Solidarität mit dem sozialen Aufstand in Griechenland!

Solidarität mit dem sozialen Aufstand in Griechenland! - In Athen am 12. Februar 2012Dieser Text wurde am 18. Februar als Flugblatt auf den Strassen von Zürich verteilt. Gefunden auf linksunten.indymedia.org

Solidarität mit dem sozialen Aufstand in Griechenland!

Griechenland kennt schon seit Jahren keine Ruhe mehr. Spätestens seit den wochenlangen Unruhen im Dezember 2008, deren Auslöser die polizeiliche Ermordung eines Jugendlichen war, hat sich das Pulverfass endgültig entzündet. Seither folgen alle paar Monate massive Strassenkämpfe und landesweite Generalstreiks aufeinander. Die Konfliktbereitschaft gegenüber der Polizei und die zerstörerischen Angriffe auf Institutionen machen deutlich, wie zahlreich, aber vor allem, wie sehr es die Leute satt haben, sich für das Wohl der Reichen und Regierenden durch das Elend schleifen zu lassen.

Vergangenes Wochenende, während das Parlament über eine neue Sparmassnahme entschied, kam es im ganzen Land erneut zu heftigen Unruhen. 48 Gebäude (Banken, Steuerämter, Kommissariate, Einkaufszentren, etc.) wurden dabei niedergebrannt. Dies nur, um einen Eindruck vom Ausmass zu geben. Aber worum es uns hier geht, sind nicht die Fakten, die mehr oder weniger verzerrt auch den Medien zu entnehmen sind. Worum es in diesem Flugblatt gehen soll, ist, wieso wir mit diesem Aufstand Solidarität empfinden, wieso wir ihn, dort wie überall, als Grundbedingung für die Erkämpfung der Freiheit betrachten, und wieso wir, ebenso wie viele Aufständische in Griechenland, Anarchisten sind.

Wieso unsere Solidarität mit diesem Aufstand?

Einmal abgesehen davon, dass es schon eine Anmassung ist, zu erwarten, dass wir unsere Leben von ihren Gesetzen und Befehlen bestimmen lassen, erwarten die Regierenden heute in Griechenland und überall, dass die bereits armen Schichten der Bevölkerung zusätzliche „Opfer“ erbringen und den Gürtel noch enger schnallen, um einem Gesellschaftssystem aus der Krise zu helfen, von dem sie sowieso noch nie viel hatten. Ein grosser Teil der griechischen Bevölkerung hat vergangenes Wochenende entschieden, diese Anmassung nicht länger hinzunehmen. Sie haben sich entschieden, die Regierung und Ausbeutung ihres Lebens nicht länger zu akzeptieren – mit all den Konsequenzen, all den Konfrontationen und Ungewissheiten, die diese Entscheidung bedeutet. Wir empfinden Respekt für den Mut und die Entschlossenheit dieser Leute, die, mit ihren Worten und Taten, auch uns Mut und Entschlossenheit geben. Wir empfinden Solidarität mit ihrem Aufstand, weil wir ihre Wut und Unzufriedenheit gegenüber den bestehenden Zuständen teilen; weil wir in diesem Aufstand auch unser Verlangen nach Selbstbestimmung und Freiheit wiedererkennen. Denn, auch wenn die Gesellschaft hier in der Schweiz vielleicht noch stabiler und reibungsloser wirkt, so beruht sie hier, wie dort, wie praktisch überall, auf genau denselben Prinzipien. Auf dem Befehlen und Gehorchen, dem Ausnutzen und ausgenutzt Werden, der Pflicht und der Aufopferung. Prinzipien, von denen einige wenige auf Kosten der meisten anderen profitieren. Und wir beklagen uns hier nicht, das wir, wie die meisten anderen, nicht unter jenen sind, die profitieren. Andere zu unterwerfen und auszunutzen, widert uns genauso an, wie uns zu unterwerfen und uns ausnutzen zu lassen. Uns geht es darum, dass wir keinen Bock auf diese Prinzipien haben. Wir wollen ein völlig anderes Leben, als das, in das man uns zwängen will. Und die Möglichkeit eines solchen Lebens, eines Lebens ohne Unterwerfung, spüren wir, wenn wir revoltieren. Die Hartnäckigkeit der sozialen Kämpfe in Griechenland hat, unserer Meinung nach, weniger damit zu tun, dass die Regierenden dort besonders korrupt oder ungeschickt herrschen, sondern vielmehr damit, dass immer mehr Menschen, durch ihre Erfahrungen in der Revolte, eben diese Prinzipien, also die Herrschaft an sich in Frage stellen. Es ist vor allem darum, dass wir Solidarität mit diesem Aufstand empfinden.

Wieso den Aufstand als Grundbedingung für die Erkämpfung der Freiheit?

Diese Gesellschaft basiert schon seit Urzeiten auf der Herrschaft, der Autorität. Seit fast ebenso langer Zeit basiert sie auf dem Privateigentum, das heisst, der Unterteilung in Besitzende und Besitzlose, Reiche und Arme. Und die Mächtigen, die Besitzenden, die Reichen, oder wie auch immer man jene nennen möchte, die sich in dieser Gesellschaft Privilegien auf Kosten der anderen herausschlagen, haben immer schon darauf geachtet, diese Privilegien auch zu verteidigen – und zwar mit aller nötigen Gewalt. Sie haben das Militär, die Polizei, die Gefängnisse eingerichtet… Und gerade bei Aufständen haben wir schon immer am deutlichsten gesehen, zu welchen Zwecken diese Einrichtungen dienen. Nicht nur heute, selbstverständlich, und nicht nur in Griechenland oder in Nordafrika und Syrien, fragen sich massenhaft Leute, wieso sie sich ihre Unterdrückung durch eine Minderheit an Privilegierten einfach gefallen lassen sollten. Diese Frage wurde schon zahlreiche Male in der Geschichte der Menschheit gestellt, und ebenso zahlreich waren die blutigen Niederschlagungen der Aufstände dieser allzu neugierigen Menschen, die es immer wieder wagten, das zu hinterfragen, was seit jeher als unantastbar hingestellt wird: das Prinzip der Autorität.

Jene, die in dieser Gesellschaft über die materielle Gewalt verfügen, haben sie schon immer eingesetzt und werden es auch immer tun, um ihre Privilegien zu schützen. Wir glauben nicht, dass sie durch einen langsamen, politischen Prozess der „Bewusstwerdung“ eines Tages freiwillig, zu Gunsten aller, von ihren Privilegien absehen werden. Schliesslich geht es hier nicht um eine reine Vernunftssache. Es geht um Ideen, um eine gewisse Haltung gegenüber dem Leben, die manche teilen mögen, andere nicht. Wir behaupten nicht, dass die Freiheit vernünftiger ist als die Autorität, wir behaupten bloss, dass sie schöner, lebendiger, ergiebiger, freudiger und stolzer ist. Zwischen jenen, die die Freiheit wollen, und jenen, die die Autorität wollen, wird es immer einen Konflikt geben. Solange es Autoritäten gibt, die über unser Leben bestimmen, können wir die Freiheit nur kosten, wenn wir unser Leben ihrem Griff entreissen, wenn wir uns auflehnen. Darum betrachten wir den individuellen und kollektiven Aufstand als Grundbedingung für die Erkämpfung der Freiheit.

Wieso sind wir Anarchisten?

Infolge der Unruhen in Griechenland konnten wir in einigen Medien lesen, wie diese etwas verdutzt feststellten, dass jene, die dort unten vermummt, mit Stöcken und Molotovs bewaffnet, besonders energisch an der Seite der aufständischen Bevölkerung kämpfen, jene, die hier üblicherweise plump als „schwarzer Block“ bezeichnet werden, dort „Anarchisten“ genannt werden. Es scheint den dortigen Medien schwer noch möglich, mit der Reduzierung auf eine blosse Äusserlichkeit zu verhüllen, dass es sich hier um Menschen handelt, die Ideen haben. Und auf diese Ideen möchten wir hier kurz eingehen, selbstverständlich ausschliesslich von unserem eigenen Standpunkt aus.

Wie gesagt basiert diese Gesellschaft seit jeher auf Herrschaft, auf Archie, um das griechische Wort zu benutzen. Die Anarchie wäre demnach die Abwesenheit jeglicher Herrschaft. Wir haben gesehen, wie alle autoritären Gesellschaftsformen, von der faschistischen Diktatur, über die Entartungen des Sozialismus bis zur heutigen demokratischen Warengesellschaft, schon immer die alte Trennung zwischen Reichen und Armen, Befehlenden und Gehorchenden, Privilegierten und Unterdrückten aufrechterhalten haben. Wir aber, als Anarchisten, wollen eine Welt, in der alle die gleiche Freiheit geniessen, in der wir durch Solidarität, gegenseitige Hilfe und Selbstorganisation die unbegrenzte Entfaltung aller Individuen ermöglichen. Jede Form von Autorität, von Regierung, von Einsperrung steht der Möglichkeit einer solchen Welt entgegen, mehr noch, die Tatsache, sie anzuerkennung und zu respektieren stumpft unser Denken soweit ab, dass wir uns gar nichts anderes mehr vorstellen können. Darum wollen wir sie hier und ab heute bekämpfen. Darum lehnen wir es ab, mit dem Staat zu verhandeln oder von ihm zu fordern. Darum lehnen wir die Politik und die „Organisationen“ ab, die auf der Delegation von Entscheidungen beruhen, die die Entwicklung der Eigenständigkeit der Individuen hemmen und somit autoritäre Mechanismen begünstigen. Darum schliessen wir uns lieber spontan, als Gefährten, die den selben Weg teilen, als Freunde, die ähnliche Ideen und Ziele verfolgen, für kurze oder längere Zeit zusammen, um mit unseren eigenen Händen zu kämpfen, um mit beiden Füssen im Leben zu stehen. Wir sind Anarchisten, weil wir einfache Menschen sind, und weil wir die Arroganz und Heuchelei aller möglichen Bosse und Führer satt haben. Wir sind aber auch Anarchisten, weil wir neugierige Menschen sind, weil wir alles entdecken, alles ausprobieren, alles erfahren möchten, was uns die Gesetze, Normen und Sitten heute untersagen – weil wir mehr vom Leben wollen, viel mehr! Wir sind Anarchisten, weil wir die Freiheit lieben und für sie kämpfen wollen, kompromisslos, hier und jetzt.

Auf dass sich das Feuer aus Griechenland weiterverbreitet…

Zürich, 18. Februar 2012

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