 nach verspäteter Urlaubsrückkehr wegen Verdacht auf Drogenschmuggel in die besagte Zelle der Arrestabteilung verbracht. Dort wurde er gestern um 16.50 Uhr bei der Essensabgabe tot aufgefunden.
Wie bei einm Todesfall in der STA üblich wurden umgehend die Kapo, die Staatsanwaltschaft und der zuständige Amtsarzt herbeigerufen. Gemäss Amtsarzt ist Herr X vermutlichum ca. 15.20 Uhr gestorben. Zwecks Ermittlung der Todesursachen hat der untersuchende Stawa routinemässig eine Obduktion angeordnet.
Wir bedauern seinen Tod und sprechen den Angehörigen des Verstorbenenunser tief empfundenes Beileid aus.
Ich bin überzeugt, dass Gott seiner Seele gnädig ist.
Ulrich Graf, Direktor
Mache weiter darauf aufmerksam, dass ich aus meiner Lagerhaft in der Pöschwies wiederholt von ähnlich gelagerten Fällen berichtet und die lebensgefährliche Praxis des betreffenden Arztdienstes und der Lagerhaltung allgemein auch ziemlich eingehend geschildert habe. Weiter stelle ich fest, dass abgesehen von Details ähnliche Missstände systematisch in allen Lagern anzutreffen sind, die ich in der Schweiz durchlaufen habe.
Betreffend Pöschwies verweise ich auf die Gefangenenpetition 2004 oder 2005 und meine in diesem Zusammenhang geschilderten Todesfälle, Vorfälle und Schilderungen des „Gesundheitswesens“. Dazu noch über den hier kürzlich stattgefundenen Selbstmord eines 31jährigen zu einer kurzen Strafe verurteilten tunesischen Asylbewerbers: Die Nachricht kam im nationalen/lokalen Teletext und der Haussender Lenzburg M1 berichtete kurz darüber und fügte an es wurde keine Suizidgefahr festgestellt und es sei vor sechs Jahren zum letzten Selbstmord gekommen. Tatsache ist: der Gefangene wurde Abends um 20h+ am zweiten Tag nach seiner Anlieferung bei der „Lebendkontrolle“ am Fenstergitter und Fernsehkabel erhängt aufgefunden. Schon am selben Tag seiner Ankunft fiel er durch lautstarkes Protestieren gegenüber Wärtern auf und drohte explizit und für uns vom Arbeitsraum Korberei sicht- und hörbar sich vom zweiten Stock des Flügels 5, wo auch ich im untersten Stock in einer Zelle und ebenfalls im zweiten Stock zur Arbeit gefangen gehalten werden, nach unten zu stürzen. Auch am Tag danach und Abend vor dem Suizid kam es wiederholt zu lautem Protestieren. Desweiteren kursierten danach Gerüchte, dieser habe schon vorher in anderem/n Lager Suizidversuche unternommen.
Marco Camenisch
Justizvollzugsanstalt Lenzburg
Ziegeleiweg 13
5600 Lenzburg District
Schweiz