Zu Nazis und der “Todesstrafe für Sexualverbrecher”
In den letzten Monaten gab es immer mal wieder Demos und Kundgebungen von Neonazis, mehrere Male auch in Zusammenarbeit mit bürgerlichen Kreisen, auf welchen die “Todesstrafe für Sexualverbrecher” gefordert wurde. Diese Kampagne der Nazis dürfte leider auf viel Masseneinverständnis stoßen. Deshalb erscheint es auch als notwendig (u.a. bei den Gegendemos) gegen diese Hetze zu argumentieren. Die Nazis werden wir so nicht beeinflussen. Aber vielleicht ein paar Menschen am Straßenrand. Gerhard vom Autonomen Knastprojekt Köln hat dazu einen Flyer geschrieben:
Nazis lösen keine Probleme – sie sind ein Problem
Diese Gesellschaft hat ein Gewaltproblem. Jede vierte Frau wird Opfer von häuslicher Gewalt. Jedes vierte Mädchen und jeder achte Junge wird sexuell mißbraucht. Hinter diesen Millionen Opfern stehen natürlich zumindest Hunderttausende von Tätern. Sollen die nun alle aufgehängt, oder zumindest lebenslang weggesperrt werden? Fraglich, ob es für ersteres in Deutschland überhaupt genug Bäume gäbe. Für die Wegsperrlösung bräuchten wir einen Knast in der Größe einer Großstadt.
Nun gut, daß die Nazis gewisse Erfahrungen mit dem massenweisen Umbringen und Einsperren von Menschen haben, wissen wir alle. Für die meisten Menschen ist dies aber kein erstrebenswertes Ziel. Das wissen die Nazis selber, dass sie dafür keine Mehrheit in dieser Gesellschaft finden.
Sie greifen deshalb eine Strategie auf, die ohnehin in der Gesellschaft vorhanden ist: Die Sündenbockstrategie.
Wenn diese Gesellschaft schon nicht bereit ist, sich mit grundsätzlichen Problemen auseinanderzusetzen, machen wir eben symbolische Aktionen.
Wenn keine Bereitschaft vorhanden ist, sich mit den Hunderttausenden von Tätern auseinanderzusetzen, greifen wir uns eben ein paar Hundert raus.
Dieses Verhaltensmuster kennen wir ja auch aus anderen Bereichen. Wer den Kapitalismus nicht grundsätzlich abschaffen will, greift sich die “Jüdischen Kapitalisten”, damit die Flicks und Krupps noch bessere Geschäfte machen können.
Man muss schon ein sehr einfaches Gemüt sein, um den Nazis abzukaufen, dass es ausgerechnet denen um den Schutz von Schwächeren geht. Es sind nicht die Linksradikalen, die Obdachlose und Flüchtlinge zusammenschlagen und töten. Andrerseits sind die Nazis ja dafür bekannt, dass sie sich entschieden für Frauenrechte einsetzen – für allem für das Recht auf Küche und Kinder.
Es ist gut, dass wir Gegendemonstrationen machen und uns den Nazis entgegenstellen. Trotzdem – es reicht nicht aus, nur “Nazis raus” zu rufen (außerdem, wo sollen die schon hin. Die will doch keiner haben). Es ist unsere Aufgabe, uns dem gesamtgesellschaftlichen Problem der Gewalt gegen Schwächere in dieser Gesellschaft zu stellen und nach Lösungen zu suchen.
Für uns vom Autonomen Knastprojekt ist klar, dass Wegsperren oder gar Umbringen keine Lösung ist. Allerdings halten wir es auch für unmöglich, im Kapitalismus das Problem überhaupt zu lösen. Schließlich ist Gewalt gegen Schwächere das Grundprinzip des Kapitalismus. Das erleben nicht nur die Erwerbslosen im Jobcenter, das erleben jeden Tag Millionen von ArbeiterInnen im Betrieb.
Die allermeisten Gewalttaten gegen Frauen und Kinder passieren in der Familie. Die Täter sind Vater oder Bruder und nicht der “böse, schwarze Mann”. Um nicht missverstanden zu werden: Die meisten Männer, die in Kleinfamilien leben, schlagen und vergewaltigen weder Frau noch Kinder. Trotzdem gibts nicht allzuwenige Fälle, in denen das so ist. Und es ist schwieriger geworden für Frauen, mit ihren Kindern aus solchen Gewaltfamilien auszubrechen. Die Gelder für Frauenhäuser sind eher gekürzt denn ausgebaut worden. Gerade für Frauen aus einfacheren Verhältnissen, die teilweise extrem ökonomisch abhängig sind, wird es zunehmend schwieriger sich aus solchen Gewaltverhältnissen zu lösen. Noch schwieriger ist es für Kinder ohne ihre Mütter aus diesen Privatknästen auszubrechen. Gerade konservativ-reaktionäre PolitikerInnen erklären ja immer die Kleinfamilie zur einzig erstrebenswerten Lebensform. Ich selbst bin jahrelang in einer solchen Kleinfamilie brutal geschlagen worden. Mehrfach bin ich einfach abgehauen. Es endete immer damit, daß ich von den Bullen zurückgebracht und dann von meinen Eltern noch brutaler geschlagen wurde. Diese kindliche Gewalterfahrung war für mich auch ein Grund, mich gegen eine eigene Kleinfamilie und eigene Kinder zu entscheiden. Denn es gehört auch zu den bitteren Wahrheiten, dass aus geschlagenen Kindern später häufig prügelnde Eltern werden. Viele Sexualtäter sind selbst als Kinder missbraucht worden. Das entschuldigt jetzt nicht den einzelnen Täter, aber es sollte für uns Anlass sein zu überlegen, wie dieser Teufelskreis zu durchbrechen sei. Von den Konservativen und den Nazis können wir solch grundsätzliche Überlegungen nicht erwarten. Das müssen wir schon selber tun.
Vom 28.-30. Oktober finden im AZ Köln die diesjährigen Antiknasttage statt. Dort wollen wir auch solche Fragen diskutieren. Es wäre schön, wenn einige von Euch sich dran beteiligen würden.
Gerhard
Autonomes Knastprojekt Köln