Zum Hungerstreik in der JVA Tonna
Seit dem 24. September befinden sich mehrere Gefangene in der JVA Tonna im Hungerstreik. Dazu übernehmen wir einen Text von Edition Hydra.
Telio – Profit hinter Gittern
In der JVA Tonna (Landkreis Gotha) sind einige Gefangene in einen Hungerstreik getretten. Sie kämpfen gegen die Einführung eines neuen Fernseh- und Telefonsystems der Firma Telio Communication GmbH. Telio ist kein unbekannter Akteur in deutschen Knästen. Seit Jahren baut das Hamburger Unternehmen in den JVA’s neue Telefonanlagen ein. Online werben sie damit, bereits in über 70 JVA’s vertretten zu sein. Dabei wirbt das Unternehmen auch mit teils perfiden Werbesprüchen, die einige Gefangene als provokation ansehen. Im Fazit heisst es für Gefangene aber: mehr Gesprächsüberwachung, eingeschrenktere Anrufe, normierte Kontrolle. Am meisten steht aber eine Preissteigerung an, denn nicht nur der Anschluss ist teurer, auch die Tarifeinheiten sind im Vergleich zu den Tarifen ausserhalb der Knäste enorm teuer. Zeitgleich bleiben die Löhne in deutschen Gefängnissen auf dem selben beschissenen Stand, ganz unten.
Seit der Einführung von Privatfernsehrn auf den Zellen in deutschen Gefängnissen ist es spürbar ruhiger Geworden innerhalb der Mauern. Die Beballerung mit dem Müll der meisten Medien, scheint jede subversive Tätigkeit zu minimieren. Gut, dieser Zustand ist ausserhalb der Knäste auch spürbar. Fest steht, und das bestätigen auch ältere Insassen, seit der Zulassung von Fernsehrn auf den Zellen haben die organisierten und spontanen Revolten innerhalb der Knäste fast komplett abgenommen. So erscheint es um so interessanter, das genau zu diesem Thema Gefangene in der JVA Tonna einen Hungerstreik beginnen, um so für eine bessere Programmauswahl und niedrigere Kosten zu protestieren. Was Mensch auch vom Fernsehprogramm hier zu Lande halten mag, es ist für Gefangene eine Verbindung nach draußen, zumindest in eine Richtung. Viele hinter Gittern äussern sich ähnlich, durchbricht doch der Fernsehr die ständige Stille auf der Zelle.
Die Isolation hinter Gittern macht einsam. Die Welt draußen dreht sich weiter und das auch gefühlt immer schneller. Viele Menschen verdrengen die Gedanken, das jenseits der Mauern, innerhalb der Knäste Menschen sitzen, die dass Bedürfniss haben Kontakte nach aussen zu halten. Sei es die Familie, Freund_innen, oder wer auch immer. Werden die ohnehin schon wenigen Möglichkeiten ständig weiter erschwert, verlieren die meisten Insass_innen schon nach wenigen Monaten einen Großteil der Verbindungen nach draußen. Wird in der Untersuchungshaft das telefonieren noch streng überwacht, gibt es in der Strafhaft eigentlich das Rech frei zu telefonieren.
In offenen Vollzugsanstalten, in denen meist Bargeld erlaubt ist, kassiert die Deutsche Telekom am meisten ab. Sie stellt die Telefonzellen zur verfügung, in denen oft hunderte von Gefangenen telefonieren müssen. Dabei zahlen die Gefangenen sich dumm und dämlich. Oftmals führen die Gefangenen die Gespräche nicht mal aus Spaß an der Freude, denn auch sämtliche amtlichen, oder berufsmäßigen Gespräche, etwa zur Jobsuche, müssen über die Apperate geführt werden. Ist durch den Preiskampf der Telefonprovider in den letzten Jahren auch der Preis für ein Gespräch enorm gesunken, so herrschen hier weiterhin Preise, wie zu Zeiten der gelben Post. So landen oft hunderte von Euro im Münzschlitz.
Ganz anders hingegen in der Strafhaft. Die Firma Telio Communicaton GmbH (Holsteinstraße 205, 22765 Hamburg) hat es sich wohl zur Aufgabe gemacht, in sämtlichen deutschen Gefängnissen das Telefonsystem zu stellen. Sie statten die JVA’s mit einem “Fernseh- und Multimedia-Telefonsystem” aus. Was zunächst als Verbesserung verstanden werden könnte, stellt sich bei näherer Betrachtung einzig als moderniesierung der Kontrollmechanismen der Justiz da. Doch zunächst ein paar Slogans aus der Broschüre von Telio:
“Er gibt gute Gründe, Gefangene gelegentlich Wählen zu lassen:
– Gefangenentelefone als Beitrag zum Anstaltsfrieden
-virtuelle Abrechnung der Gespräche ohne Telefonkarte, dadürch verhinderung des Tauschhandels
-einfaches Mithören, Aufzeichnen und Protokollieren
Das Phonio Telefonsyste. Weil Insassen viel länger auf dem Teppich bleiben, wenn sie gelegentlich abheben dürfen!”
Konnte in vielen Knästen durch den Schnmuggel von Handys die Zensur von freiem Telefonieren noch umgangen werden, machen Handyblocker wie sie z.B. in Berlin eingesetzt werden, das ungehinderte Telefonieren unmöglich. Dazu installierte in der JVA Plötzensee die Berliner Firma SCP Systems (Planungsbüro) moderne und durch Software nachrüstbare Handyblocker. Schon nach wenigen Wochen Test, sollen nun auch in der JVA Berlin-Moabit die Blocker installiert werden. Nun sollen also alle über Telio telefonieren. Und das funktioniert so: Der oder die Gefangene bekommt bei der Aufnahme oder der Erlaubniss telefonieren zu dürfen, einen Account der Firma Telio. Auf diesen kann dann Geld eingezahlt werden. Angerufen können dann nur Nummern werden, die vorher durch schriftliche Einwilligung der Angerufenen, das die Gespräche mitgeschnitten und abgehört werden dürfen (kein Witz!). Nun darf der oder die Gefangene dann in den Umschlusszeiten die Telio Telefonzellen benutzen. Diese werden auf den Gängen, meist in der nähe der Schliesser_innen installiert. Gespräche wie die Seelsorge, Anwält_innen, oder die AIDS Hilfe, sollen laut Telio auf wunsch “per Knopfdruck” anonymisiert werden können. Wir vertrauen dieser Zusage jedoch nicht, da für die gesamte Administration die Schliesser_innen bei der Einrichtung des Accounts zuständig sind und in der Praxis dann schnell mal ein Häckchen nicht gesetzt wird.
Als Belohnung für besonders vertrauenserweckende Gefangene, gibt es dann auch die Möglichkeit eines Zellentelefons. So kann auch die Privatsphäre bewahrt werden. Da dies natürlich misstrauen unter den Mitgefangenen erweckt, soll diese Variante in modernen JVA’s zur Grundausstattung werden. Nur eben, dasd die meisten Knäste in Deutschland alles andere als modern sind, eher stinkende Löcher. Telio bietet wie in der JVA Tonna, oder auch in Berlin (Moabit, Plötzensee, Moabit, Lichtenberg und Pankow) das Fernsehprogramm an. Dafür wird dann das bestehende System nachgerüstet, oder komplett neu aufgebaut. Fremdsprachige Programme müssen von nun an extra dazugebucht werden. Zur Erinnerung, die überwiegend meisten Gefangenen in Deutschland sind nicht deutschsprachig, oder Migranten. Also für Telio eine enorme Zusatzeinkunft. Ebenfalls auf Wunsch mit im Paket für die JVA’s, transparente Geräte wie Fernsehr oder Radios. Diese lassen sich leichter kontrollieren. So wird es auch nicht mehr lange dauern, bis flächendeckend nur noch die Fernsehr der JVA’s erworben werden können. Natürlich zu überhöhten Markpreisen. Aber ganz gewiss bedeutet das Engerement von Telio eine enorme Preissteigerung für die Gefangenen. So muss mittlerweile in den meisten Knästen ungefähr 15-18 Euro für den TV Empfang bezahlt werden. Der Telio Account kommt dann noch zusätzlich dazu. Bei einem überaus normalen Telefonverhalten können so dann schnell mal 50-100 Euro zusätzlich zu Buche schlagen. Angesichts eines durchschnittlichen Einkommens bei einem Vollzeitjob hinter Gittern von 150-211 Euro ein enormer Luxus.
Es ist zum kotzen das Firmen wie Telio enorme Summen verdienen, mit dem Bedürfniss von Menschen nach Kommunikation und Kontakten, die die Isolation innerhalb des Systems Knast durchbrechen. Deshalb heißen wir Telio willkommen im Club der Unternehmen wie sodexo, selecta, Deutsche Telekom, wisag und Edeka. Sie alle eint, Profit zu machen mit dem Leid von anderen Menschen. Profit zu machen in Knästen. Sie verdienen unsere vollste Aufmerksamkeit!
Für mehr praktische Solidarität mit den Gefangenen in den Knästen!
Freiheit, Liebe und Mut an die hinter Gittern!
Freiheit für Sonja und Christian!
Hydra, 28.09.2012
Thomas Meyer-Falk hat auch bereits über die Praktiken von Telio berichtet im September 2010.