Zum Prozess wegen Brandstiftung im Jobcenter in Wuppertal
Am 20. März wurde in Wuppertal eine Person zu einer Haftstrafe verurteilt, weil diese sich gegen die Schikanen und das menschenverachtende Verhalten des Jobcenters zu Wehr gesetzt hatte. Holger hatte zu dem ihn in der Situation geeignetstem Mittel gegriffen und ging, nachdem er mit faulen Ausreden von den Angestellten des Jobcenters abgefertigt wurde, zur Tankstelle und besorgte sich Benzin, mit dem er in der vierten Etage den Teppich in Brand steckt. Vorher kümmerte er sich darum, dass sich niemand mehr in den angrenzenden Räumen aufhielt. Dadurch wollte er bewusst eine Gefährdung von Anwesenden ausschließen. Verurteilt wurde er jetzt zu 3 Jahren und 6 Monaten Knast.
Nach Prozessende erschien auf de.indymedia.org ein Text, welchen wir hier übernehmen. In den Tagen vor dem letzten Prozesstag gab es einen Aufruf zur Prozessbeobachtung.
Das flambierte Jobcenter in Wuppertal
Das Landgericht Wuppertal hat heute Holger W. wegen schwerer Brandstiftung zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten ohne Bewährung verurteilt. Ihm wird zur Last gelegt, am 1. September 2011 den Flur im Wartebereich des Wuppertaler Jobcenters Üllendahl in Brand gesetzt zu haben. Der Angeklagte bleibt bis zur Rechtskräftigkeit des Urteils in Untersuchungshaft – es bestehe angeblich Fluchtgefahr.
Holger W. sitzt seit September 2011 in Wuppertaler Untersuchungshaft. Am späten Nachmittag des 1. September 2011 hatte er in der vierten Etage des Jobcenters MitarbeiterInnen und „KundInnen“ rausgeschickt, die Büros auf anwesende Personen kontrolliert und anschließend im Flur der Wartezone Feuer gelegt. Holger W. ist nach eigenen Angaben an diesem Tag bereits morgens „stinksauer“ zum Jobcenter Üllendahl gegangen. Denn er hat für den Monat September gerade mal 54 Euro Hartz IV überwiesen bekommen. Ein Vorschuss auf Fahrgeld zum Probearbeiten und das vermutete Einkommen dieser Nebentätigkeit, das er noch gar nicht erhalten hat, wurden ihm abgezogen.
Holger W. geht zur Standortleiterin Annette Fusch in die 4. Etage und besteht darauf, dass er das fälschlich abgezogene Geld sofort bekomme. Die Standortleiterin vertröstet ihn auf später – sie werde zusammen mit der dazu stoßenden Teamleiterin der Leistungsabteilung Christa Berghaus den Vorgang überprüfen. Er solle draußen warten, die beiden hätten zuvor eine Hausbegehung. Es wird laut. Holger fühlt sich in seinem Anliegen nicht ernst genommen und “von oben herab behandelt”. „Wenn ich mein Geld nicht bekomme, dann brenn’ ich Euch die Hütte ab“ soll er gesagt haben.
So kam es dann auch. Holger W. leiht sich von einem ehemaligen Nachbarn einen Reserve-Kanister holt sich an der Tankstelle etwas mehr als einen Liter Sprit und kommt am späten Nachmittag zurück. „Donnerstag-Nachmittag ist an der Arge kaum was los“. Holger W. kennt die vierte Etage gut. Die Büros auf jeder Seite des Flurs sind untereinander mit Türen verbunden. Er weiß wo die Fluchttüren sind. Er fordert im vorderen Büro den Sachbearbeiter Jörg-Rheinhard Platzek auf: „Tun Sie die Leute raus, ich steck’ den Laden an“. Einer von drei Arbeitslosen im Wartebereich soll darauf hin flapsig gesagt haben „Fang da hinten an, bis dahin habe ich meinen Antrag abgegeben“. Holger W. überprüft alle weiteren Büro-Türen auf eventuell noch anwesende Personen und verschüttet am Kopfende des Gangs das Benzin, legt eine Spur die Gangmitte entlang und zündet diese an. Er habe darauf geachtet, das Benzin tief gebückt auszugießen, und direkt anzuzünden damit es nicht zu einer Verpuffung kommt. Dann geht er raus. Alles ganz ruhig und ohne Hektik, so die ZeugInnen übereinstimmend. Ein Arbeitsloser schnappt sich einen Feuerlöscher und bekämpft den Brand. Danach verlassen alle die Etage. Tatsächlich hat die 10 Minuten später eintreffende Feuerwehr nicht mehr löschen müssen, sondern nur einige „Glutnester“ auf dem Teppichboden ausgetreten.
Holger W. erklärt, er habe niemanden gefährden wollen und darauf geachtet, dass niemand zu Schaden kommt. Mit seiner Brandschutzausbildung wisse er, wie sich ein Feuer auf einem schwer entflammbaren Teppich verhalte. Die Flurfenster waren verschlossen, darauf habe er geachtet. Er wollte vielmehr der Arge und Hartz IV einen “Denkzettel” verpassen. Denn er wisse, so wie ihm gehe es vielen. Die Schikane gegen ihn sei kein Einzelfall.
Nach vier Verhandlungstagen bilanziert auch der vorsitzende Richter, dass es in seinem Fall offenbar „zumindest eine Baratungslücke“ gegeben habe. Als Holger W. am 22.8.2011 die Chance auf einen Job sah und von der Firma Müller in Wuppertal-Langerfeld zum Vorstellungsgespräch inkl. Probearbeiten eingeladen wurde, hat ihm das Jobcenter einige Knüppel zwischen die Beine geworfen: „Die wollten mir alles kaputt machen“, erklärte er. Seine Sachbearbeiterin Petra Berthold aus der zweiten Etage belehrte ihn: „Sie können ohne unserer Zustimmung nicht einfach eine Nebentätigkeit aufnehmen“. Das ihm zustehende Fahrgeld wurde nur als Vorschuss auf sein September-Geld gewährt, ohne ihn aufzuklären, dass er das nach erfolgtem Antrag erstattet bekommt. Die Anrechnung seines Probearbeitens als 400-Euro-Minijob mit maximalem Abzug (240 Euro) im vorhinein(!) käme zwar immer wieder vor, widerspreche aber dem eigentlich geltenden „Zuflussprinzip“, nach dem Einkommen erst angerechnet werden darf, wenn es tatsächlich geflossen ist. „Wir machen das um Überzahlungen zu vermeiden. – die wären auch für den Kunden unangenehm …“ so die Standortleiterin Fusch im ZeugInnenstand.
Unter Umständen ge(p)fuscht wurde auch bei der reklamierten Schadenssumme. Wuppertals Jobcenter-Chef Thomas Lenz geht von etwa 100.000 Euro Schaden aus. Belegt sind nur 18.000. Frau Fusch sagte, dass im Zuge der zwei- monatigen Renovierung einige zusätzliche Umbauten im Wartebereich vorgenommen wurden. Die von Frau Fusch geltend gemachte Supervision für Sachbearbeiter_innen „Wie gehe ich mit Bedrohungen um“ habe laut einer anderen Zeugin keinen direkten Bezug zum Brand, sondern eher allgemeinen Hintergrund. „Wir werden sehr häufig bedroht“. Erst vorgestern sei ihr von einem „Kunden“ mit dem Satz „Ich stech’ Euch ab“ gedroht worden.
Zum Urteil:
Zwar räumt das Gericht ein, dass es sich bei dem brennenden Teppich in der vierten Etage des Jobcenters um einen Kleinbrand handelte, bei dem eine konkrete Lebensgefahr weder beabsichtigt war noch real vorlag. Desweiteren sei dem Angeklagten zu Gute zu halten, mit Ort und Zeitpunkt, sowie der konkrete Art der Brandlegung und der Aufforderung zur Evakuierung die Gefährdung gering gehalten, aber dennoch “billigend in Kauf genommen zu haben”. Das Gericht sieht somit keinen Grund für die Einstufung als “minderschweren Fall”.
Ein Großteil der etwa 30 anwesenden ZuschauerInnen hält das Urteil für politisch motiviert. Das Gericht verhängte die Strafe “auch unter generalpräventiven Gesichtspunkten”, so der Vorsitzende bei der Urteilsbegründung. Der fälschliche Vorabzug vom Regelsatz und insbesondere die schroffe Zurückweisung des Angeklagten durch die Leiterin des Jobcenters, Annette Fusch am Morgen der Tat seien “zwar wenig hilfreich” gewsen – so der vorsitzende Richter, wurden als Umstände bei der Strafbemessung aber nicht berücksichtigt. Es habe angeblich kein grobes Unrecht seitens der Arge vorgelegen.