Silvester zum Knast – 31. Dezember 2012
Lasst uns gemeinsam am 31. Dezember 2012 gegen Gefängnisse und Zwangsanstalten demonstrieren, um unsere Solidarität mit den Gefangenen auszudrücken. Nachmittags gehen wir zum Lichtenberger Frauengefängnis und am Abend vor die JVA Moabit.
Gefängnisse als Teil gesellschaftlicher Zurichtung
Gefängnisse standen seit ihrer Einführung dafür gesellschaftliche Konflikte wegzusperren und unliebsame Teile aus der Gemeinschaft zu isolieren. Patriarchale Herrschaftssicherung wurde dabei gerade in der frühen Form der „Zuchthäuser“ deutlich, in denen vermeintliche Bettler_innen, „umherstreifendes Gesindel“, „arbeitsscheue Menschen“, so genannte „sittlich verwahrloste Frauen“ und Sex-Arbeiterinnen verschwanden und ausgebeutet wurden.
Die kapitalistische Verwertungslogik bewirkt, dass immer mehr Menschen nicht mehr in der Lage sind, ihr Leben ohne Konflikte mit den herrschenden Gesetzen zu gestalten. Armut, fehlende soziale Netzwerke und Zeitmangel führen dazu, dass viele ihre Schulden nicht mehr bezahlen können und immer häufiger ihrer Freiheit beraubt werden. Ähnliches lässt sich in vielen Gegenden der Welt beobachten.
Menschen, die sich organisieren und gegen kapitalistische, rassistische, sexistische und andere Gewalt wehren, bekommen oft die volle Kraft der staatlichen Repression zu spüren. Haft als Sanktionierung politischen Widerstands ist inzwischen überall zum alltäglichen Problem geworden. Auch die Überwachungsparagraphen 129a und b dienen den Herrschenden dazu, nach Belieben Widerständige auszuspionieren und einzusperren, sowie ihre Angehörigen und Genoss_innen einschüchtern zu können. Gülaferit Ünsal wird seit über einem Jahr im Lichtenberger Frauengefängnis festgehalten und nach 129b in einem politischen Prozess in Moabit vermutlich demnächst als vermeintliche „Terroristin“ verurteilt. Ein weiterer Hintergrund in diesem Schauprozess ist auch das Interesse des deutschen Staates ungehindert polizeiliche Hoheit im europäischen Umland auszuüben.
Wir wollen verschiedene stattfindende Kämpfe gegen die Logik der Disziplinierung und Kontrolle zusammenbringen, ohne die ihnen eigenen Merkmale und Besonderheiten zu verwischen. Wir möchten, dass klar wird, warum der Knast uns alle angeht. „Niemand ist frei, bis wir alle frei sind“ ist keine Phrase vergangener Tage. In Diskussionen tauchen immer wieder die Fragen auf, welche Gefangenen zu unterstützen seien oder welche Alternativen den Knast ablösen könnten. Dabei wird deutlich, dass wir permanent gemeinsame Kritik üben müssen, um zu verhindern, dass der Komplex der verschiedenen Gefängnisse und Zwangsanstalten in unseren Köpfen überdauert. Wir wollen uns nicht der Logik fügen, die den Knast am Leben erhält. Wir sehen die Überwindung aktuelle Strafdiskurse – wie sie derzeit beispielsweise vom Neuköllner Bezirksbürgermeister Buschkowsky medial angefeuert werden – als wichtigen Bestandteil auf dem Weg zu einer herrschaftsfreien Gesellschaft.
Gefängnisse und das Märchen der „Resozialisierung“
Wir sehen einen Zusammenhang dazwischen, wie uns der Knast von Menschen trennt, die gegen herrschendes Recht verstoßen haben und den Praktiken, in denen Menschen beispielsweise ohne Lohnarbeit, Geld, Papiere, akzeptiertem Geschlecht oder Sexualität, Herkunft oder ethnisierbare Merkmale ausgegrenzt und ausgebeutet werden.
Deswegen verwundert es nicht, dass hinter den Gefängnismauern hauptsächlich diejenigen zu finden sind, die gesellschaftlich besonders ausgegrenzt sind und ein ungleich höheres Risiko tragen müssen, Diskriminierung und Gewalt zu erleben. Wenn Geflüchtete in Lagern auf ihre Abschiebung warten; Trans*leute psychiatrisch behandelt werden; türkische oder kurdische Genoss_innen nach §129b verfolgt oder Firmen eingeladen werden, ihre Fließbandproduktion kostengünstig im Knast (z.B. in der neuen JVA Heidering) verrichten zu lassen, begreifen wir dies als besonders sichtbare Überschneidungen verschiedener Mechanismen, Menschen gefügig zu machen.
Wenn ich über geringes Einkommen verfüge und wie viele andere wegen Eigentumsdelikten angeklagt werde, wird es mir sehr schwer fallen, das nötige Geld aufzubringen, die Anwaltskosten zu bezahlen und zumindest die Chance zu erhöhen, nicht inhaftiert zu werden. Wenn ich im Knast bin, werde ich vielleicht zu den vielen Menschen gehören, deren Angehörige mich wenig besuchen und unterstützen können, weil ihnen das Geld dafür fehlt. Von dem miesen Stundenlohn für die Zwangsarbeit im Knast werde ich mir mit Sicherheit nicht viel mehr leisten können, als ab und zu die teuren Sachen beim Knastsupermarkt zu kaufen.
Wenn ich dann aus dem Knast entlassen werde, mich um eine Wohnung, einen Job, meine Schulden, meine angeknacksten/verlorenen sozialen Kontakte, … kümmern muss, werde ich mit Sicherheit sagen können, dass der Knast mir nicht geholfen hat, weil er mir gezeigt hat, dass sich meine Probleme nicht lösen lassen.
Der Knast schafft sogar noch mehr Probleme und verstärkt vorhandene. Was es mit mir macht, eingesperrt zu sein und jeden Tag zu erfahren, dass ich behandlungsbedürftig bin und „resozialisiert“ werden muss, können nur die Menschen berichten, die Knasterfahrung haben, aber nur selten gehört werden.
Gefängnisse als gesteigerte Form der Ausbeutung
Mit der gesellschaftlichen Fokussierung auf das Eigentum und dem massiven Interesse einer bestimmten Schicht daran, dieses zu sichern, landen im Laufe der Zeit immer mehr Menschen auf Grund von Eigentumsdelikten in den Gefängnissen. Seit einiger Zeit werden Gefängnisse privatisiert und Inhaftierte zu Arbeiten für Hungerlöhne gezwungen.
Beinahe unbemerkt verschafften sich einige Bau- und Sicherheitskonzerne in den letzten Jahren Zugriff auf den Justizvollzug und die erzwungene Arbeitskraft von Gefangenen. Es ist zu beobachten, wie in einem schleichenden Prozess die Privatisierung und Industrialisierung von Gefängnissen in der BRD voranschreitet. Der permanente Sozialabbau bringt viele Menschen in eine prekäre Situation. Nach dem Vorbild der USA nehmen Lobbyisten Einfluss auf die Gesetzgebung, um immer mehr Menschen für Bagatell- und Armutsdelikte in Haft zu bringen. In einigen Bundesländern erwartet Gefangene inzwischen Zwangsarbeit am Fließband. Mit Blick auf die USA lässt sich heute schon vorher sagen, was die verheerenden gesellschaftlichen Auswirkungen einer solchen Ausbeutung sein werden: Masseninhaftierung des armen Teils der Bevölkerung und rassistische Ausgrenzung gesellschaftlicher Minderheiten. Noch können wir Konzernen wie Bilfinger-Berger, Kötter oder Serco und ihren gekauften Politiker_innen in die Suppe spucken.
Kommt am 31. Dezember 2012 gemeinsam
für die Freiheit aller Gefangenen auf die Straße!
Grenzen und Mauern einreißen – für eine solidarische Gesellschaft!
15:00 vom S-Bhf Frankfurter Allee
zum Frauenknast Lichtenberg
22:45 vom U-Bhf Turmstrasse zum Knast Moabit