ein Text der Initiative: “Warum brauchen wir eine Gedenktafel?“
Am 24. Januar 2020, vor etwa einem Jahr, wurde in Berlin Friedrichshain eine Frau ermordet. Maria B. wurde von einem Polizisten erschossen, der mit drei seiner Kollegen die Tür zu ihrem Zimmer aufgebrochen hatte.
Marias Tod steht in einer Reihe mit denen vieler anderer Menschen, die, oftmals in Situationen akuter psychischer Krisen, von Polizist*innen erschossen wurden. Von Polizist*innen, die sich trotz ihrer Ausbildung, ihrer Überzahl, ihrer Möglichkeit ausgebildete Psycholog*innen hinzuzuziehen dazu entschlossen einen anderen Menschen zu töten.
Nach dem Mord wurden im laufe eines Jahres bereits vier Gedenktafeln an dem Haus angebracht, in dem Maria zuletzt wohnte und starb. Die Tafeln wurde immer wieder, vermutlich von der zuständigen Hausverwaltung, entfernt und daraufhin erneuert. Anlässlich des Jahrestages ihrer Ermordung, haben wir eine Gedenktafel in den Gehweg vor dem Haus eingelassen. Aber auch diese, im öffentlichen Raum platzierte Tafel wurde bereits nach zwei Tagen entfernt. Ob von der Hausverwaltung, der Stadt oder der Polizei, wissen wir nicht.
Wir sind entrüstet über die Skrupellosigkeit, mit der die Erinnerungen an einen Todesfall im öffentlichen Raum auf diese Weise unterbunden wird. Es ist nahezu so, als würden ihre Mörder wieder und wieder demonstrieren, wie wenig ihnen Maria B.’s Leben Wert ist.
Wir fordern, dass die Tafel unverzüglich wieder angebracht wird. Wir fordern, ein öffentliches Gedenken an Maria B.!
Die Errichtung von Gedenkorten im öffentlichen Raum mit Blumen und Kerzen, mit Gedenksteinen und -tafeln, ist eine ganz normale Praxis. Im Fall von Maria wird sie verboten und sanktioniert.
Das lassen wir uns nicht gefallen!
Auch wenn Maria nicht im öffentlichen Raum starb, sondern in ihrer Wohnung – einem Raum dessen Unverletzlichkeit durch das Grundgesetz garantiert wird – geht ihre Ermordung uns, die Öffentlichkeit, etwas an. Maria wurde von Polizisten ermordet. Ihr Tod ist das Resultat einer Gesellschaft, die auf persönliche Krisen nicht mit Unterstützung reagiert, sondern mit Unverhältnismäßigkeit, Gewalt, Strafen und mehr Kontrolle. Er verdeutlicht die mangelnden gesellschaftlichen Umgangsformen mit psychischen Problemen. Und er erinnert uns daran, dass die Polizei eine Institution der Gewaltausübung ist, die für einen sehr großen Teil von uns nicht Sicherheit, sondern Gefahr bedeutet.
Gedenken an Maria bedeutet, sich bewusst zu machen, dass regelmäßig Menschen durch Schüsse sterben, die aus den Dienstwaffen von Staatsangestellten abgefeuert werden.
Der Mord an Maria zog eine obligatorische Ermittlung bei der Polizei nach sich, die ohne öffentliches Statement, oder gar Konsequenzen für ihre Mörder, nach wenigen Wochen eingestellt wurde. Das ist wenig überraschend. Diese Ermittlungen werden von der Polizei selbst, bzw. von der Staatsanwaltschaft durchgeführt, die in ihrer alltäglichen Arbeit eng mit der Polizei kooperiert. Es gibt in Deutschland keine unabhängige Kontrollstelle, die die Arbeit der Polizei überwacht, geschweige denn unabhängige Beschwerdestellen.
Wir, die Öffentlichkeit, die Gesellschaft, die Nachbar*innen, die Community, haben ein großes Interesse daran, uns an Marias Mord zu erinnern. Uns daran zu erinnern, dass wir als wehrhafte Zivilgesellschaft immer ein genauen Blick darauf haben sollten, was die Polizei macht, wenn sie sich durch unsere Kieze bewegt. Daran, dass es an uns liegt, diese unabhängige Kontrolle der Polizei zu übernehmen, weil niemand anderes das für uns tut. Daran, dass wir Aufschreien müssen, wenn wir sie bei der Ausübung von Gewalt beobachten. Von Gewalt, die so viele verschiedene Formen annimmt und oftmals Ausdruck von Rassismus oder Verachtung für arme Menschen ist. Wir dürfen nicht leise werden, auch wenn immer wieder versucht wird uns zu beschwichtigen.
Maria öffentlich zu Gedenken bedeutet auch, zu thematisieren und auszuhalten, dass wir alle in einer Gesellschaft leben, die manche Leben schützt und andere nicht. Sich an Maria zu erinnern bedeutet, gegen diese Einteilung in wichtiges und unwichtiges Leben zu rebellieren. Wir wollen uns an Maria erinnern. Als Freundin, Genossin, Nachbarin und als Mensch, ist sie uns wichtig. Ihr Leben zählt und ihr Tod geht uns alle etwas an.