Mehr als Tütenkleben
erschienen am 1. November 2013 in der Tageszeitung junge Welt.
Von der »Schnapsaxt« bis zur Strickleiter: Was Häftlinge in deutschen Gefängnissen herstellen. Auch Konzerne haben die billigen Arbeitskräfte für sich entdeckt
Tütenkleben gilt als typische Beschäftigung von Häftlingen. Doch müssen Insassen deutscher Justizvollzugsanstalten (JVA) tatsächlich basteln? Im Jahr 2009 wurde bekannt, daß Gefangene in Bielefeld für eine Privatfirma Schilder mit obskuren Sprüchen herstellten. Diese wurden u. a. bei »Kaufhof« und »Hornbach« angeboten. Interessenten konnten wählen, beispielsweise zwischen »Koks für alle« oder »Die Frau ist ein Übel, wenn auch ein notwendiges«.
Aktuelle jW-Recherchen in allen 16 Bundesländern ergaben: Weit vom Tütenkleben sind die Tätigkeiten, denen die Gefangenen aktuell nachgehen, oftmals nicht entfernt. So gehören in Sachsen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, dem Saarland und Thüringen Produktverpackung zum Standardrepertoire. Es handele sich »um Arbeiten einfacher Art, die keine Vorkenntnisse und nur eine kurze Einarbeitungszeit« erforderten, erläuterte Birgit Eßer-Schneider, Sprecherin des sächsischen Justiz- und Europaministeriums. Im Freistaat würden zumeist »durch die Gefangenen Konfektionierungs-, Montage-, Verpackungs- sowie einfache Fertigungsarbeiten durchgeführt«. In Bremen werkelten Inhaftierte für die Geschenkartikelkette »Nanu-Nana«. Auch wer in der Hansestadt zuletzt einen Weihnachtskalender kaufte, bekam womöglich ein Produkt von Häftlingen: Sie durften dort »Lose in Weihnachtskalender einpflegen«, für die Toto- und Lotto GmbH. In Schleswig-Holstein verrichten Gefangene »Lohnarbeiten wie beispielsweise Sortieren, Kuvertieren, Abpacken, Löten, Nähen oder Montieren«, so das dortige Justizministerium.
Es gibt zwei Arten der Produktion in Haftanstalten: Eigenproduktionen, die zum Beispiel im Internet verkauft werden. Oder Auftragsfertigung von Firmen. In letzterer werden in Hamburg beispielsweise Rolläden, Blumenkübel und Grills hergestellt oder Autoteile konfektioniert. In der JVA Billwerder gehört laut Justizbehörde neben »Verpackungsarbeiten«, der »Sortierung von Schrott« und »Altkleidern« auch – für einen Knast nicht vollkommen risikolos – die »Herstellung von Strickleitern« zur Palette von Beschäftigungsmöglichkeiten.
Mit der Arbeit von Gefangenen werden Millionen verdient, wenngleich der Strafvollzug auch kostet. Von den zwölf Bundesländern, die auf Anfrage dazu Auskunft gaben, erwirtschaftet Baden-Württemberg den höchsten Gewinn – insgesamt 25,8 Millionen Euro im Jahr. Niedersachsen verdiente zuletzt 18,7 Millionen.
In Hessen erbringen die Gefangenen nach Angaben des Justizministeriums »Vorarbeiten für die Confiserie«. Sie leisten auch »Schleifarbeiten für Automobilzulieferer« und arbeiten an der »Konfektionierung von Original-Ersatzteilen für die Automobilindustrie«. Ob Opel in Rüsselsheim damit zu tun hat, wollte weder das Ministerium noch die Firma selbst mitteilen.
Auch in Baden-Württemberg hielt man sich zu den Verträgen der JVAs mit Firmen bedeckt. Man fürchtet dort, daß ansonsten »dringend benötigte Arbeitsplätze für Gefangene mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfallen würden«, sagte Martina Schäfer, Sprecherin des Justizministeriums. »Bei Wegfall der Arbeitsplätze bestünde in aller Regel nur die Alternative eines überwiegenden Verschlusses im Haftraum und einem damit verbundenen Aufbau von gefährlichem Aggressionspotential.«
Schäfer bestätigte auch, daß »Lohnarbeiten« im Zusammenhang mit »Bauteilen für die Automobil- und Elektroindustrie« durchgeführt werden. Ob diese für die nahegelegenen Konzerne Porsche oder Daimler bestimmt sind, wollte man nicht mitteilen. Im Falle einer Auskunft werde »der durch die Beschäftigung erreichbare Resozialisierungserfolg nachhaltig gefährdet«, so Schäfer. Die Daimler AG »vergibt seit Jahren in Abstimmung mit den jeweiligen Behörden und nach entsprechender Ausschreibung Lohnarbeiten auch an Strafanstalten«, so Unternehmenssprecherin Silke Walters. Für die Lohnarbeit erhalten die Häftlinge, je nach Vergütungsstufe, 11,64 bis 14,55 Euro. Pro Tag. Von Porsche gab es dazu keine Auskunft.
Welche potenten Kunden für die dortigen Millioneneinnahmen verantwortlich sind, will man auch in Niedersachsen nicht preisgeben. Sonst sei »dringend zu befürchten«, daß »ein überwiegendes öffentliches Interesse verletzt« werde. Würde Näheres über die Auftraggeber bekannt, »bestünde die konkrete Gefahr, daß diese sich zurückziehen und die entsprechenden Arbeitsplätze wegfallen würden«, erklärte ein Sprecher des Justizministeriums. Dies sei »durch konkrete Erfahrungen und Sachverhalte belegt«. Niedersachsen hat sich verpflichtet, 75 Prozent aller Gefangenen zu beschäftigen. Mögliche schlechte Presse und ein damit verbundenes Zurückscheuen von Firmen vor weiteren Aufträgen an die JVAs käme da ungelegen. Nur so viel wollte man preisgeben: Häftlinge würden unter anderem in der Produktveredelung eingesetzt. Hier werde »entweder der Wert eines bereits gefertigten Produktes durch z.B. Polieren weiter gesteigert oder ein abgenutztes Produkt wieder in einen Neuzustand versetzt«.
In Mecklenburg-Vorpommern sieht es ähnlich aus. Hier werden nach Auskunft des Justizministeriums »beim Rotationsverfahren angefallene Kunststoffüberstände« durch Häftlinge entfernt. »Einzelne Produkte werden konfektioniert und nach der Qualitätskontrolle in die Weiterverarbeitung der Firma Emano gegeben«, so eine Sprecherin. »Durch die Firma Emano«, die ebenfalls die Autobranche beliefert, werden sowohl eigene Produkte hergestellt als auch Kundenaufträge erledigt«. Für welche Automarken, will man nicht sagen. Man gebe »generell keine Auskunft« zu Verträgen, so Peggy Graß von der Emano Kunststofftechnik GmbH.
Einige JVAs haben eigene Onlineshops, verkaufen Produkte im Internet. Die Palette reicht dabei von Geschenkartikeln über Bürobedarf bis hin zu maßangefertigten Müllcontainern. In Nordrhein-Westfalen gibt es seit Jahren den »Knastladen« auf knastladen.de. Neben dem »Nistkasten ›BVB‹« kann auch die »Schnapsaxt« erworben werden, ein Tablett zum Transport von Trinkgläsern, das in der JVA Attendorn hergestellt wird. Damit, so wirbt das NRW-Justizministerium, könne man »zünftig feiern«.
Von Marvin Oppong