Thomas Meyer-Falk: „Therapievollzug“ in Bruchsal
Seit dem 04. Mai 2011, als das Bundesverfassungsgericht in einem spektakulären Urteil die Sicherungsverwahrung als verfassungswidrig einstufte, steht PolitikerInnen und VollzugsjuristInnen der Angstschweiß auf der Stirn. Angst davor, dass auf Grund ihrer Fehlleistungen einige hundert als „besonders gefährlich“ klassifizierte Gefangene und Verwahrte auf freien Fuß kommen könnten.
Bisherige SV-Praxis
Sicherungsverwahrung (§§ 66 ff Strafgesetzbuch) ist seit dem „Gewohnheitsverbrecher-Gesetz“ vom 24.11.1933 Bestandteil des deutschen Strafrechts und ermöglicht Gefangene, von denen gemutmaßt wird, sie könnten erneut straffällig werden, auch über das eigentliche Strafende hinaus in Haft zu halten. Bislang war es üblich, dass bei Strafgefangenen mit für den Anschluss vorgemerkter Sicherungsverwahrung während der Strafhaft fast derselbe Verwahrvollzug praktiziert wurde wie später in der Sicherungsverwahrung. Man überließ sie sich selbst und sie saßen ihre Strafe ab, weitestgehend ohne nennenswerte „behandlerische Maßnahmen“ und kamen dann in die Sicherungsverwahrung, wo dann wenig mehr mit ihnen veranstaltet wurde. Nach spätestens 10 Jahren in der SV musste man sie freilassen, so die Rechtslage bis 1998.
Seinerzeit wurde die 10-Jahresfrist durch eine potentiell lebenslange Verwahrdauer ersetzt. Schon damals wiesen namhafte Vollzugsexperten auf die Bedenklichkeit dieser gesetzgeberischen Entscheidung hin.
Und so mokierte in einem ersten Urteil 2004 das Bundesverfassungsgericht den faktischen Verwahrvollzug, ohne jedoch mit seiner Kritik im Vollzugsalltag Veränderungen hervorzurufen.
Erst nach dem Urteil vom 04. Mai 2011 brach hektische Betriebsamkeit aus, denn das Gericht genehmigte den Gerichten und Behörden nur einen Übergangszeitraum bis 31. Mai 2013; sollten bis dorthin die Landes- und der Bundesgesetzgeber keine verfassungskonformen Vollzugsbedingungen schaffen, wären zwangsläufig alle Verwahrten (zur Zeit ca. 450) freizulassen und niemand dürfte zur Sicherungsverwahrung verurteilt werden. Die entsprechenden BILD-Schlagzeilen und RTL-Explosiv-Nachrichten wollte sich offenbar keiner aus Politik und Justiz wirklich vorstellen.
Hektik in der JVA Bruchsal
Spürten die Gefangenen in Bruchsal, hier wird für Baden-Württemberg die vor Antritt der Sicherungsverwahrung zu verbüßende Freiheitsstrafe vollstreckt (die SV selbst wird dann in der JVA Freiburg abgesessen), 2011 noch keine Veränderungen, nahm Ende 2012 und Anfang 2013 der Zug an Fahrt auf: nahezu alle Gefangenen mit SV, wie man im Gefängnisjargon so sagt, „auf dem Buckel“, mussten in den 4. Flügel (einen der insgesamt 5 Haftbereiche der Anstalt) umziehen. Im Unterschied zu den übrigen drei Flügeln gibt es dort separierte WCs, in den anderen Flügeln steht die Kloschüssel offen im Eck der Zelle, und nun werden auch noch Stockwerks-Küchen eingerichtet. Außerdem wurde Hafthaus 5 (ein in Containerbauweise errichtetes Sondergebäude) geräumt und brandschutztechnisch auf den neuesten Stand gebracht, so dass dort Mitte Januar 2013 ein gutes Dutzend Gefangene mit anschließender SV (sowie weitere Gefangene, die spezielle „Gewalt- oder Sexualtäter-Programme“ durchlaufen sollen) einziehen konnten. In für Vollzugsverhältnisse der JVA Bruchsal „De-Luxe“-Suiten: Fußbodenheizung, abgetrenntes WC, die Zelle ist von morgens bis abends geöffnet, Küche ist obligatorisch, Fenster auf normaler Höhe (in den übrigen Trakten befinden sich die Fenster in 2 Metern Höhe).
Für die von SV betroffenen Gefangenen werden zudem spezielle Arbeitsbetriebe eingerichtet; wer sich in einem arbeitstherapieähnlichen Bereich „bewährt“, soll dann „aufsteigen“ können und wird der Schuhmacherei oder Polsterei zugeteilt (wo auch der kärgliche Lohn ein bisschen höher ausfällt.) Am 21.01.2013 schaute sich der baden-württembergische Justizminister Stickelberger (SPD) vor Ort alles einmal selbst an.
Hinzu kommen Gesprächsgruppen, sowie gelegentliche Einzelgespräche mit frisch verpflichteten TherapeutInnen (zwei an der Zahl).
Nicht wirklich, so wird verlautbart, angedacht ist, dass die in der JVA Bruchsal angebotenen therapeutischen Interventionen dann zu einer „vorzeitigen“ Entlassung oder Verlegung in den offenen Vollzug (von dort aus können Gefangene in Freiheit arbeiten und übernachten nur nachts in der Anstalt) führen sollen, sondern nur der Vorbereitung auf eine langjährige Sozialtherapie (in einer anderen JVA) dienen, oder – man höre und staune – auf den „Wohngruppenvollzug in der Sicherungsverwahrung vorbereiten“ sollen. Man wird also in Strafhaft auf die Haftbedingungen in der SV „vorbereitet“.
Es regt sich Unmut
Unter Gefangenen, die nicht zur Sicherungsverwahrung verurteilt wurden, regt sich Unmut, denn ihre Haftbedingungen sind erheblich schlechter: die Zellen sind überwiegend verschlossen, d.h. sie sitzen eingesperrt in ihren Hafträumen, man kürzte ihnen die Freizeit am Spätnachmittag um eine knappe Stunde, Kochen und Backen sind nicht möglich und die therapeutische „Begleitung“ sieht auch eher mau aus.
Berücksichtigt man dann noch, dass mehr als die Hälfte derer, die mit Sicherungsverwahrung hier sitzen, wegen einschlägiger Sexualdelikte (bis hin zu hundertfachem Kindesmissbrauch) Haft verbüßen, schürt dies weiteren Unmut. An allen Ecken und Enden hört man Sprüche wie: „Den Kinderfickern und Sittichen wird der Zucker vorne und hinten rein geblasen!“ Zyniker sagen dann auch: „Hätte ich anstatt wegen einer Schlägerei ein Urteil wegen Vergewaltigung, mir ging’s hier im Knast von den Vollzugsbedingungen her wesentlich besser“.
Letztlich bleibt es jedoch bei bloßem Murren.
Einblick
Wie Insider aus dem oben erwähnten Hafthaus 5 berichten, gab es schon in den ersten Tagen nach dem Neubezug der Abteilung die ersten Konflikte. Zwar werden im sogenannten „delikt-spezifischen“ Teil der Therapiegruppen die Sexualtäter und die Gewalttäter in getrennten Gruppen behandelt, jedoch gibt es auch einen „delikt-unspezifischen“ Teil und dort sind dann die Therapiegruppen gemischt. Prompt, so die Insider, habe sich ein wegen mehrfachen sexuellen Missbrauchs seiner kleinen Tochter verurteilter Gefangener empört über einen Mitgefangenen, der wegen Körperverletzung verurteilt ist. Dieser sei doch ein Krimineller, ein Gewalttäter, er selbst hingegen jedoch nicht, denn das mit seiner Tochter sei „was ganz anderes“ gewesen.
Wer dann den Sexualtätern verbal zu sehr „Contra“ gibt, läuft Gefahr aus „Haus 5“ verbannt zu werden, was so mancher fürchtet, da dann eine vorzeitige Entlassung nahezu aussichtslos wird. Selbstverständlich muss auch gemeinsam zu Mittag gegessen werden; auch hier gilt: wer sich dem zu entziehen versucht und sagt, er wolle nicht mit einem Serienvergewaltiger oder Kindesmissbraucher an einem Tisch sitzen, wird schnell vor die Wahl gestellt den Mund zu halten, oder aber „Haus 5“ verlassen zu müssen.
Die Reaktion des Kindesmissbrauchers ist ein in der JVA Bruchsal nicht selten anzutreffendes Argumentationsmuster von Sexualtätern: diese sehen sich als „etwas besseres“ an. In dieser Meinung werden sie von der Anstalt zumindest indirekt auch gestützt, denn besonders beliebte oder mit gelockerter Aufsicht verbundene Jobs innerhalb der Mauern werden gerne an solche Täter vergeben. So hat der oben erwähnte Gefangene, der seine Tochter missbrauchte, einen Job in dem Anstaltsbetrieb „Garage“ gefunden, wo er dann auch Beamtenautos reinigen darf, eine Arbeit, die die Beamten naturgemäß nur Gefangenen anvertrauen, denen sie Vertrauen entgegenbringen. Hier eignen sich Sexualtäter in besonderem Maße: vielfach entstammen sie geordneten Verhältnissen, wie es so schön heißt, haben also keinen Bezug zu sonstiger Kriminalität oder Regelverletzung, abgesehen von der devianten Sexualität.
Ferner werden sie tendenziell von ihren Mitgefangenen geächtet oder mit Distanz betrachtet, so dass aus Sicht der Justiz die Wahrscheinlichkeit, dass die auf diesen „Vertrauensposten“ eingesetzten Gefangenen ihre Arbeit dazu nutzen, um z.B. Drogen zu schmuggeln oder sonstwie gegen Regeln zu verstoßen, geringer ist als bei anderen Gefangenen.
Ausblick
Da formal die Landesgesetzgeber und auch der Bund neue gesetzliche Regelungen für den Vollzugsalltag der Sicherungsverwahrten und mannigfache Therapiekonzepte beschlossen haben, dürfte erstmal keine „Entlassungswelle“ anstehen. Aber auch mittel- und langfristig dürfte nicht zu erwarten sein, dass die Entlassungszahlen von Sicherungsverwahrten oder davon betroffenen Strafgefangenen erheblich über jenen der Vergangenheit liegen. Aus der Innenansicht mutet es mehr an, als errichteten Gesetzgeber und Vollzugsanstalten potemkinsche Dörfer, sprich bloße Fassaden, die letztlich das Bundesverfassungsgericht und ein stückweit die Öffentlichkeit beeindrucken und auch beruhigen sollen. Zugleich schafft die vollzugliche Binnendifferenzierung hinsichtlich der materiellen Vollzugsbedingungen (hier: komfortable Zellen mit Fußbodenheizung und Küchen, dort: kahl-kalte Zellen, die nur stundenweise beheizt werden und überwiegend Verwahrvollzug) ein Unruhepotential, das auf Dauer nicht unterschätzt werden sollte; vielleicht bietet das eines Tages die Möglichkeit insgesamt, wenn schon nicht die Abschaffung der Knäste zu fordern, zumindest eine Verbesserung der Haftbedingungen für alle Inhaftierten zu erkämpfen, unabhängig davon, ob sie von SV bedroht sind, oder nicht.
Thomas Meyer-Falk
c/o JVA – Z. 3113
Schönbornstr. 32
D-76646 Bruchsal
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