Thomas Meyer-Falk: 2 Tote in 2 Tagen in Freiburgs Knast
Nicht umsonst wird die Sicherungsverwahrung im Gefängnisjargon „Totenstation“ genannt: am 19.01.2014 starb dort Mario. Und am Tag zuvor starb in der Jugendabteilung, in einem Anbau zur SV-Anstalt, ein Jugendlicher durch Suizid.
Der Abend des 19.01.2014
Noch wenige Stunden zuvor spielten D., Mario und ich Skat im Gruppenraum der Station 2. Als ich später, um auf dem Gemeinschaftsfernseher „defacto“ (HR) anzusehen, wieder in den Raum kam, lag Mario etwas schräg auf der Couch, aber da er dort manchmal schlief, dachte ich mir nichts weiter, setzte mich in mein gewohntes Eck der Couch, streckte mich aus und zappte durch die Programme. Nebenbei hörte ich, wie der Dienst habende Beamte, Obersekretär D. (manchen vielleicht noch aus der „Nikolaus-Affäre“ bekannt) lautstark ein Privattelefonat führte und über Kindertische und bunte Kinderstühle debattierte. Er schaute sich vom Dienstrechner aus im Internet surfend solche an und dirigierte sein Gegenpart am Telefon durch die Internetseite. Als D. gegen 18.30 Uhr Dienstende hatte, schaute er nur beiläufig in den Gruppenraum, grüßte und entschwand.
Ich saß weiter neben Mario. Bis dann S. in den Raum kam; er war früher mal Bestatter von Beruf. Da der Humor im Gefängnis oftmals recht herb und schwarz ist, unkte ich, dass Mario ja einen recht stabilen Schlaf habe, ihn nichts zu stören scheine. Aus Spaß starrten wir dann auf Marios Brust, um zu sehen, ob sie sich bewegt. Aber aus Spaß wurde schnell Ernst, denn es bewegte sich nichts. S. schaute, ob er Atem spürte. Danach tasteten wir nach einem Puls und stupsten Mario an. Keine Reaktion. Der mittlerweile Dienst tuende Beamte, Obersekretär L. wurde angesprochen, und ziemlich aufgewühlt und aufgeregt schrie er in sein Funkgerät, dass sofort ein „Sani kommen“ möge. S. kommentierte das trocken mit: „Dem hilft kein Sani mehr!“ Binnen weniger Sekunden waren diverse WärterInnen vor Ort und alle auf Station 2 wurden weggeschlossen.
Man konnte dann durch das Fenster noch das Piepsen eines Defibrilators hören – aber alle Mühen waren vergeblich. Die Aufregung von Obersekretär L. dürfte auch damit zu tun gehabt haben, dass er bei Dienstantritt auch in den Gruppenraum schaute (wie zuvor sein Kollege D.) und ebenso freundlich grüßte, dabei gleichfalls den scheinbar schlafenden Mario auf der Couch sah. Wie man jetzt weiß, war er da aber schon tot.
Wer war Mario?
Beliebt war er nicht. Obwohl man über Tote nichts Schlechtes sagen soll, so muss man dennoch nicht lügen. Er hatte eine sehr direkte, manchmal auch böse Art, anderen Menschen Wahrheiten direkt ins Gesicht zu sagen. Selbst wegen eines Sexualdelikts in Sicherungsverwahrung, sportlich, Anfang 50, die „BILD-Zeitung“ der SV-Anstalt. Noch Anfang 2013 kam er in Isolationshaft, denn in Zelle 135 (in der ich jetzt diese Zeilen schreibe) starb damals ein Mitverwahrter und Mario nahm das zum Anlass für mutige und lautstarke Auftritte im Gefängnishof: bezeichnete die Beamten als Mörder. Zitierte Menschenrechtsdeklarationen. Nach Ansicht der Anstalt hetzte er damit andere Verwahrte auf. Für 2014 prophezeite Mario mindestens 5 weitere Tote.
Eine makabere Pointe, die da das Leben schrieb: Mario, der selbst Wärtern vorhersagte, dass er sie alle überleben werde, zumal er sich so gesund ernähre und lebe, starb als erster.
Ein wenig kokettierte Mario immer damit, dass er den Großteil seines Taschengeldes an die Kindernothilfe und auch sein Tatopfer überwies, dass jedoch die Justiz diesen „Täter-Opfer-Ausgleich“ nicht ernst nehme. Wenn er jedoch etwas übrig hatte, teilte er das immer, insbesondere mit jenen, die noch weniger hatten als er.
Neben seiner für alle Seiten durchaus nervigen Art, hatte er insoweit eine soziale Ader. In den Abendstunden des 19.01.2014 tönten erste Rufe über den Hof der SV: Mörder! Mörder!“ in Bezug auf die Justiz. An anderer Stelle schrieb ich, es sei wahrscheinlicher, dass die Verwahrten hier drinnen stürben, anstatt lebend die Anstalt zu verlassen.
Das Sterben in der SV hat nie aufgehört, mit Mario ist ein weiterer Verwahrter im Knast gestorben. Sein Tod wird zum Menetekel, insbesondere für jene, die jetzt schon gesundheitlich sehr angeschlagen sind: Verwahrte mit extremem Übergewicht, Herzinfarkten, Schlaganfällen, Beinamputationen, denn Mario war sportlich, energiegeladen und jeden Tag im Hof unterwegs. Oftmals als einziger von rund 50 Verwahrten.
Suizid im Jugendbau
Noch Stunden vor seinem eigenen Tod sprach mich Mario in der ihm eigenen drängenden Art auf einen Suizid an. Am Samstag habe sich im Jugendbau, der nur ein paar Gangtüren von der SV entfernt ist, ein Jugendlicher umgebracht, ob ich denn darüber nicht berichten wolle. Er werde mir weitere Informationen besorgen.
Nähere Informationen konnte Mario nicht mehr einholen.
Interessant mag noch sein, dass bis 2012 im jetzigen SV-Bau die jugendlichen Gefangenen einsaßen. Man verlegte sie in den Altbau, in enge, schäbige abgewohnte Zellen. Die Fenster hoch droben, nur kaltes Wasser in der Zelle, das WC im Zelleneck. Keine anständigen Schulungs- oder Freizeiträume. Zuvor, in der jetzt von der Sicherungsverwahrung belegten Abteilung, hatten sie fließend warmes Wasser in der Zelle, das WC war baulich abgetrennt, die Fenster schön groß und auf Hüfthöhe. Sie litten sehr, als man sie in den Altbau verlegte, nur ein paar Verbindungstüren weiter.
Sinnigerweise teilen sich noch heute Jugendliche und Sicherungsverwahrung die Sozialarbeiterin B., denn zu 50% Stellenanteil ist diese im Jugendbau aktiv und zu 50% in der SV.
Ausblick
Hauptsekretär H., träge dreinblickend, beschied mich um kurz nach 20 Uhr, am Sonntag, also einige Zeit nach Auffinden der Leiche von Mario, durch eine kleine Luke in der Zellentüre, ich möge mich „überraschen lassen“, ob heute nochmal die Zelle aufgehe oder nicht. Die Zelle ging tatsächlich gegen 21 Uhr kurz auf, aber nur weil zwei Kripo-Beamte wissen wollten, wie sich die Auffindesituation gestaltet hatte.
Das Jahr ist noch jung: ein Verwahrter, E., liegt im Vollzugskrankenhaus nach einer Herz-OP. K. liegt auch dort, nämlich auf dem Hohenasperg bei Stuttgart, weil ihm ein Unterschenkel amputiert werden musste. Dann starb am 18.01. jener Jugendliche durch Suizid und nun am 19.01.2014 Mario H., augenscheinlich eines natürlichen Todes.
Das „Totenhaus“ Sicherungsverwahrung macht seinem Namen auf makabere Weise „Ehre“.
Thomas Meyer-Falk
c/o JVA (Sicherungsverwahrung)
Hermann-Herder-Str. 8
D-79104 Freiburg
www.freedom-for-thomas.de
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