Schweiz: Kommuniqué des ökoanarchistischen Gefangenen Luca ‘Billy’ Bernasconi über seine Beteiligung an den Knastprotesten gegen das Weltwirtschaftsforum
übernommen von der Webseite des griechischen Übersetzungkollektivs ContraInfo
Der Knast trennt uns physisch von den Kämpfen. Er isoliert uns von den uns Nahestehenden und von der täglichen Teilhabe an den Wegen des Kampfes, er verweigert uns unsere Sehnsüchte. Er schafft es jedoch weder sie aus unserem Kopf zu verbannen noch dem Kampf unsere Tatkraft zu nehmen. Im Gegenteil: Die Wut und der Hass, den wir gegenüber den Mauern und unseren KnastwärterInnen empfinden, sind tief in unserer Seele, in unserem Fleisch verwurzelt.
Ein Gedanke treibt eineN sogar noch mehr von hier an als von draußen: ‘Was kann ich tun?’ Wenn sich daher Möglichkeiten ergeben, an den Mobilisierungen draußen von der anderen Seite dieser Mauern teilzunehmen, bedeutet dies viel mehr als etwas symbolisches. Ich ergreife diesen Moment und verleibe ihn mir ein, tief in mir drin, wo weder die Hände noch die Augen der/des WächterIn, Bullen oder sonst jemanden, dessen Absicht es ist, die eigene Macht zu missbrauchen, je Zugang erhalten sollten. Dort, in uns drin, wo nichts nur symbolisch sondern alles in Spannung ist.
AnführerInnen von unterschiedlichen Herrschaftsbereichen (PolitikerInnen und UnternehmerInnen, Medien und geistiger/intellektueller Werte) werden sich dieses Jahr auf dem Weltwirtschaftsforum treffen. Dort werden sie sich über verschiedenen Themen austauschen, um neue Modelle zu erarbeiten, die ihre eigenen Privilegien nur noch tiefer verankern werden und die es ihnen ermöglichen, reicher zu werden. Unter diesen Themen sticht eines hervor: ‘Die neuen technologischen Gesellschaftsmodelle’ und, etwas genauer, ‘die neue Welle von technologischen Innovationen, besonders in den Biowissenschaften, in der Nanotechnologie und der künstlichen Intelligenz.’
Es ist bekannt, dass Krisenzeiten sehr günstige Phasen für die machthabende Elite sind, um Maßnahmen durchzusetzen, die vorher nicht anwendbar waren, und dadurch Änderungen eingeleitet werden, die dem System die Chance geben, die Macht über das Leben eines/einer jeden einzelnen noch auszuweiten. Krisen sind eigentlich das, was das System braucht, um sich selbst und die Welt um sich herum zu erneuern.
Ein Problem, auf das sie uns in jenen Tagen mit erschöpfender Kontinuität aufmerksam machen, ist nicht so sehr der Klimawandel (der für einige ein Schwindel ist, während große Unternehmen trotz ihrer grüneren Erscheinung sich nicht mehr um den Planeten sorgen, als dass sie ihn als ein Instrument, das es auszubeuten gilt, begreifen, mit der Absicht, ihre Geschäfte sicher zu stellen) sondern mehr die Notwendigkeit Innovationen zu finden, um diese verdammte Gesellschaft aufrecht zu erhalten – durch das Auslöschen oder Aufheben der sichtbarsten Aspekte wie der ökologischen Unausgeglichenheit mit ihren Konsequenzen für die Änderung des Klimas oder der Ausbreitung von Krankheiten, die sich auf unsere Gesundheit auswirken.
Ein Wendepunkt wurde somit von ihnen erreicht, an dem sie mit einem Erneuerungsakt daherkommen, der die Aufrechtherhaltung des gegenwärtigen Systems der Unterdrückung neben den Unausgeglichenheiten und Ungerechtigkeiten, die während der ganzen Jahren aufgehäuft wurden (vor allem aber seit der Nachkriegszeit) garantiert. Das Ziel ist nicht, jene zu lösen, weil es nötig wäre, das ganze System grundlegend zu hinterfragen, um die Ungleichheiten zu beseitigen. In einer viel einfacheren und listigeren Art überspringen sie es mit beiden Füßen und übertragen die Produktion der Schädlichkeit zu neuen, komplizierteren und unterschwelligen Ebenen, die nicht so leicht mit dem System, von dem wir abhängig sind, und dessen fundamentalen Produktionsdynamiken in direkte Verbindung gebracht werden können.
In diesem Sinne, haben Nanotechnologien und Biotechnologien einige viel versprechende Aspekte und das gleiche gilt für jeden Aspekt oder produzierenden Sektor des technisch-industriellen Systems, in dem wir leben. Sie werden über sich selbst in Davos sprechen, weil bei dem WWF ‘große’ Industrielle und weltweite Unternehmer ‘große’ Wissenschaftlerinnen und Hightech-Pioniere treffen können, von denen sie angespornt werden und später dann einen Drink mit den ‘großen’ Sponsoren teilen, um sie zu überzeugen, in sie zu investieren und sich daraufhin mit einigen Regierungsbehörden (oder Nicht-Regierungsbehörden – die Grenzen sind oft fließend) zu unterhalten, um ihnen die Tugend der kommenden Entwicklungen und Forschungen aufzuzeigen.
Der Moment in Davos ist ein privilegierter. Dort, wo die EigentümerInnen dieser Welt und ihre KomplizInnen (WissenschaftlerInnen und Medien) zu neuen (nur unter ihnen geteilten) Strategien inspiriert werden, die nur ihrer eigenen Bereicherung, der Verteidigung ihrer Privilegien and ihrer Vormachtstellung dienen. Für gewöhnlich bekräftigen sie die Tendenz der letzten Jahre einen Sinn für die soziale und ökologische Verantwortung zu haben (eine Fassade).
Was Nanotechnologien angeht, eines der zentralen Themen während der Sitzungen in Davos, wird genau beobachtet wie ‘jede einzelne Gefahr vor unvorhersehbaren Konsequenzen verstanden wird und wie sie sich auf die öffentliche Unterstützung für nanowissenschaftliche Forschung auf negative Art und Weise auswirkt.’
Es ist klar oder? Ihre Sorge ist nicht der Schaden, den sie zufügen, sondern dass die Menschen auch zukünftig an ihre Förderung als ein Wunder der Wissenschaft glauben; und dass es ihnen nicht einmal in den Kopf kommt, sie abzulehnen, wie das schon mit den Biotechnologien im Diätbereich passierte (und weiterhin passiert). Denn ihre Entwicklung könnte entscheidend sein für die Renovierung des herrschenden Systems und ihm eine respektablere Fassade verpassen, die es folglich dominanter machen würde. Und das passiert dank der Krise.
Um an den Kämpfen während der WEF Woche (20.1. – 29.1.) von drinnen teilzunehmen werde ich das Essen und die Arbeit im Knast, das hier verpflichtend ist, verweigern. Diese Weigerung beabsichtigt auch eine Antwort zu sein auf Silvias jüngste Isolation in der psychiatrischen Sektion des Frauengefängnisses in Hindelbank und ebenso auf die Entscheidung der Knastbehörden, Besuche von FreundInnen und GenossInnen nicht ohne eine trennende Glaswand zu gewähren. Auch ist sie eine Unterstützung für Marco Camenisch, dessen Anhörung bzgl. der Entscheidung auf seine Freilassung auf Bewährung in den nächsten Monaten (Mai 2012) stattfinden wird.
Ich nutze die Gelegenheit, um Umarmungen der Teilhabe und der Solidarität zurückzugeben an die gefangenen GenossInnen in Griechenland, Chile (Forza Tortuga!), Mexiko, Russland, Weißrussland, Deutschland, Spanien, den US und der UK und überall sonst auf der Welt; an alle GenossInnen der Fuoriluogo, die in Bologna vor Gericht stehen, an die Menschen aus Florenz und an die AntifaschistInnen aus Cuneo, an die RebellInnen, die in Val di Susa (Susa-Tal) festgenommen und angeklagt wurden, und an alle, die innerhalb und außerhalb der berüchtigten Mauern kämpfen!
Aus einem Lager für Resozialisierung
Regensdorf, 15. Januar 2012
‘Billy’