Thomas Meyer-Falk: Nachrichten aus dem Strafvollzug – August 2009
Im folgenden berichte ich zum einen über das Therapiekonzept des Justizvollzugskrankenhauses Hohenasperg (Baden-Württemberg) für Drogenabhängige (1.), im weiteren über den im Juni 2009 im Düsseldorfer Landtag vorgestellten Jahresbericht des Ombudsmanns für den Justizvollzug in NRW (2.) und schließe mit einem Beispiel aus dem kafkaesken Vollzugsalltag unter dem Stichwort Styropor-Kuchenring-Affäre (3.).
1.) Therapiekonzept
Drogenabhängige Gefangene in Baden-Württemberg können auf dem Hohenasperg (bei Stuttgart gelegen) eine entsprechende Therapie erhalten. Sie leben in Mehrmannzellen und haben sich dem Therapiekonzept der Anstalt zu unterwerfen. Der Therapieverlauf wird von einem so genannten „Phasenmodell“ bestimmt, d.h. nach der Beobachtungsphase von etwa einem Monat folgt die Zugangsphase (Dauer 3 Monate) und hieran anschließend die Beobachtungsphase (Dauer 8 Monate), wobei nach letzterer Phase eine Entlassvorbereitung einsetzen sollte.
Grundlage für die tägliche Arbeit mit den Gefangenen ist eine „Interventionssystem“ genannte Methodik. In dem Papier der Anstalt (Station: PS IV, Stand: 02.07.2009) heißt es wörtlich: „Das Interventionssystem beruht auf dem Verständnis des selbstbestimmten und ressourcenorientierten Handelns und Verhaltens des Patienten. Sie sollen durch die regelmäßige Rückmeldung ihres Verhaltens (in Form von Punkten) zu positiven Verhaltensänderungen ermutigt werden.“
Was hat es mit den „Punkten“ auf sich? Insgesamt gibt es fünf „Kriterienlisten“: Therapie-Checkliste, HOSS (=Hygiene, Ordnung, Sauberkeit, Sicherheit), Sport-Liste, Kommunikations-Liste und Lockerungs-Liste. Wer nun von einer Phase (siehe oben) in die nächste Phase aufrücken oder später Vollzugslockerungen erhalten möchte, der benötigt eine bestimmte Mindestpunkte-Zahl.
Hinsichtlich der HOSS-Liste kontrollieren die Wärter an 7 (!) Tagen der Woche Bett, Schrank, Nachttisch, Kühlfach, Sauberkeit, etc. und machen – Zitat – „Häkchen“ in einer Liste, wenn sie meinen, alles sei in Ordnung. 49 „Häkchen“ können pro Woche ergattert werden. Zwischen 45 und 49 „Häkchen“ gibt es am Ende der Woche einen Punkt, zwischen 40 und 45 gibt es keinen, bei unter 40 Häkchen erfolgt ein Punkteabzug und Nacharbeit.
Für fast jede Lebensäußerung innerhalb der Therapie gibt es Punkte, Häkchen oder entsprechenden Punkteabzug. Für „korrekte Sportkleidung“ ebenso wie für „Wortwahl“, „aktives Zuhören“ und „respektvollen Umgang“.
Wer in der Behandlungsphase die Grenze von 110 Punkten unterschreitet, erhält keine Vollzugslockerungen, da in diesem Fall nicht mehr „mit gebotener Sicherheit das Vorliegen einer Flucht- und Missbrauchsgefahr ausgeschlossen werden könne“. Wer also sein Bett nicht oft genug ordentlich macht oder zum Sport nicht in „angemessener“ Kleidung erscheint, dem werden in letzter Konsequenz Vollzugslockerungen verwehrt. Eine juristisch zumindest kreativ zu nennende Auffassung und Praxis – aber wo kein Kläger, da kein Richter. Ob es zudem psychologisch Sinn macht, die Gefangenen regelrecht dazu abzurichten, sich „Häkchen“ und „Punkte“ durch Anpassungsverhalten zu verdienen, scheint zumindest fraglich.
2.) Jahresbericht des Ombudsmanns NRW
Seit 2007, in Folge eines Mordes an einem Gefangenen in der JVA Siegburg, gibt es in Nordrhein-Westfalen einen Ombudsmann für den Justizvollzug. Seit 2007 wird dieses Amt von dem ehemaligen Direktor am Amtsgericht Rolf Söhnchen bekleidet.
In seinem 74-seitigen Bericht für den Zeitraum März 2008 bis März 2009 widmet Söhnchen sich ausgiebig den Problemen des Vollzugspersonals, angefangen bei hohen Krankenständen, geringer Wertschätzung ihrer Arbeit oder deren Klagen über die lange Dauer von Versetzungsgesuchen, und dann auch den Problemen und Themen, welche Inhaftierte oder deren Angehörige beschäftigen.
In einer Sitzung des Rechtsausschusses des Landtags in Düsseldorf vom 17. Juni 2009 (Ausschussprotokoll 14/908, Seite 4ff) gab Söhnchen seine Einschätzung über Gefangene wie folgt zu Protokoll:
„Gegen ihn selbst laufe ein Prozess, weil er einen Gefangenen genötigt haben solle. Er wisse, wovon er rede. Deshalb wolle er dem ein oder anderen in Erinnerung rufen (…), dass die Gefangenen es mit ihrer Wahrheitsliebe nicht sehr genau nähmen“.
Diese pauschalisierende Diffamierung der Gefangenen ist bezeichnend und sagt viel über die Einstellung des Ombudsmanns aus.
Während des Berichtzeitraums habe er mit 529 Bediensteten und 383 Gefangenen gesprochen (Jahresbericht, a.a.O., Seite 9). 57 Bedienstete hätten ihn zudem angeschrieben und von Gefangenen seien 873 Eingaben, sowie von Angehörigen 36 Eingaben zu verzeichnen gewesen. Die größte Zahl an Eingaben, so ist dem Bericht (a.a.O., Seite 10) zu entnehmen, kam aus der JVA Duisburg-Hamborn (151), danach folgte Geldern (69), Gelsenkirchen (55), sowie Bochum und Kleve mit je 49 Eingaben. Auf den Seiten 20-22 schlüsselt Söhnchen die Anliegen im Einzelnen auf. Die größte Zahl an Eingaben (69) erfolgte zur Problematik der Verlegung in den Offenen Vollzug, auf Platz 2 folgten Probleme mit Bediensteten (48) und ein Zuwenig an Vollzugslockerungen (42 Eingaben).
In Teil V und VI seines Berichtes geht der Ombudsmann auf insgesamt 43 Problembereiche zumindest etwas näher ein. Ob nun das Problem der Genehmigung einer Playstation II (wird weiterhin vom Justizministerium aus Sicherheitsgründen abgelehnt, was aber selbst dem Ombudsmann sachlich nicht wirklich nachvollziehbar erscheinen mag), der Frage der Eingangsbestätigung von Gefangenenanträgen und der für sie eingehenden Post oder Auswirkungen der vor einiger Zeit eingeführten zusätzlichen Prüfungsstufe vor der Gewährung von Vollzugslockerungen.
Mittlerweile soll es wohl eine Weisung des Justizministeriums geben, wonach die Jahresberichte in den Anstaltsbibliotheken zur Entleihe für die Gefangenen bereit zu halten seien.
Von 27 Anstaltsleitern hatten immerhin 10 „Bedenken“ gegen eine Auslegung des Berichts, denn schließlich gingen die Gefangenen die in den Berichten geschilderten Probleme der Bediensteten nichts an (a.a.O., S. 49).
Wer sich mit der Materie Strafvollzug beschäftigen möchte, erhält durch den Bericht zumindest einen ersten Einblick, wenn dieser jedoch auch mitunter etwas einseitig gerät, was aber nicht überrascht, wenn man bedenkt, dass dessen Autor ehemaliger Direktor eines Amtsgerichts und mithin von Hause aus sehr justiznah ist.
3.) Styropor-Tortenring-Affäre
Wer kennt sie nicht, die Styropor-Tortenringe von Tiefkühltorten?
Seit Urzeiten könne sich Gefangene in Bruchsal zweimal im Monat von ihrem Verdienst Lebensmittel kaufen, und eben auch Tiefkühltorten. Gefangener Gerd T. behielt einen solchen Styropor-Tortenring in seiner Zelle, da er diesen gut gebrauchen konnte, um sich aus Fertigtortenboden selbst einen Kuchen zu machen. Eines Tages gefiel es dem Wärter, den Tortenring an sich zu nehmen und als „Müll“ zu entsorgen – und ohne Gerd T. zuvor zu befragen. Dieser wandte sich an das Gericht und dieses gab ihm vollumfänglich recht (LG Karlsruhe, 151 StVK 27/09, 08.07.2009). Die Entnahme und Entsorgung war, so die Kammer „rechtswidrig“.
Wie sah nun die Reaktion der Anstaltsleitung aus? Sie entschuldigte sich bei dem Gefangenen T.?? Aber nein! Ähnlich einem trotzigen Kind, das aufstampft, wenn Vater mit ihm schimpft, nutzte die Anstalt, bzw. das zuständige Personal seine Macht und verbot kurzerhand den Kauf der besagten Tiefkühltorten für die Zukunft und setzt so ihre Vorstellung auf diesem Wege durch.
Thomas Meyer-Falk
c/o JVA – Z. 3113
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