Solidaritätskundgebung für Sonja Suder und Christian Gauger in Thessaloniki
Ort der Kundgebung war das Goethe Institut in der Vassilissis Olgas 66. Nach Aussagen der Aktivist_Innen sollte auf den Prozessauftakt gegen Christian Gauger und Sonja Suder am 21. September aufmerksam gemacht werden. Es wurden Flyer verteilt und ein Redebeitrag gehalten. Nach etwa 30 Minuten wurde die Aktion beendet. “Es war sicher nur eine kleine Aktion aber ein schönes Symbol für internationale Solidarität.” so eine der anwesenden Personen.
Sonja und Christian wurden am 14.September 2011 von Frankreich an die deutschen Behörden ausgelifert. Nachdem lange Zeit kein Datum für den Beginn des Verfahrens fest stand, wird Ende dieses Monats, am Landgericht Frankfurt, der Prozess eröffnet. Beide werden beschuldigt mehrere Anschläge der Revolutionären Zellen (RZ) in den 70er Jahren begangen zu haben. Sonja wird zusätzlich die Beteiligung an dem OPEC-Überfall 1975 zur Last gelegt. Grundlage für die Beschuldigung gegen Sonja waren die Aussagen von Hans Joachim Klein. Die Glaubwürdigkeit Kleins in Bezug auf den OPEC-Überfall wurden bereits 2001 bei dem Verfahren gegen Rudolf Schindler in Frage gestellt. Schindler wurde damals durch das Landgericht Frankfurt der Mittäterschaft freigesprochen.Die weiteren Anschuldigungen beruhen auf den Aussagen von Hermann Feiling. In seinem Schoß explodierte 1979 ein Sprengsatz. Er erblindete und seine Beine mussten amputiert werden. In verschiedenen Haftkrankenhäusern wurde er monatelang verhört. Isoliert von seinen Freunden und seinem Anwalt äußerte er sich belastend gegenüber den beiden Beschuldigten. Die Unterstützer_Innen sprechen hier von Folter und Aussageerzwingung.
Sonja sitzt immer noch in Haft. Christian ist schwer krank und wurde gegen Auflagen entlassen. Jede Woche sind 2 Prozesstage angesetzt. Ein mehrjähriger Prozess ist zu erwarten. Die Solikampagne Verdammt Lang Quer informiert unter anderem über die aktuelle Situation und gibt die nächsten Prozesstermine bekannt.
deutschsprachige Übersetzung des Textes des Flugblattes, welches verteilt wurde
Ausgeliefert werden heißt nicht ausgeliefert sein
Am 14. September 2011 wurden Sonja Suder (78) und Christian Gauger (70) an Deutschland ausgeliefert und am selben Tag in Frankfurt-Preungesheim und im Knastkrankenhaus Kassel inhaftiert. Christian wurde in Untersuchungshaft gehalten, obwohl er nach einem wiederbelebten plötzlichen Herztod im Oktober 1997 unter schweren neuropsychologischen Störungen leidet. Erst am 20. Oktober wurde diese für ihn lebensgefährliche Situation beendet. Nach mehreren Interventionen seiner Anwälte wurde er von der Haft verschont. Sonja sitzt bis heute weiter in Untersuchungshaft.
Anschlag gegen MAN
Der Anschlag auf MAN am 22. August 1977 richtete sich gegen die Beihilfe zur Herstellung südafrikanischer Atombomben. MAN exportierte Verdichter für eine Urananreicherungsanlage in Pelindabe in Südafrika. In einem Schreiben der RZ heißt es dazu: “Südafrika als Atomstaat – damit wird ein rassistisches Unterdrückungssystem weiter abgesichert”. MAN ist bis heute im Rüstungsgeschäft aktiv.
Auch der zweite, den beiden vorgeworfene Anschlag richtete sich gegen die Atomindustrie. Die RZ schrieben im August 1977: “Nach unserer Aktion gegen den international geachteten Konzern MAN möchten wir mit der Aktion bei KSB in Frankenthal einen Kandidaten vorstellen, der ganz im Stillen, aber dort im großen Rahmen wirkt”. Die KSB AG ist zu der Zeit der weltweit größte Pumpenhersteller und spielt eine wesentliche Rolle für den Bau von AKWs in aller Welt. Heute schreibt das Unternehmen: “40 Jahre Erfahrung in der Entwicklung von Pumpen und Armaturen für Kernkraftwerke haben KSB zu einem der Weltmarktführer gemacht.”
Anschlag in Heidelberg
Auch eine weitere Tat, die den RZ zugeordnet wird, soll in dem angestrebten Prozess verhandelt werden. Am 18. Mai 1978 wurde auf das Heidelberger Schloss ein Brandanschlag verübt. Die Stadt Heidelberg zerstörte damals viele Gebäude die der Stadtaufwertung im Weg standen. Heute ist das Thema Gentrifizierung wieder Anlass für Protest und Widerstand.
Bei allen drei Vorwürfen stützt sich die Anklage auf vermeintliche Zeugenaussagen von Hermann Feiling. In seinem Schoß explodiert im Sommer 1978 ein Sprengsatz – angeblich für eine RZ-Aktion gegen das Konsulat der seinerzeitigen argentinischen Folterdiktatur bestimmt. Er erblindet und beide Beine werden ihm amputiert. Viereinhalb Monate wird er unter Schmerzen, mit eingeschränkter Wahrnehmungsfähigkeit und fern von Freund_Innen und seinem Anwalt verhört. Er selber sagte über seine Situation: “Ich fühle mich wie eine lächerliche Masse.”
Sonja und der OPEC-Anschlag
Ebenso skandalös, aber auf einer anderen Ebene, ist die Grundlage für eine weitere Beschuldigung gegen Sonja, die zeitlich sehr viel später dazu kam. Ihr wird vorgeworfen, Beihilfe zum Überfall auf die OPEC-Konferenz im Januar 1975 geleistet zu haben. Es handelte sich zwar um keine Aktion der Revolutionären Zellen, aber der Kronzeuge – Hans Joachim Klein – hat sich selber später als RZ-Mitglied bezeichnet. Klein bezichtigte 1999 aufgrund von Fotos mehrere Personen der Mittäterschaft. Einer war Rudolf Schindler, dem deswegen 2001 vor dem Landgericht Frankfurt der Prozess gemacht wurde. Entgegen Kleins Aussagen wurde Schindler jedoch vom Vorwurf der Mittäterschaft freigesprochen. Das Gericht bezweifelte Kleins “Identifizierungssicherheit bei der Lichtbildvorlage”. Klein beschuldigte neben Schindler auch Sonja Suder, “obwohl er diesbezüglich zuvor nie von einer weiteren Frau gesprochen hat”, wie das Gericht schon 2001 befand. Außer dieser fragwürdigen Aussage Kleins hat die Staatsanwaltschaft in Sachen OPEC nichts gegen Sonja vorzubringen.
Flucht und Auslieferung
Im August 1978 bemerkten Sonja und Christian eine Observation und sehen sie als Vorzeichen einer möglichen Verhaftung. Dieser entziehen sie sich durch ihre Flucht nach Frankreich. Erst später erfuhren sie von den gegen sie gerichteten Tatvorwürfen: Anschläge der Revolutionären Zellen gegen deutsche Konzerne. Im Jahr 2000, 22 Jahre nach ihrem Verschwinden, wurden Sonja und Christian in Paris festgenommen. In einem Auslieferungsverfahren stellte ein französisches Gericht jedoch fest, dass die ihnen vorgeworfenen Taten verjährt sind. Für die beiden bedeutete dieses Verfahren auch, dass sie fortan unter ihrer alten Identität ganz legal in Frankreich leben konnten. Doch der deutsche Staat ließ ihnen keine Ruhe. Die Behörden beantragten 2007 einen neuen, “europäischen” Haftbefehl. Diesmal stimmte die französische Justiz zu.
Revolutionäre Zellen/Rote Zora
Die RZ waren eine der Stadtguerillagruppen, die sich Anfang der 1970er Jahre gründeten, um den bewaffneten Kampf in der BRD aufzunehmen. Erstmals traten sie 1973 mit einem Anschlag gegen den US-Konzern ITT in Westberlin in Erscheinung, um auf die Beteiligung des Konzerns an Pinochets Militärputsch in Chile hinzuweisen. 1974 fand im Rahmen der Kampagne für die Abschaffung des § 218 der erste Sprengstoffanschlag der “Frauen der RZ” statt: Ziel war das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Ab 1977 agierten die Frauen eigenständig als Rote Zora.
Ihre Popularität verdankten die RZ/ Rote Zora sicherlich nicht nur ihrem Anspruch, keine Avantgarde-Organisation aufbauen zu wollen, sondern auch der Bandbreite ihrer inhaltlichen Themen und Aktionsformen. Diese reichten vom Fahrscheinfälschen für Fahrpreiskampagnen bis zu Anschlägen gegen für die staatliche Flüchtlingspolitik verantwortliche Institutionen wie das Ausländerzentralregister in Köln. Hauptkennzeichen der Politik der RZ und der Roten Zora war die enge Verbundenheit ihrer Aktivist_innen mit sozialen Bewegungen wie antirassistischen Initiativen noder der Anti-AKW-Bewegung und deren Unterstützung durch militante Aktionen.
Während der Staat internationale Atomgeschäfte bis heute durch Hermesbürgschaften absichert wie im Fall des brasilianischen Atomkraftwerks “Angra 3′′ und während weiter deutsche Konzerne Atomtechnologie in verschiedene Staaten liefern und keiner der verantwortlichen Konzerne für seine Unterstützung der Apartheid in Südafrika zur Verantwortung gezogen wurde, soll den beiden nun auf Grundlage der dürftigen wie skandalösen “Beweise” der Prozess gemacht werden. Am 21.September 2012 beginnt der Prozess gegen die beiden Genoss_Innen. Pro Woche sind zwei Prozesstage angesetzt. Insgesamt wird sich das Verfahren voraussichtlich über mehrere Jahre ziehen.
Beide haben sich geweigert, einen Deal mit der Staatsanwaltschaft einzugehen, beide wollen weiterhin jede Aussage verweigern. In dieser Haltung und beim kommenden Prozess sollten sie deshalb international Unterstützung erfahren – sorgen wir dafür, dass sie sich nicht ausgeliefert fühlen!
*Nach einem Artikel in der Anti-Atom-Aktuell (Nr. 220/November 2011)