Thomas Meyer-Falk: Repression durch Große Koalition
In den mehrere Monate dauernden Koalitionsverhandlungen von CDU/CSU und SPD im Bund wurde auch beschlossen die „Therapieunterbringung“, sowie die polizeiliche Dauerüberwachung auszubauen.
Therapieunterbringung
Unter Ziffer 5.1. des Koalitionsvertrages (auf S. 145) heißt es, man wolle „zum Schutz der Bevölkerung vor höchstgefährlichen, psychisch gestörten Gewalt- und Sexualstraftätern“ die Möglichkeit der nachträglichen Therapieunterbringung schaffen.
Das bisher gültige ThUG (Therapieunterbringungsgesetz) wurde im Eilverfahren als Antwort auf mehrere Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte geschaffen. Der EGMR stellte fest, die BRD habe die Menschenrechtskonvention verletzt, als sie zum einen die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung einführte, aber auch, als sie zum anderen rückwirkend die bis dato auf 10 Jahre begrenzte (erste) Unterbringung in der SV faktisch auf „lebenslang“ verlängerte.
In Folge der Urteile aus Strasbourg kamen dutzende Verwahrte auf freien Fuß. Um angesichts der Medien, die einige der Entlassenen auf Schritt und Tritt verfolgten, so dass der Mob vor deren Wohnungen aufzog (exemplarisch die Vorgänge in Insel), solche Freilassungen künftig zu vereiteln, wurde vom Bundestag ein Gesetz beschlossen, welches die weitere Inhaftierung ermöglicht, sofern auf Grund eines Urteils des EGMR feststeht, dass die bisherige Inhaftierung menschenrechtswidrig ist.
Da im Zuge einer Reform des Rechts der Sicherungsverwahrung zumindest teilweise die nachträgliche SV abgeschafft wurde, will nun der Gesetzgeber das ThUG ausweiten, und damit die vom EGMR für menschenrechtswidrig erklärte nachträgliche Verhängung der Sicherungsverwahrung unter neuem Namen wieder einführen.
Hiergegen formiert sich Widerstand aus der Fachwelt. 39 ProfessorInnen, AnwältInnen [auch Richter und ein Staatsanwalt], SozialarbeiterInnen und ein Pfarrer lehnen mit Nachdruck diese Pläne ab. In ihrem Offenen Brief vom 30. November 2013 bringen sie ihre zehn zentralen Kritikpunkte vor: die Pläne der Koalition seien unter anderem evident menschenrechtswidrig, es sei auch gar nicht möglich, zuverlässig zu entscheiden, wer tatsächlich „gefährlich“ und wer „ungefährlich“ sei. Die nachträgliche Unterbringung würde durch die Haft bedingte psychische Schäden durch weitere Freiheitsentziehung bestrafen, das Klima in den Gefängnissen würde sich (weiter) verschlechtern. Außerdem würden psychisch Kranke stigmatisiert, da hier ein Missbrauch der Psychiatrie erfolge, da psychische Krankheit mit Gefährlichkeit gleichgesetzt werde.
Polizeiliche Dauerüberwachung
Weiter heißt es im Koalitionsvertrag: „Die längerfristige Observation von entlassenen Sicherungsverwahrten stellen wir auf eine gesetzliche Grundlage“.
Durch die schon oben erwähnte Freilassung zahlreicher Sicherungsverwahrter sahen sich einige Landeskriminalämter und Ortspolizeibehörden veranlasst, einige der Ex-Verwahrten rund-um-die-Uhr von jeweils bis zu fünf PolizistInnen bewachen zu lassen, auf Schritt und Tritt. Die damit einhergehenden psychischen Belastungen habe ich anderer Stelle näher skizziert. Nach einer von dem Betroffenen selbst erkämpften Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erklärte schließlich das Verwaltungsgericht Freiburg diese Form der Dauerüberwachung für rechtswidrig.
Denn das BVerfG hatte eine gesetzliche Grundlage für diese intensiv in die Grundrechtsposition eines Menschen eingreifende Dauerbewachung gefordert und nur für eine Übergangszeit die Generalklauseln in den Polizeigesetzen für (noch) ausreichend angesehen.
D.h. die „GroKo“ in Berlin möchte nunmehr die 24-Stunden-Bewachung von freien BürgerInnen legalisieren. Als einziger Rückzugsraum bleibt einem/einer Betroffenen nur das eigene Zimmer. Sobald man sich dann außerhalb des Raumes aufhält, folgen die PolizeibeamtInnen einem auf Schritt und Tritt, teilweise fast auf Tuchfühlung, ggf. über Jahre (wie in dem oben beschriebenen Fall, in dem dann erst das VG dem Spuk ein Ende setzte). Wie ein Mensch, auf diese Weise stigmatisiert, sich wieder in Freiheit einleben können soll, bleibt Geheimnis der Koalition.
Bewertung
Für Gefangene und Verwahrte bedeutet die Koalitionsvereinbarung weitere Unsicherheit und weitere Verschärfungen ihrer Lebensbedingungen. Die Freiheit jemals wiederzuerlangen, wenn man einmal als „gefährlich“ abgestempelt ist, und das geht leichter, als Viele sich vorstellen können, wird immer unwahrscheinlicher. Den Gefängnisleitungen wird mit einer Einführung einer nachträglich zu verhängenden Therapieunterbringung, welche, dies nur am Rande, nach einer Gesetzesreform in den Sicherungsverwahrungsanstalten vollstreckt wird, ein praktisches Zuchtmittel an die Hand gegeben: sie können damit drohen, bei unliebsamem Verhalten für eine entsprechende Antragstellung zu sorgen, mit der potentiellen Gefahr lebenslanger Freiheitsentziehung.
Strafgefangene, die bereit sind, sich innerhalb des Vollzuges einer Therapie zu unterziehen, werden es sich drei Mal überlegen, ob sie sich gegenüber TherapeutInnen öffnen, denn diese sind verpflichtet alle prognoserelevanten Informationen weiterzugeben, so dass die therapeutisch gewonnenen Informationen letztlich auch zur Verhängung der nachträglichen Therapieunterbringung führen können, nämlich dann, wenn diese für eine „psychische Störung“ und „Gefährlichkeit“ sprechen.
Rechtsanwältin Anette Scharfenberg aus Südbaden und Fachanwältin für Strafrecht beklagte, der Gesetzgeber gebe einfach keine Ruhe und die Pläne der Koalition würden auf alle Fälle nichts Gutes bedeuten.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Thomas Meyer-Falk
c/o JVA (Sicherungsverwahrung)
Hermann-Herder-Str. 8
D-79104 Freiburg
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