Zu den Silvester zum Knast-Demos 2011 in Berlin
Am letzten Tag des Jahres 2011 gab es traditionell die “Silvester zum Knast”-Demonstrationen in Berlin, dieses Mal unter dem Motto “Hinter verschieden vergitterten Fenstern… – Silvester zum Knast – die Maschinerie der Gefängnisse hinterfragen, demontieren und zerstören! – …doch die Fesseln bleiben die selben!“. Mit den Demos soll die Unversöhnlichkeit mit der Knastgesellschaft und den herrschenden Verhältnissen zum Ausdruck gebracht werden und die Solidarität mit all denjenigen, die in den Knästen und den anderen Orten der Einsperrung festgehalten werden, auf die Strasse getragen werden.
Bereits in den Nachmittagsstunden versammelten sich vor dem Abschiebeknast in Grünau an die 150 Personen, um ihrer Solidarität mit den dort inhaftierten MigrantInnen Ausdruck zu verleihen. Zu diesen gab es leider keinen Sichtkontakt, mit aller Wahrscheinlichkeit wurden die ca. 20 Gefangenen in Gebäudeteile verlegt, in denen sie von der Kundgebung nichts mitbekommen. So war es ihnen nicht möglich den lautstarken Parolen, der Sambagruppe und den durch den Lautsprecherwagen vorgetragenen Grußworten und Redebeiträgen, in welchen die herrschenden Zustände der rassistischen und mordenden Abschiebepraxis thematisiert wurden, zu lauschen.
In der Dunkelheit der Nacht versammelten sich gegen 23 Uhr mehr als 750 solidarische Menschen am U-Bahnhof Turmstrasse, um lautstark zum nahe gelegenen U-Haftknast Moabit zu ziehen. Durch ein mitgeführtes Megaphon wurden knastkritische Beiträge vorgetragen, u.a. der Aufruf und ein Redebeitrag vom Vorbereitungskreis der Freiburger Anti-Knast-Demo. (siehe weiter unten). Am Knast gab es wie gewohnt viele Reaktionen der Gefangenen auf die Demo, leider nicht ganz so zahlreich wie in den letzten Jahren. Bei der Abschlusskundgebung vor dem Knast wurden wieder unzählige Raketen in Richtung der Knastmauern geschickt, um damit den Gefangenen zu zeigen, dass wir wegen ihnen da sind. Die Bullen hielten sich während der Demo größtenteils zurück, waren aber sichtlich genervt von den Knallern und Böllern, mit denen sich des öfteren beworfen wurden. Während der Abschlusskundgebung formierten sich die Bullen und suchten nach Leuten, die vermeintlich “Straftaten” gegangen haben sollen und bedrängten die DemoteilnehmerInnen, weshalb diesmal früher als sonst die Demo aufgelöst wurde, um den Bullen nicht die Möglichkeit zu geben die Demo auseinander zuhauen und um damit nicht die Kontrolle über das eigene Handeln zu verlieren.
Bilder der Demo gibt es bei Flickr: Rassloff und Kietzmann (Grünau + Moabit)
vorgetragener Redebeitrag vom Vorbereitungskreis der Freiburger Anti-Knast-Demo
Freiheit braucht keine Gefängnisse!
Liebe Leute!
Heute Abend sind in vielen Städten, nicht nur bundesweit, viele hundert Menschen im Rahmen von Anti-Knast-Demos auf der Straße. So auch in Freiburg, wo heute Abend, etwa zeitgleich zu dieser Demonstration, seit langer Zeit wieder eine unangemeldete Demo dieser Art stattfindet. Während jedoch die meisten Menschen ausgelassen ins neue Jahr feiern, verbringen allein in Deutschland mehr als 71.000 Menschen (nicht nur) die heutige Nacht hinter Gittern, dicken Mauern und Stacheldraht.
Warum Knäste?
Ihre Freiheit wurde ihnen genommen, weil sie gegen geltende, aufgezwungene Gesetze verstoßen haben. Für uns spielt es keine Rolle, was sie getan haben. Damit wollen wir nicht ausdrücken, dass jeder Bruch der bestehenden Gesetze automatisch eine emanzipatorische Tat sei. Im Gegenteil findet sich in vielen „Verbrechen“, wie z.B. in „Betrugshandlungen“ oder auch im „organisierten Verbrechen“ die kapitalistische Aneignungs- und Verwertungslogik wieder. Letztlich sind für uns dabei nicht die Individuen zu verurteilen, die diesen Vewertungszwängen folgen und dabei den vom Staat und seinen Repressionsorganen festgesteckten Rechtsrahmen überschreiten. Verantwortlich ist die Gesellschaftsordnung, die das Konkurrenzprinzip erst hervorbringt und Menschen direkt oder indirekt dazu zwingt, zu „Kriminellen“ zu werden.
Um den gesellschaftlichen Rahmen der Produktion zu sichern, steckt der Staat das für alle verbindliche Spielfeld durch Gesetze ab. In diesem können Konkurrenz und Ausbeutung – so reguliert wie nötig, so rücksichtslos wie möglich – erfolgen. Verstößt ein Individuum durch eine Handlung gegen dieses aufgezwungene Regelwerk, wird es zum_zur „Verbrecher_in“. Der Staat sieht in ihm_ihr eine potentielle Gefahr für die Aufrechterhaltung der verbindlichen Rechtsnormen, die Gesellschaft sieht in ihm_ihr etwas „Nichtfunktionierendes“, das es zu bestrafen und disziplinieren gilt.
Gesellschaft als Knast
„Die Zuchthäuser sind das Bild der zu Ende gedachten bürgerlichen Arbeitswelt, das der Hass der Menschen gegen das, wozu sie sich machen müssen, als Wahrzeichen in die Welt stellt.“ (Adorno/Horkheimer: Die Dialektik der Aufklärung)
Wer also den Regeln der Konkurrenzgesellschaft nicht gehorchen will oder kann, dem_der werden diese im Knast in verschärfter Form aufgezwungen. Die Gefängnisse sind mehr als reine „Wegsperranstalten“: Die entfremdete Existenz im Knastalltag, die erzwungene Einsamkeit, die monotone Sinnlosigkeit der als Strafe zugewiesenen Zwangsarbeiten geben in konzentrierter Weise die Zustände wieder, die auch außerhalb der Gefängnismauern gelebt werden.
Der schäumende Hass des Mobs bei medial aufbereiteten Prozessen, der danach lüstet, die Person „wegzusperren“, sie zu „bestrafen“, entspricht dem unbewussten Verlangen, ihr verschärft das anzutun, was die bürgerliche Arbeitswelt ihnen täglich selbst antut.
In einer unfreien Gesellschaft empfinden wir die immer wiederkehrende Forderung nach besserer und schnellerer Reintegration von Gefangenen in eben diese als Farce. Denn auch in der sogenannten „Freiheit“ sind Menschen Zwängen unterworfen, sei es am Arbeitsplatz, auf Ämtern, im Gesundheitswesen, in der Schule oder in der Familie. Reintegration bedeutet daher nicht die konsequente Forderung nach Freiheit, sondern nichts anderes, als dass sich das Individuum fortan bedingungslos den Regeln und der Logik dieser Gesellschaft unterwerfen muss. Ex-Sträflinge sollen wieder verwertbar werden.
Für eine Gesellschaft ohne Knäste
Wir wollen diese „Freiheit“ nicht länger ertragen, sondern kämpfen für eine Gesellschaft, in der es kein Eigentum, keine Grenzen, aber auch keine Herrschaft von Menschen über Menschen, also keinen Sexismus, keine Homophobie, keinen Rassismus und alle anderen Unterdrückungsmechanismen, und somit auch keine Knäste mehr gibt.
3 Responses
[…] Aufruf mit einer Vielzahl von Kundgebungen und Demonstrationen geantwortet, darunter in Berlin, Köln, Freiburg, Bremen, Hamburg [Bericht 1 und 2] und Stuttgart. Lautstarke Demos vor Knästen […]
[…] Aufruf mit einer Vielzahl von Kundgebungen und Demonstrationen geantwortet, darunter in Berlin, Köln, Freiburg, Bremen, Hamburg [Bericht 1 und 2] und Stuttgart. weiterlesen… Share […]
[…] the new year’s eve, the idea of hosting a rally in the early afternoon in front of the detention centre was reconfirmed and about 150 people found their way there, bringing some noise and chants of […]