Soziale Netzwerke bringen Ärger für Zeugen, Spitzel und Informanten
Internationale Polizeichefs beraten über Nutzung “moderner Technologien”. EU fordert “proaktive Einbeziehung” der Sicherheitsindustrie
Informationsgeber an Polizeibehörden müssen zukünftig verstärkt mit ihrer Enttarnung rechnen. Das wurde auf einer Konferenz hochrangiger Polizeichefs deutlich, die vorletzte Woche von der EU-Polizeiagentur EUROPOL in Den Haag ausgerichtet worden war.
Neben den Informanten, die mit oder ohne Bezahlung Hinweise an Sicherheitsbehörden geben, sind hiervon aber auch Personen in Zeugenschutzprogrammen betroffen. Ein Direktor des Bundeskriminalamtes (BKA) ermunterte die Teilnehmer der Konferenz zu mehr “Technologiebeobachtung”.
Die diesjährige “European Police Chiefs Convention” (EPCC) stand unter Leitung der litauischen Ratspräsidentschaft. Mehr als 200 Polizeichefs, aber auch Akademiker hatten sich nach Angaben von EUROPOL nach Den Haag aufgemacht. Die Konferenz wurde von Polizisten aller EU-Mitgliedstaaten sowie allen polizeilichen und juristischen EU-Agenturen besucht. Jedoch war die Zusammenkunft wie üblich international ausgelegt: Delegierte kamen aus 41 Ländern, darunter Kolumbien, Island, Israel, Australien, Kanada, Mexiko, Russland, die USA und die Türkei. Auch die internationale Polizeiorganisation Interpol war zugegen.
Auf der Tagesordnung standen Theorien zur Führung von Polizeibehörden, “moderne Technologien”, die Geheimhaltung der Identität von Zeugen und Informanten sowie Datenschutz. Das zweitägige Treffen hatten vier Arbeitsgruppen vorbereitet, von denen die Themen aufbereitet und vorgestellt wurden.
Mehr Geld für Spitzel
Eine der Arbeitsgruppen widmete sich “Zeugenschutz und Führung von Informanten”. Dabei ging es unter anderem um die Verbreitung biometrischer Verfahren, wodurch mit anderer Identität ausgestatteten Zeugen oder Spitzel gefährdet werden könnten. Zu den Risiken gehört die Bildersuche im Internet: Wenn die betreffenden Personen in ihrem “alten Leben” Soziale Medien nutzten, können sie dort unter ihren Klarnamen, aber auch zusammen mit Freunden und Familien gefunden werden. Vor allem der Dienst Google+ ist den Polizeibehörden ein Dorn im Auge.
Ähnliches war bereits vor zwei Jahren in einer Studie der australischen Polizei öffentlich gemacht worden. Ein Großteil der befragten Polizistinnen und Polizisten gab an, Soziale Netzwerke zu nutzen. Viele haben bereits erlebt, dass andere User Fotos von ihnen ins Netz stellen. Dadurch seien sie, aber auch Angehörige und Freunde, identifizierbar (“Qualitätssicherung” für internationale verdeckte Ermittlungen).
Ärger droht aber auch an großen, internationalen Flughäfen: Denn wenn Spitzel falsche Pässe nutzen, könnten sie bei einer Überprüfung an der Grenze anhand ihrer Fingerabdrücke auffliegen. Die in- und ausländischen Grenzbeamten müssten deshalb vor jeder Ein- und Ausreise unterrichtet werden – ein zeitraubender und fehleranfälliger Vorgang. Das Problem verstärkt sich, da polizeiliche Spitzel viel lieber grenzüberschreitend fliegen als mit dem Auto zu fahren. Denn für jede Durchreise eines Landes muss bei der dortigen Polizei zuvor eine Genehmigung beantragt werden.
EUROPOL hat nun unter dem Namen “High Risk Informant Database” eine Datensammlung für V-Leute errichtet, in der Spitzel sowie ihre polizeilichen Führungspersonen codiert geführt werden. Alle EU-Mitgliedstaaten sind aufgerufen, diese verstärkt zu nutzen.
In Den Haag ging es auch ums Geld: Denn das Führen privater Informanten ist mitunter kostspielig. Hier soll ein Punktesystem helfen, das einheitliche Kriterien für die Entlohnung festlegen soll. Gleichzeitig werden ergänzende Finanzierungsmöglichkeiten gesucht.
Die europäischen Polizeichefs beschäftigten sich bereits unter deutscher EU-Präsidentschaft 2007 mit dem grenzüberschreitenden Einsatz von Spitzeln. In der letzten Sitzung unter deutscher Leitung hatte der Rat eine Entschließung zum vereinfachten grenzüberschreitenden Einsatz von Verdeckten Ermittlern verabschiedet (Grenzüberschreitende Spitzel).
BKA-Direktor wirbt für “Technologie-Beobachtungsstelle”
Die “European Police Chiefs Convention” widmete sich auch der Nutzung neuer Technologien. Hierzu hielt der für den Bereich “Internationale Koordinierung” zuständige BKA-Direktor Michael Niemeier das Einführungsreferat. Das BKA hatte zuvor eine entsprechende Arbeitsgruppe geleitet, weitere “Experten” kamen aus Österreich, Belgien, Frankreich, Polen, Großbritannien und den Niederlanden. Auch Interpol, die nächstes Jahr in Singapur einen riesigen Ableger zur Bekämpfung von “Cyberkriminalität” eröffnet, war an der Arbeitsgruppe beteiligt (Interpol sucht “langhaarige Geeks”).
Niemeier warb für eine “technologie-orientierte Vorausschau” von Polizeibehörden und die Nutzung neuer, intelligenter Lösungen. Zu den Empfehlungen der Konferenz gehört, existierende Zusammenarbeitsformen in diesem Bereich auszubauen und verstärkt zu nutzen. Verwiesen wurde insbesondere auf digitale Kommunikation, deren Ausforschung nicht nur speziellen Einheiten überlassen werden dürfe.
Erst kürzlich hat die Europäische Union die Einrichtung einer “Technologie-Beobachtungsstelle” für die Polizeibehörden ihrer Mitgliedstaaten beschlossen. Damit erhält das seit 2008 existierende “Europäische Netz technischer Dienste für die Strafverfolgung” (ENLETS) mehr Kompetenzen. Zu dessen Aufgaben gehört nun die Koordination bei der Einführung neuer Technologien.
Zukünftig soll ENLETS jährlich den Bedarf der polizeilichen “Endnutzer” abfragen. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf “innovativen Ideen” – gemeint sind weitreichende Kontrolltechnologien.
“Big Data”, Drohnen, Videoüberwachung
Polen regt beispielsweise Forschungen zur elektronischen Überwachung mit Richtmikrofonen an. Die Tschechische Republik will automatische Systeme zur Nummernschilderkennung von Fahrzeugen EU-weit vereinheitlichen und die phonetische Suche in Polizeidatenbanken verbessern. Zu den Wünschen aus Prag gehört auch die Auswertung der Videoüberwachung zur Suche nach Personen in Echtzeit. Großbritannien setzt sich für mehr Technologien zum ferngesteuerten Kontrollieren von Fahrzeugen ein. Schweden möchte mehr polizeiliche Drohnen einsetzen.
Rumänien wünscht sich mehr Fähigkeiten zur Auswertung öffentlich zugänglicher Information im Internet und deren Auswertung in polizeilichen Lagezentren. Von besonderem Interesse sind aber Technologien zur Analyse von Massendaten (“Big Data”): In diese Richtung geht ein Vorschlag der britischen Polizei, die sich mehr Werkzeuge zum Auslesen und Verarbeiten von Daten verschiedener, digitaler Quellen wünscht. Genannt werden “Computer, Telefone, Soziale Medien etc.”
Zur Kerngruppe der neuen “Technologie-Beobachtungsstelle” gehören Frankreich, Belgien, Griechenland, Zypern, die Niederlande, Polen, Finnland und Großbritannien. Als deutsche “Nationale Kontaktstelle” fungiert das Polizeitechnische Institut (PTI) an der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster. Das PTI ist dort zuständig für die Bewertung und Zertifizierung neuer Technologien, darunter Reizstoffe, Schlagstöcke oder Taser (dort als “Elektroimpulsgeräte” bezeichnet). Alle zwei Jahre richtet das Institut in Münster die Verkaufsmesse IPOMEX aus. Zu den Ausstellern gehören Ausrüster von Militärs, Polizeibehörden und Geheimdiensten.
Industriekontakte besonders gelobt
In den erlassenen Schlussfolgerungen des Rats zur Aufwertung von ENLETS werden derartige Industriekontakte besonders gelobt. Gefordert wird sogar eine zukünftig “proaktive Einbeziehung der Anbieter moderner Sicherheitstechnologien” in die polizeiliche Strategieplanung.
Letztes Jahr kam heraus, dass private Firmen auch an einem heimlichen Spitzel-Netzwerk beteiligt sind (Spitzel und Sicherheitsindustrie in geheimer Arbeitsgruppe organisiert). Dabei handelt es sich wohl um Anbieter miniaturisierter Mikrofone, Kameras oder Freisprecheinrichtungen. Seit 2007 trifft sich hierzu eine “International Working Group on Police Undercover Activities”.
Das Netzwerk setzt sich wie die “European Police Chiefs Convention” aus internationalen Polizeibehörden zusammen. Aus Deutschland sind das Bundeskriminalamt und das Zollkriminalamt beteiligt. Die deutschen Behörden hatten dort unter anderem über die Folgen der Enttarnung der Spitzel Mark Kennedy und Simon Bromma berichtet, von denen nun auch Fotos im Internet kursieren (Spitzel aller Länder).
Matthias Monroy